Parasiten
LEBEN AUF KOSTEN ANDERER
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Im antiken Griechenland wurden regelmäßig Menschen ausgewählt, die bei Opfermahlen als Stellvertreter des Volkes Speis und Trank bekamen. Man bezeichnete sie als „Parasiten“ – „Mit-Speisende“. Im Laufe der Jahrhunderte veränderte sich die Bedeutung hin zum Negativen. Zuerst wurden Menschen, die sich bei reichen Leuten zum Essen einluden, als Parasiten bezeichnet.
Später ging dieser Begriff auf Organismen über, die ihre Lebensgrundlage von anderen Organismen bezogen, ohne, wie in der Symbiose, einen Gegenwert dafür zu liefern. Parasitismus ist im gesamten Tier- und Pflanzenreich verbreitet, und auch Bakterien und Pilze gehören per definitionem zu den Parasiten.
Einer hat den Nutzen, der andere den Schaden Während bei einer Symbiose beide Parteien einander Vorteile bringen, nutzen Parasiten ihren Wirt einseitig aus. Vordergründig geschieht dies immer zum Schaden des Wirts – er wird a a geschwächt, trägt teilweise kleine Verletzungen davon oder muss mit giftigen Stoffwechselprodukten des Parasiten kämpfen. Normalerweise ist der Schaden jedoch nie so groß, dass der Wirt stirbt, denn damit würde sich der Schmarotzer ja selbst die Lebensgrundlage entziehen.
Die Evolution hat dafür gesorgt, dass nur die Parasiten überleben, die ihren Wirt am Leben lassen. Andersherum müssen die Wirte ihr Immunsystem auch immer weiter hochrüsten, um gegen die Parasiten gewappnet zu sein. Das Verhältnis Parasit-Wirt befindet sich also in einer ausgeklügelten Balance, die als „Ko-Evolution“ bezeichnet wird. Doch manchmal kippt dieses Gleichgewicht, meist zu Ungunsten des Wirts. Das kann zum Beispiel dann geschehen, wenn der Wirtskörper durch gleich mehrere verschiedene Parasiten zu stark geschwächt wird, Krankheitskeime durch von Parasiten verursachte Wunden eindringen oder die Schmarotzer selbst als Überträger (Vektoren) potenziell tödliche Krankheiten weitergeben.
Darüber hinaus gibt es Parasiten, die ihren Wirt nur so lange am Leben lassen, bis ihr Überleben gesichert ist. Ein Beispiel dafür sind Schlupfwespen, die ihre Eier in Schmetterlingsraupen ablegen. Die heranreifenden Schlupfwespen fressen ihren Wirt von innen auf, ernähren sich von Muskeln und Fettgewebe. Erst zum Schluss greifen sie das Nervengewebe an, sodass die Raupe stirbt. Doch dann sind die Schlupfwespen so weit gereift, dass sie ihren Wirt verlassen können und ein neuer Lebenszyklus beginnt. Parasiten gibt es in vielen verschiedenen Ausprägungen. Manche schmarotzen nur zeitweise, wie zum Beispiel Stechmücken.
Man bezeichnet sie als fakultative Parasiten, im Gegensatz zu den obligatorischen, die ihr ganzes Leben im oder am Wirt verbringen. Einige sind extrem spezialisiert, können nur von einem einzigen Wirt leben. Andere benötigen mehrere Zwischenwirte, bevor die sexuelle Fortpflanzung im Endwirt stattfindet. Manchmal besiedeln Parasiten auch falsche Wirte, sei es aus Versehen oder zur Überbrückung, bis sie wieder „ihren“ Wirt finden. Da sie an die Fehlwirte nur schlecht angepasst sind, schädigen sie diese meist stärker als sonstige Wirte.
Unsichtbare „Mitesser“ Mikroparasiten sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Der Wirtsorganismus merkt meist noch nicht einmal, dass er befallen ist. So siedeln auf der menschlichen Haut ungezählte Milben, und jeder zweite Deutsche hat bereits einmal den Parasit „Toxoplasma gandii“ in sich getragen, aufgenommen über Katzenkot oder rohes Fleisch. Dieser Parasit kann eine Toxoplasmose auslösen, die bei Gesunden meist unbemerkt verläuft, während einer Schwangerschaft aber Nervenschäden beim Ungeborenen auslösen kann.
Gut angepasst Meist verbindet man aber mit dem Wort „Parasit“ Makroparasiten, also kleine, unangenehme und sichtbare Krabbelviecher. Flöhe, Läuse, Wanzen, Zecken – es sind Ektoparasiten, also Schmarotzer, die auf der Oberfläche ihres Wirtes leben. Dadurch sind sie äußeren Einflüssen und Abwehrreaktionen wesentlich stärker ausgesetzt als Endoparasiten, also Schmarotzer, die im Inneren des Wirtes leben. Sie haben sich aber an diese Herausforderung gut angepasst.
Flöhe haben extrem starke Hinterbeine, die ihnen meterweite Sprünge erlauben. So können sie dem kratzenden Hundebein oder der menschlichen Hand schnell entgehen. Läuse verhaken sich so in den Haaren, dass sie auch bei großer Erschütterung nicht herunterfallen. Ihre Eier verkleben sie sogar regelrecht am Haaransatz, sodass man die Nissen nur abtöten, aber nicht entfernen kann. Zecken bohren sich mit ihrem ganzen Kopf in die Haut ihres Wirtes, ihr sackartiger Körper, der außen vor bleibt, ist extrem widerstandsfähig.
Die wichtigsten Endoparasiten sind Würmer, beim Menschen hauptsächlich der Schweine- oder Rinderbandwurm. Sie können ihren Wirt sehr stark auszehren, was bei Jugendlichen bis hin zu Wachstumsstörungen führen kann. Einzelne Segmente des Bandwurms, die Hunderte von Eiern enthalten, werden mit dem Kot ausgeschieden und gelangen so in die Umwelt, wo sie wiederum neue Wirte infizieren können.
Nur eklig? Wenn Wirt und Parasit sich durch Ko-Evolution im Laufe der Jahrtausende einem Gleichgewicht genähert haben – muss es dann nicht irgendeinen Sinn haben, dass es Parasiten gibt? Ist das Schmarotzertum wirklich nur eine Einbahnstraße? In letzter Zeit zeigen immer mehr Untersuchungen, dass Parasiten offensichtlich doch eine Funktion haben. Sie „trainieren“ nämlich durch das evolutionäre Wettrüsten ständig unser Immunsystem.
Einige Forscher glauben sogar, dass die Zunahme von Allergien nicht nur auf den fehlenden Schmutz zurückzuführen ist, den Kinder aufnehmen. Ihrer Ansicht nach ist die übertriebene Wurmfreiheit der heutigen Kinder ebenfalls dafür verantwortlich, dass Asthma und Allergien immer mehr um sich greifen. In westlichen Industrieländern ist das seit langem zu beobachten: Es gibt immer weniger Wurmkrankheiten, aber immer mehr allergische Reaktionen und Autoimmunerkrankungen. Sollten wir Parasiten also als notwendig für die Entwicklung des Immunsystems ansehen?
Hilfreiche Parasiten Wir können sogar noch weiter gehen, denn Schmarotzer können gezielt zur Bekämpfung von Krankheiten eingesetzt werden. Blutegel unterstützen die Wundheilung, sie werden daher häufig in der plastischen Chirurgie verwendet. Außerdem sollen die Saugwürmer bei Schmerzsymptomen helfen, unter anderem bei Arthrose. Die Egel werden angesetzt, beißen sich fest und saugen Blut. Dabei hemmt ihr Speichel die Blutgerinnung, sodass kleine Nachblutungen bis zu 24 Stunden anhalten können.
Der Speichel wirkt darüber hinaus entkrampfend und gefäßerweiternd. In der Therapie von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa wird der Schweinepeitschenwurm eingesetzt, dessen Larven im Darm an Ort und Stelle die Entzündungsreaktionen hemmen. Er kann dem Menschen nicht gefährlich werden, da dieser nicht sein natürlicher Wirt ist und er sich damit in ihm nicht fortpflanzen kann – die Larven sterben ab und werden ausgeschieden.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/17 auf Seite 140.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist