Sinne
LAUSCHANGRIFF
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Die Ohren sind das Tor zur Welt: Sich mit Freunden austauschen, gute Musik oder Naturgeräusche hören – das wäre ohne das Gehör nicht möglich. Es warnt uns vor Gefahren oder wirkt beruhigend, wenn wir beispielsweise angenehme Klänge wahrnehmen, während Lärm eine psychische Belastung darstellen kann. Dem Hörsinn wird alles in allem eine emotionale Bedeutung zugeschrieben. Bereits vor der Geburt kann der Embryo Töne wahrnehmen und Stimmen differenzieren. Die Stimme der Mutter ist etwas Besonderes und wirkt sich beruhigend auf das Kind aus.
Warnung vor Gefahren Die Ohren arbeiten präziser, sensibler und leistungsfähiger als die Augen. Sie sind in der Lage, zwischen zehn Oktaven zu differenzieren und reagieren auf Schallwellen im Bereich zwischen 20 und 20 000 Hertz (Hz). Am empfindlichsten ist das menschliche Gehör für Frequenzen zwischen 3500 und 4000 Hz. Darüber hinaus dienen die Ohren der Orientierung – nicht umsonst ist jeder Mensch mit zwei Ohren ausgestattet. Ihre Position auf der linken und rechten Kopfseite ermöglicht es, Geräusche zu lokalisieren. Die Signale gelangen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit unterschiedlicher Lautstärke zu den Ohren. Somit wird erkennbar, ob sich eine Geräuschquelle von links oder rechts nähert. Früher waren es Raubtiere, vor denen uns das Gehör warnte, heute ist es beispielsweise ein sich näherndes Auto im Straßenverkehr. Anders als die Augen ist das Ohr auch im Schlaf aktiviert und nimmt Alarmsignale wahr.
Wenn aus Geräuschen Lärm wird Der Reiz, der für den Hörprozess benötigt wird, ist Schall – Töne sind demnach physikalisch gesehen Schallwellen. Man unterscheidet die Schallwellen nach ihrer Frequenz (Zahl der Schwingungen pro Sekunde) und der Amplitude (Differenz zwischen maximalen und minimalen Druck). Um den menschlichen Hörbereich in Zahlen auszudrücken, verwendet man den sogenannten Schalldruckpegel, dessen Größe in der Einheit Dezibel (dB) angegeben wird. Ein Gespräch in Zimmerlautstärke entspricht einem Wert von 50 bis 60 Dezibel, ab 140 Dezibel werden Geräusche als schmerzhaft empfunden. Der bisher stärkste Lautsprecher erreicht immerhin 182 dB, während ein Gewitterdonner 120 dB beträgt.
Mehr als ein Hörorgan Ohren dienen zum einen dem Hörvorgang, zum anderen fungieren sie als Gleichgewichtsorgane zur Orientierung im Raum. Prinzipiell sind die menschlichen Ohren in gleicher Art und Weise aufgebaut wie die aller Säugetiere. Sie bestehen aus dem Außenohr, dem Mittelohr und dem Innenohr. Das Außenohr entspricht der Ohrmuschel und reicht bis zum Trommelfell. Hier liegt das Mittelohr mit den drei Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel. Der Hammer steht mit dem Trommelfell in Verbindung, es folgen der Amboss und schließlich der Steigbügel, der am ovalen Fenster endet. Die Gehörknöchelchen leiten die Schallwellen, die auf das Trommelfell treffen, an das Innenohr weiter.
Genau genommen tastet der Hammer die Schwingungen ab, der Amboss gibt sie weiter und der Steigbügel überträgt sie an das Innenohr. Dieses setzt sich aus dem Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan) und dem Hörorgan (Cochlea) zusammen. Das Gleichgewichtsorgan besteht aus drei Bogengängen und zwei Makulaorganen, welche Informationen über die Lage und die Bewegung im Raum erfassen. Die Bogengänge stellen Drehbewegungen des Kopfes fest und zwar über die Bewegungen ihrer Sinneshärchen in der dort befindlichen Endolymphe. Die Haarzellen, auf denen die Sinneshärchen sitzen, sind mit den Nervenzellen des Vestibularnervs verbunden, sodass hier die Weiterleitung der Reize zu den unterschiedlichen Bereichen des Gehirns beginnen kann.
Bei der Cochlea handelt es sich um einen eingerollten Schlauch mit zwei Gängen, die Flüssigkeit enthalten. In deren Mitte liegt die cochleäre Trennwand mit einem weiteren Gang, an den die Basilarmembran mit dem Corti-Organ angrenzt. Die Bewegungen der Basilarmembran werden durch das Corti-Organ in Nervensignale übersetzt. Die Informationen gelangen schließlich über Fasern des Hörnervs in das verlängerte Rückenmark (Medulla oblongata) und über verschiedene Stationen in die Hörrinde des Gehirns. Diese ist in der Großhirnrinde lokalisiert, dort findet die Verarbeitung und das Bewusstwerden von akustischen Reizen statt.
Selektive Geräuschintoleranz Hören ist eng mit Emotionen verbunden: So kann ein schönes Lied den Hörer zu Tränen rühren, während man vom Schnarchen einer anderen Person schnell genervt ist. Krankhaft ist es, wenn Menschen einen Hass auf Geräusche entwickeln und gewisse Laute, wie etwa Schlürfen, Schmatzen, Gähnen oder Atmen, kaum ertragen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich die Geräuschempfindlichkeit, in der Fachsprache Misophonie genannt, insbesondere auf nahestehende Bezugspersonen bezieht, was sehr belastend ist, da sich die Wut ausgerechnet gegen geliebte Menschen richtet. Anders als bei Phobien dominieren keine Gefühle der Angst, sondern Emotionen wie Ekel, Wut oder Aggression.
Betroffene versuchen in der Regel, den Geräuschen zu entkommen. Die Ursachen der selektiven Geräuschintoleranz sind noch weitgehend ungeklärt. Personen mit Misophonie berichten gelegentlich darüber, die Wut bei bestimmten Geräuschen bereits in der Kindheit wahrgenommen zu haben. Der Psychiater Damiaan Denys von der Freien Universität Amsterdam gibt an, dass Misophoniker bei Beginn der Erkrankung im Mittel 13 Jahre alt seien. Ein vorausgegangenes belastendes Ereignis wie bei der posttraumatischen Belastungsstörung sei in der Regel nicht zu identifizieren. Forscher der Universität Newcastle in England beobachteten, dass die Reize zu einer Aktivierung der vorderen Inselrinde führten. Hier findet die Verknüpfung von Sinneseindrücken mit Emotionen statt.
Mit den Ohren orientieren Wer von Geburt an blind ist, verfügt über ein ausgeprägtes Hörvermögen. Betroffene verarbeiten Sprachreize schneller und orten Schallquellen besser als sehende Personen. Sie profitieren auch vom sogenannten Cocktailparty-Effekt (siehe auch Seite 87), das heißt sie verfügen auch bei einer Geräuschkulisse, zum Beispiel bei Gruppengesprächen oder Musik im Hintergrund, über ein gutes Sprachverstehen. Blinde orientieren sich also nicht nur durch Tasten mit dem Blindenstock, sondern erkennen auch anhand des Klangs, wo sie sich (etwa an einer Straße oder in einem Tunnel) befinden.
TaubstummheitVerlust mit weitreichenden Folgen Eine beginnende Schwerhörigkeit stellt einen schleichenden Prozess dar, der von Betroffenen nicht immer selbst erkannt wird. Häufig hören Schwerhörige zunächst Naturgeräusche oder leise summende Geräusche (wie etwa den Kühlschrank) nicht mehr. Oft fällt den Angehörigen zuerst auf, dass etwas nicht stimmt, wenn etwa der Fernseher oder das Radio viel zu laut eingestellt werden. Außerdem sind Schwerhörige in der Regel schneller erschöpft, da der Hörprozess sie sehr anstrengt. Problematisch ist auch, dass der Hörverlust zu sozialen Einschränkungen führen kann und Kontakte im Berufs- oder Privatleben zur Herausforderung werden. Mit einem Hörgerät kann man Abhilfe schaffen.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/2020 ab Seite 90.
Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin