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Psychologie in der Apotheke

KEINE EINBILDUNG

Verschiedene Studien zeigen, dass und auch wie der Placebo-Effekt wirkt. Aufgrund der positiven Wirkung empfehlen zahlreiche Experten, die Scheinmedikamente häufiger einzusetzen.

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Placebo ist ein Reizwort – das machte im Jahr 2018 ein Shitstorm auf Twitter deutlich, den Apotheker Michael Becker erntete, als er ein neues Produkt in den Online-Shop seiner Apotheke, die sogenannten „Placebo-Globuli“, einstellte. Dabei handelte es sich um Zuckerpillen ohne Wirkstoff, zum Beispiel für Geschwisterkinder, die neidisch auf „echte Globuli“ von Bruder oder Schwester sind. Auf Twitter entfachte sich eine Grundsatzdiskussion über die Homöopathie mit der Frage, ob entsprechende Medikamente nicht grundsätzlich den Placebos zuzuordnen seien. Dabei ist es eigentlich nicht ungewöhnlich, dass auch Placebos in Apotheken hergestellt werden.

Kontinuierliche Entwicklung Obwohl die Einflüsse einer Placebo-Therapie seit ewigen Zeiten bekannt sind, möchte kaum ein Kunde lediglich mit Zuckermedikamenten und guten Worten behandelt werden – immerhin zweifeln viele Menschen daran, dass der Glaube wirklich etwas bewirken kann. Doch bereits der griechische Arzt Hippokrates machte sich in der Antike die Wirkung der Scheinmedikamente zunutze und wandte Methoden an, die eigentlich wirkungslos waren, aber die Beschwerden trotzdem linderten. Im Mittelalter arbeiteten Heiler ebenfalls mit Placebo-Verfahren. Schließlich begann das wissenschaftliche Interesse an dem Thema im zweiten Weltkrieg: Chirurgen verabreichten verwundeten Soldaten Kochsalzlösungen, wenn sie kein Morphin mehr vorrätig hatten, und linderten damit die Schmerzen.

Der Militärarzt Henry Beecher beschäftigte sich von da an genauer mit dem Placebo-Effekt, auf ihn geht auch das Studiendesign der Doppelblindstudien zurück. Der lateinische Begriff Placebo bedeutet „ich werde gefallen“, es handelt sich dabei um ein Scheinmedikament, also ein Arzneimittel, das keinen Wirkstoff enthält. Die Bezeichnung steht in der Medizin auch für eine Therapie, bei der die Erwartung, dass sie anschlägt, bereits positive Effekte auslöst.

Eine häufig zitierte Definition stammt von Shapiro (1997) und lautet: „Ein Placebo ist jede Therapie (oder ein Teil davon), die absichtlich oder wissentlich wegen ihres unspezifischen, psychologischen, therapeutischen Effekts oder in der Annahme eines spezifischen therapeutischen Effekts für den Patienten, für ein Symptom oder für eine Krankheit genutzt wird, aber für die Behandlungsindikation keine spezifische Wirkung hat. Der Placebo-Effekt ist der nichtspezifische psychologische oder psychophysiologische therapeutische Effekt, den ein Placebo hervorruft.“ Tabletten aus Zucker oder Stärke sowie eine physiologische Kochsalzlösung können beispielsweise als Placebos fungieren.

„Dieses Medikament wird Ihnen sicher helfen“, sind Worte, die die Wirkung des Arzneimittels positiv verstärken.

Teuer wirkt besser Der US-​amerikanische Psychologie-Professor Dan Ariely ist der Auffassung, dass der Placebo-Effekt über die faszinierendsten und am wenigsten genutzten Kräfte des Universums verfüge. Ariely und sein Forscherteam fanden heraus, dass ein teures Scheinmedikament besser wirkt als ein billiges. Die Wissenschaftler verabreichten Probanden angebliche Schmerzmedikamente und zeigten, dass alleine der Gedanke, dass die teure Medikamentenvariante besser anschlage, den analgetischen Effekt verstärkte. Somit machte Ariely deutlich, dass nicht nur die subjektiven Erwartungen, sondern auch die Preisinformationen einen Einfluss auf den Therapieerfolg haben. Ulrike Bingel, Professorin für Klinische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Essen betreibt ebenfalls Placebo-Forschung und konnte nachweisen, dass Placebo-Effekte die Wirkung von Schmerzmitteln steigern können.

Sie erzeugte bei ihren Probanden Schmerzreize, die sie mit dem Schmerzmittel Remifentanil per Tropf behandelte. Die Verabreichung des Medikaments verknüpfte sie mit einer positiven oder negativen Erwartung („Wir schalten den Tropf jetzt ein.“ oder „Wir schalten den Tropf jetzt ab.“), wobei der Tropf immer weiter lief. Die Aussage hatte verschiedene Auswirkungen: Positive Erwartungen verdoppelten den schmerzstillenden Einfluss, während gegen negative Erwartungen auch das Remifentanil nicht ankam. Bedeutung hat die Studie für die Beratung in der Apotheke insofern, dass es PTA und Apotheker am Herzen liegen sollte, Kunden die Sorgen zu nehmen und mit ihnen zusammen positive Erwartungen bezüglich ihrer Therapie aufzubauen. Sinnvoll ist es, bei der Medikamentenabgabe den Kunden mit Sätzen wie: „Das wird ihnen sicher helfen.“, zu unterstützen.

Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass der Körper bei Patienten, die erwarten, dass ein analgetisches Placebo hilft, schmerzstillende Hormone ausschüttet – gesteuert wird dies vom Gehirn. Das konnten beispielsweise Hamburger Forscher zeigen, die im Rahmen ihrer Untersuchung mithilfe der funktionellen Kernspintomographie Schnittbilder vom Gehirn aufnahmen und in einigen Hirnarealen eine erhöhte Aktivität nachwiesen. Der Mechanismus ist somit keineswegs nur Einbildung und zeigt, wie wichtig die Rahmenbedingungen einer Therapie sind. Auch der Orthopäde Bruce Moseley aus Houston lieferte beeindruckende Ergebnisse: Er führte in seiner Studie Operationen an Personen mit Kniebeschwerden durch und teilte sie in drei Gruppen ein. Bei einer Gruppe nahm er eine Operation vor, bei der zweiten Gruppe spülte er lediglich das Knie und die dritte Gruppe wurde einer Scheinoperation unterzogen.

Der Chirurg ritzte ihnen die Haut an der Stelle auf, an der das Endoskop eingeführt wird, außerdem spielte er über Band Operationsgeräusche ein. Nach zwei Jahren ging es den operierten Patienten nicht besser als den Versuchspersonen, an denen nur der Placebo-Eingriff erfolgt war. Ob ein Placebo-Effekt eintritt, hängt von den folgenden Faktoren ab: Erwartung: Die innere Zuversicht einer Person, dass das Arzneimittel wirkt, ist ebenso wie eine vertrauensvolle Beziehung zum Arzt von entscheidender Bedeutung. Erfahrung: Positive Wirkungen in der Vergangenheit führen zu (teils unbewussten) Erinnerungen an den Erfolg und verstärken den Placebo-Effekt. Verstärkung: Erklärt der Arzt oder der Apotheker den Effekt so, dass sich der Patient/Kunde ein Bild machen kann, wirkt sich dies ebenfalls verstärkend aus.

Ich werde schaden Die eigene Einstellung kann allerdings nicht nur heilen, sondern auch krank machen. Negative Erwartungen einer Behandlung können sogar zu körperlichen Beschwerden führen, der Begriff für dieses Phänomen ist der Nocebo-Effekt. Nocebo (als Pendant zum Placebo-Effekt) stammt ebenfalls aus dem Lateinischen und wird übersetzt mit: „Ich werde schaden.“ Es ist bekannt und wissenschaftlich bestätigt, dass Personen, die bei einer Medikamenteneinnahme ausführlich den Beipackzettel studieren, häufiger unter den beschriebenen Begleiterscheinungen leiden. Für PTA und Apotheker bedeutet dies, beunruhigte Kunden zu informieren und ihnen die Angst vor den Nebenwirkungen zu nehmen. Umfangreiche Forschungen zu dem Thema können jedoch nicht betrieben werden, da diese ethisch kaum vertretbar wären, denn sie beabsichtigen, bei gesunden Menschen psychische und/oder körperliche Symptome zu provozieren.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/20 ab Seite 52.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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