Bücher, von denen man spricht
LEITHAMMEL SIND AUCH NUR MENSCHEN
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Der Durchschnittsmensch ist oftmals ein wenig verwirrt: Warum sieht einer der mächtigsten Männer der Welt, Xi Jinping, aus wie ein gütiger Onkel, ist Sebastian Kurz erst 32 Jahre alt und war schon Bundeskanzler und warum macht Frau Merkel nur diese merkwürdige Handbewegung? Warum darf Emmanuel Macron sich am Rednerpult herumlümmeln, Donald Trump durch die Menge pflügen und einfach Leute umstoßen und warum trägt Christine Lagarde in ihrem Alter noch sexy Röcke, die oberhalb des Knies enden?
Stefan Verra, Körpersprache-Spezialist aus Österreich, erklärt es uns. Und er hätte damit ruhig noch einmal 200 Seiten weitermachen können, so unterhaltsam tut er das. Verra hat sich der Frage angenommen, warum zwar alle Menschen mit ihrem Körper sprechen, aber manche erfolgreicher und mächtiger als andere sind. Denn das hat, behauptet er, sehr viel mit gezielter Mimik und Gestik zu tun.
Merkel, die auffallend Unauffällige Beispiel Merkel: Die hat’s drauf mit ihrer auffälligen Unauffälligkeit, mit ihrem stets kontrollierten Verhalten. Sie hat einem polternden, lauten Vorgänger die Macht entrissen und sich auf zurückhaltende Weise in Position gebracht: „Sie hat im Laufe der Zeit einige Alphamännchen still und leise aufs Abstellgleis geschoben. Ganz ohne großes Getöse, Gemetzel und Blutvergießen. Sie zeigt, dass der erste Eindruck zwar wichtig ist, man sich aber nie zu sehr darauf verlassen sollte.“ Irritiert merkt der Leser auf diesen Seiten, dass Frau Merkel eigentlich alles falsch macht. Sie ist nicht mitreißend. Sie trägt Sakkos, die ihren Hals verschwinden lassen. Sie macht keine weit ausholenden Machtgesten wie Donald Trump. Sie knutscht Emmanuel Macron auf eine Art und Weise, die man zusammen mit ihrem Ehemann noch nie gesehen hat.
Und doch ist sie eine der wichtigsten Politikerinnen der Welt. Sie hat Macht. Und diese übt sie unter anderem deshalb aus, weil sie eine Meisterin der Körpersprache ist. Natürlich wird eine Politikerin in dieser Liga von Coaches trainiert, doch hat sie wohl instinktiv begriffen, was aufstrebende Körperlinien bedeuten, was Souveränität und Führungsqualitäten vermittelt. Verra kommt im Merkel-Kapitel, das er mit „Die Unscheinbare, scheinbar“ betitelt, zu dem Schluss, dass ihre stärkste Waffe die Authentizität ist: „Davon können wir uns vor allem eins abschauen: Gelassenheit. Wir brauchen nämlich keine Modelfigur, keine alles überragende Körpergröße und kein Vitamin B. Wer sich selbst auf Dauer treu bleibt, wird eine unwiderstehliche Wirkung haben.“
Trump mit dem Zeigefinger Der größtmögliche Gegensatz zur deutschen Bundeskanzlerin ist der amerikanische Präsident. Mit seinen großen Gesten und dem rüpelhaften Gehabe, mit seinen legendären Hand-Shakes bietet er für einen Buchautor, der mit seinen humorvollen Körpersprache-Shows zehntausende von Menschen begeistert, ein reichhaltiges Arsenal an Anschauungsmaterial. Es ist der Zeigefinger, der ihn fasziniert: „Trump sticht gern zu. Zusammen mit seiner angespannten Mimik wirkt er damit einigermaßen aggressiv. Zum Hingucker aber wird sein Zeigefinger im Zusammenspiel mit dem aufgeklappten Handgelenk.“ Und da sich das Buch mitnichten nur in Fallbeispielen erschöpft, gibt es zwischendrin immer mal ein paar Zusammenfassungen, die mit „Das kann man sich merken“ übertitelt sind.
Zum Thema Hand und Zeigefinger steht da: „Wenn Sie also bei einer Präsentation mit Ihrer Hand herumfuchteln, als ob an Ihrem Gelenk statt einer Hand ein toter Fisch hängen würde, wirken Sie weniger eindrucksvoll als ein durchschnittliches YouTube-Sternchen.“ Überhaupt hat Stefan Verra eine Menge Tipps parat. Nicht andauernd aufs Smartphone schauen beispielsweise: „Wer mit aufrechtem Blick durchs Leben geht, wird von anderen als offener wahrgenommen.“ Das kommt im Kapitel mit Wladimir Putin vor, der macht das nämlich nicht. Er senkt vielmehr den Kopf, richtet die Stirn auf sein Gegenüber und schaut ihn mit seinen eisblauen Augen stumm an. Ausdauernd geübt und tadellos beherrscht, könne man das auch ruhig mal bei seinen Kindern anwenden, schlägt Verra vor: Dann klappt‘s auch mit dem Aufräumen.
Macron mit seinen Augenbrauen Emmanuel Macron, der französische Staatspräsident, macht ihm Spaß, dem Autor: „Wir haben es hier mit einem sehr geschickten Kommunikator zu tun“. Er analysiert seinen „Jack-Nicholson-Blick“, denn bei Macron spielen die Augenbrauen in der Gestik eine entscheidende Rolle. Bei der nächsten Tagesschau können Sie es überprüfen: Die kann er in ganz erstaunlicher Weise, auch unabhängig voneinander, bewegen, denn: „Die Augenbrauensprache versteht jeder.“
Sind sie oft gesenkt, wirkt auch ein neutraler Blick eher ernst. Heben wir sie hoch, signalisiert das Freude: „Das schafft eine emotionale Basis. Macron hat noch etwas drauf: Wenn er redet, schaut er wirklich jeden an: „Wenn er vor einem größeren Auditorium spricht, wendet er seinen Kopf beständig von den äußerst linken Sitzreihen zu den äußerst rechten und outet sich damit als Alphatier: Er hat einfach alles im Griff. Ein „Role Model“ nennt ihn deshalb, fast schon bewundernd, der Autor.
Sebastian Kurz, Klassensprecher der Nation Als Stefan Verra das Buch schrieb, konnte er noch nicht wissen, was demnächst in Österreich in höchsten Regierungskreisen passieren würde, dass Sebastian Kurz der jüngste Altkanzler der Geschichte würde und man nur ahnen kann, was im September mit ihm geschieht. Doch da er selbst Österreicher ist (jedoch in München lebt) hat er ihn genau beobachtet und nicht ganz so schmeichelhaft als „Klassensprecher der Nation“ bezeichnet. Wie hat das der junge Mann fertiggebracht, der aufgrund seiner schnell einsetzenden Popularität nicht mal Zeit zum Studieren hatte? Ganz einfach: So wie er sich verhält, ist er körpersprachlich alt.
Demzufolge wirkt das, was er sagt, auch wenn es die größte Banalität ist, weise und erhaben. Auch wenn er erst 32 ist. „Seine Frequenz ist sehr, sehr gering. Aber nicht nur das geringe Tempo haut ihm ein paar Jahre drauf. Auch ein zweites Element lässt ihn altern. Er reduziert auch den Radius seiner Bewegungen, verringert die Amplitude“. Verra zufolge – er hat das aus gut unterrichteten Journalistenkreisen – verliert Kurz niemals die Körperkontrolle, nicht mal auf einer einsamen Berghütte unter Freunden. Verra erzählt ein Beispiel von unabsichtlicher Aktualität, das Sebastian Kurz von Heinz-Christian Strache (den FPÖ-Politiker mit dem Ibiza-Video) unterscheidet.
Strache sagte: „Die Brenner-Grenze muss sofort gesichert, kontrolliert und geschützt werden“, riss dabei seine Hände auf Brusthöhe immer wieder ruckartig nach oben. Der viel jüngere Kurz sprach zur gleichen Zeit in die Mikrofone „Wir bereiten uns vor und wir werden unsere Brenner-Grenze schützen.“ Bei ihm waren die Handflächen leicht nach oben gedreht und die Finger entspannt: „Er sah so aus, als würde er eine Salatschüssel halten“ erinnert sich Verra. „Keine große, eher eine für einen Singlehaushalt.“ Es ist wohl keine Überraschung, dass Kurz beim Publikum sympathischer rüber- kam und ihm eher geglaubt wurde: „Der Grund war nicht der Inhalt, denn der war austauschbar. Der Grund war seine Körpersprache.“
Auch Kunden sind nur Menschen Und nun, da wir wissen, dass die Körpersprache so viel Macht auf unser Gegenüber hat, können wir viel überzeugender wirken. Oder? Wir heben einfach die Augenbrauen so freundlich wie Macron, schüchtern den Straßenräuber mit einem eiskalten Putin-Blick ein, beweisen beim nächsten Hochwasser vor der Haustür mittels Raute unsere Souveränität. Oder wir verstehen einfach unsere Kunden ein kleines bisschen besser.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/19 ab Seite 124.
Alexandra Regner, PTA und Journalistin
Stefan Verra: Leithammel sind auch nur Menschen. Die Körpersprache der Mächtigen. Hardcover mit Schutzumschlag, 256 Seiten, ISBN 978-3-424-20202-1, 20 €