Das große Krabbeln
KOPFLÄUSE
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Gesicherte statistische Daten zur Häufigkeit von Kopflausbefall existieren nicht. Nach Schätzung des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen erkrankt jedoch ein Drittel der Kinder bis zur Volljährigkeit mindestens einmal an Pediculosis capitis. Und damit ist die Pedikulose bei uns – nach grippalen Infekten – die zweithäufigste Infektionskrankheit überhaupt. Jährlich sind es etwa 1,5 Millionen Behandlungsfälle, mit deutlichem Schwerpunkt in der Zeit nach den großen Ferien.
Die Übertragung erfolgt in aller Regel von Mensch zu Mensch, genauer gesagt von Kopf zu Kopf – und das ganz unabhängig von den hygienischen Verhältnissen. Insofern kann jeder Mensch von den Ektoparasiten befallen werden. Kinder, die in Kindergärten, Tageseinrichtungen und Schulen ihre Köpfe oft dicht an dicht stecken, sind jedoch wesentlich häufiger betroffen als Erwachsene.
Haben sich die blutsaugenden Krabbeltierchen erst auf dem Haupt ausgebreitet, haben Patienten und besorgte Eltern verständlicherweise den dringenden Wunsch, die ungebetenen Gäste schnell wieder loszuwerden. In der Apotheke erkundigen sie sich nach einem geeigneten Präparat gegen Kopflausbefall. Für Sie als PTA eine echte Herausforderung, denn verständlicherweise möchten Ihre Kunden ein schnell wirksames Mittel haben; eines, das – richtig angewendet – für die Jüngsten gut verträglich ist und den Läusen sowie ihren Nissen zuverlässig den Garaus macht: einen „Alleskönner“ eben – geprüft, sicher, zuverlässig, bewährt und einfach anzuwenden.
Geprüft Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Pedikuloziden für die topische Anwendung. Für die Behandlung kommen laut Robert Koch-Institut primär solche Präparate infrage, die nach Infektionsschutzgesetz auf Wirksamkeit und Verträglichkeit geprüft und anerkannt sind. Die behördliche Prüfung umfasst die Wirksamkeit (zuständig ist das Umweltbundesamt) sowie die gesundheitliche Unbedenklichkeit bei Anwendung am Menschen (zuständig ist das Bundesinstitut für Risikobewertung). In einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit heißt es: „Alle Mittel werden – gerade weil es unter anderem auch um die Behandlung von Kindern geht – erst dann zugelassen, wenn die Umweltverträglichkeitsprüfung im Umweltbundesamt (UBA) durchgeführt und die Verträglichkeit am Menschen vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) geprüft wurde.“
Zu den zugelassenen Präparaten gegen Kopflausbefall zählen heute einerseits insektizide Arzneimittel mit den Wirkstoffen Pyrethrumextrakt, Permethrin und Allethrin. Der Wirkstoff Lindan ist aufgrund potenzieller schwerer Schadwirkungen seit einigen Jahren in der EU nicht mehr zur Kopflausbehandlung zugelassen. Beim natürlichen Pyrethrumextrakt, kurz als Pyrethrum bezeichnet, handelt es sich um einen aus Chrysanthemen gewonnenen Extrakt. Hinter Permethrin und Allethrin verbergen sich davon abgeleitete synthetische Pyrethroide.
Die chemischen Pedikulozide wirken durch Kontakt mit den Läusen, sie töten die Parasiten, indem sie ihr Nervensystem lahm legen. Neben den genannten insektiziden Arzneimitteln sind auch drei Medizinprodukte behördlich anerkannt. Sie enthalten als Wirkstoffe das chemische Silikonöl Dimeticon beziehungsweise pflanzliches Sojaöl sowie waschaktive Substanzen auf Basis von Kokosöl. Diese Präparate wirken, indem sie die Läuse ersticken.
DAS AUS FÜR DIE LAUS
Folgende Behandlungsstrategie gegen Kopfläuse empfiehlt das Robert Koch-Institut:
+ Tag 1: mit einem Insektizid behandeln und anschließend nass auskämmen
+ Tag 5: nass auskämmen, um früh nachschlüpfende Larven zu entfernen, bevor sie mobil sind
+ Tag 8, 9 oder 10: erneut einmalig mit dem Insektizid behandeln, um spät schlüpfende Larven
abzutöten
+ Tag 13: Kontrolluntersuchung durch nasses Auskämmen
+ Tag 17: evtl. letzte Kontrolle durch nasses Auskämmen
Sicher Als weniger toxisch und damit gesundheitlich auch weniger bedenklich, werden die physikalisch wirkenden Medizinprodukte häufig beworben. Jedoch müssen diese Aussagen durchaus kritisch hinterfragt werden: Denn im Vergleich zu den insektiziden Arzneimitteln sind viele, vor allem nicht behördlich anerkannte Medizinprodukte erstens weniger gut untersucht und besitzen größtenteils einen kürzeren Erfahrungshintergrund in der praktischen Anwendung.
Entsprechend unzureichend ist der Kenntnisstand hinsichtlich unerwünschter Nebenwirkungen dieser Mittel, zumal laut Medizinproduktegesetz (MPG) in ihrem Fall dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nur Vorkommnisse gemeldet werden müssen, die zum Tod oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands geführt haben (arznei-telegramm 2008; Jg. 39, Nr. 12).
Zweitens durchlaufen Medizinprodukte kein behördliches Zulassungsverfahren nach Arzneimittelgesetz (AMG). Laut Gesetz dürfen sie vielmehr schon dann in Verkehr gebracht werden, wenn sie eine CE-Kennzeichnung tragen. Diese darf angebracht werden, wenn die Produkte die grundlegenden Anforderungen gemäß Richtlinie 93/43/EWG erfüllen und das vorgeschriebene Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt wurde. Bei Arzneimitteln sind für die gesetzliche Zulassung nach AMG zwingend die Ergebnisse klinischer Prüfungen zu erbringen.
Fazit: Bei insektiziden Kopflausarzneimitteln (z. B. Goldgeist forte®) besteht der Nachweis ihrer Unbedenklichkeit aufgrund der Arzneimittelzulassung, die eine Toxizitätsbewertung einschließt und im Rahmen der behördlichen Anerkennung nach Infektionsschutzgesetz noch einmal zusätzlich überprüft und verifiziert wird. Die geringe Toxizität von insektiziden Kopflausmitteln für den Menschen wird in zahlreichen Untersuchungen bestätigt.
In gebräuchlicher Dosierung werden die Wirkstoffe so gut wie nicht dermal resorbiert. Außerdem kann der Mensch – im Gegensatz zu Läusen und anderen Kaltblütern mit langsamem Stoffwechsel – geringfügige Mengen deutlich besser abbauen und ausscheiden. Zu den eingesetzten insektiziden Wirkstoffen gibt es zudem langjährige Erfahrungen mit über 200 Millionen behandelten Patienten. Im Verhältnis zu dieser hohen Zahl sind die Fälle mit unerwünschten Wirkungen äußerst spärlich.
Zuverlässig „Sind Kopfläuse denn nicht längst resistent gegen klassische Läusemittel?“ Mit dieser Frage verunsicherter Kunden werden Sie als PTA sicherlich häufiger konfrontiert, seit das Universitätsklinikum Kiel vor etwa zwei Jahren die Ergebnisse einer Laboruntersuchung veröffentlicht hat: Alle untersuchten Läuse wiesen eine Genmutation auf, die sie möglicherweise unempfindlich gegen insektizide Wirkstoffe, also gegen Pyrethrum, Permethrin und Allethrin, machen könnte.
Durch Mutation am so genannten kdr-Gen tritt der Knock-Down-Effekt der Läusemittel verzögert ein. Darunter verstehen Experten denjenigen Wirkmechanismus eines Pedikulozids, durch den die Läuse gelähmt werden. Ist der Knock-Down-Effekt herabgesetzt, bleiben die Läuse länger bewegungsfähig. Das bedeutet zum Glück jedoch nicht zwangsläufig, dass die Therapie versagt. Denn: Die klinische Wirksamkeit eines Kopflausmittels hängt primär von seiner umfassenden Kill- Wirkung, also dem abtötenden Effekt auf die Parasiten, ab. Dieser Kill-Effekt wird neueren Untersuchungen zufolge von der kdr-Genmutation nicht beeinträchtigt.
Bewährt Resistenzen gegen synthetische Wirkstoffe wie Permethrin und das (bei uns nicht zugelassene) Malathion wurden weltweit mehrfach nachgewiesen. Resistenzen gegen Pyrethrum (Wirkstoff in Goldgeist forte®) sind dagegen kaum verbreitet. Ein Grund: Pyrethrum besteht aus sechs wirksamen Bestandteilen mit unterschiedlicher chemischer Struktur, die unabhängig voneinander die Laus schädigen.
Betrifft die Resistenz, wie beschrieben, lediglich den Knock-Down-Effekt, beeinflusst dies nicht zwangläufig die Aktivität anderer Bestandteile, die primär für den Kill-Effekt verantwortlich sind. Dies belegen auch aktuelle Untersuchungen französischer Wissenschaftler mit resistenten Anophelesmücken. Das Vorliegen einer kdr-Genmutation hatte keinen größeren Einfluss auf den Kill-Effekt von Pyrethrum. Gut zu wissen: In Arzneimittelform wird der Chrysanthemenwirkstoff Pyrethrum mit dem Synergisten Piperonylbutoxid kombiniert. Dieser Hilfsstoff verstärkt die Knock-Down und die Kill-Wirkung, indem er vor allem den enzymatischen Abbau der Insektizide im Lausorganismus verhindert. Auf diese Weise wird die klinische Wirksamkeit von Pyrethrum um ein Vielfaches gesteigert.
Einfach Geprüfte und behördlich anerkannte Pedikulozide sind nicht nur sicher, sondern prinzipiell auch anwenderfreundlich. Durch eine vergleichsweise kurze Einwirkzeit zeichnet sich Pyrethrumextrakt aus. Wie das Läusemittel der Wahl richtig dosiert und aufgetragen wird, wie lange es einwirken muss und wie es wieder sachgemäß ausgewaschen wird, darüber informiert die jeweilige Packungsbeilage detailliert.
Tipp: Gehen Sie den Beipackzettel falls erforderlich gemeinsam mit Ihren Kunden durch, um Anwendungsfehler zu vermeiden, dadurch den Therapieerfolg zu gefährden und unter Umständen sogar das Überleben besonders unempfindlicher Läuse zu fördern. Wenn eine Kopflaustherapie nicht anschlägt, liegt die Ursache nach Expertenmeinung in den meisten Fällen darin, dass die Behandlungsvorschriften nicht eingehalten werden. Darauf weist auch das Robert Koch-Institut hin.
Mögliche Fehler in der Behandlung, die das Überleben nicht nur von Nissen, sondern auch von Larven oder Läusen begünstigen, sind:
- zu kurze Einwirkzeit k zu sparsames Ausbringen des Mittels
- ungleichmäßige Verteilung des Mittels
- zu starke Verdünnung des Mittels in triefend nassem Haar
- Unterlassen der Wiederholungsbehandlung.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu wissen, dass Läuse gegenüber allen Läusemitteln eine natürliche Verhaltensresistenz besitzen. Darunter wird die Fähigkeit verstanden, schädigenden Einflüssen auszuweichen. Die Parasiten können beispielsweise ihre Tracheen verschließen und den Stoffwechsel verlangsamen und so länger ohne Sauerstoffaufnahme überleben. Durch Veränderung der Druckverhältnisse sind sie zudem in der Lage, Fremdstoffe aus den Atmungsorganen „abzuhusten“.
Problematisch wird diese Verhaltensresistenz bei unsachgemäßer Anwendung von Pedikuloziden. Sie ermöglicht es widerstandsfähigen Läusen, im Gegensatz zu den weniger robusten Artgenossen, die Behandlung zu überleben. Als Folge daraus können sich entsprechend widerstandsfähige Läuse im Sinne einer Population mit erhöhter Vitalitätstoleranz weiter verbreiten.
Fazit Therapieversagen ist meist keine Folge von Resistenzen, sondern das Ergebnis falscher Mittelanwendung. Vor allem bei insektiziden Arzneimitteln ist die Gefahr groß, dass Anwender – aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen – zu sparsam dosieren oder zu kurz einwirken lassen. Hier ist Aufklärungsarbeit erforderlich. Und dazu können Sie als PTA maßgeblich beitragen: Weisen Sie Kunden – vor allem besorgte Eltern – immer auf die geprüfte Sicherheit der entsprechenden Präparate und auf die Notwendigkeit der vorschriftsmäßigen Anwendung hin.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/11 ab Seite 52.
Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin