Tetrahydrocannabinol
HOFFNUNGSTRÄGER CANNABIS
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Bisher mussten die Patienten die Kosten selbst tragen, brauchten zudem eine Ausnahmegenehmigung des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm). Die war schwer zu bekommen – zum einen lag die Beweislast beim verschreibenden Arzt (keine andere Therapie half), zum anderen waren die Hürden so hoch, dass fast die Hälfte der Antragsteller abgelehnt wurde.
BTM gegen Coffee-Shop Einige Menschen, die unter dem Tourette- Syndrom, an Multipler Sklerose und Parkinson, an spastischen Krämpfen und ausgeprägten Formen von ADHS litten, hatten es per Selbstversuch bereits ausprobiert, durften sich jedoch nicht erwischen lassen: Einen Joint zu rauchen war bis 2007 praktisch illegal. Cannabis unterlag dem Betäubungsmittelgesetz als nicht verkehrsfähig (das wurde erst 2012 geändert), Besitz, Handel und Anbau waren verboten. Während im benachbarten Holland das Marihuana in Coffee-Shops ganz legal für den Freizeitgebrauch über die Theke ging, rückte hierzulande die Polizei aus. Dass Cannabis – also entweder die getrockneten Blüten der weiblichen Hanfpflanze (Marihuana) oder ihr getrocknetes Harz (Haschisch) – eine medizinische Wirkung hat, wussten bereits die Chinesen. Vor rund 5000 Jahren empfahlen es auch die Ägypter bei bestimmten Krankheiten; Hildegard von Bingen (1098–1179) erwähnte ihn in ihren heilkundlichen Schriften. Und im 19. Jahrhundert waren cannabishaltige Tinkturen ein beliebtes Schlafmittel: „Bromidium“ enthielt Teile der Hanfpflanze, zusammen mit Bilsenkrautextrakt, Kaliumbromid und Chloralhydrat. Es garantierte einen festen Schlaf, man durfte nur nicht zu viel davon nehmen, dann währte er ewig. Als erster Arzt der Neuzeit verwies William O’Shaughnessy um 1840 auf die schmerzstillende, krampflösende und muskelentspannende Wirkung von Cannabis indica hin.
Süßlicher Geruch Doch dann gerieten die speziellen Pflanzenteile gehörig in Verruf. Die gängigen Präparate verschwanden zugunsten nebenwirkungsärmerer und besser einzustellender Mittel; die psychotrope Wirkung rückte in den Vordergrund. Staatliche Stellen verboten ihn fast vollständig; die weiblichen Blüten von Cannabis flos wurden umhüllt von unförmigem, tütenförmig gebundenem Zigarettenpapier, das verbrannt süßlich roch und gern ausgelassen feiernden und einem Drogenrausch nicht abgeneigten Hippie-Versammlungen zugeschrieben wurde. Man verbuk es in Hasch-Keksen, zog das eine oder andere illegale Pflänzchen auf der Fensterbank, mehr zum Spaß als aus medizinischer Notwendigkeit. Doch Konsumenten wurden nicht immer nur lustig nach dem rauschhaften Rauch: Manchmal zeigte das Cannabis seine unangenehmen Nebenwirkungen in Form von Unruhe, Angstzuständen und Panikattacken. Vor allem auf das Gehirn Heranwachsender soll es negative Begleiterscheinungen haben. Doch wurden Cannabis- Befürworter nicht müde, das „Gras“ mit der legalen Droge Alkohol zu vergleichen: Rund 70 000 Menschen sterben pro Jahr an den Folgen von Schnaps und Co. Unter Cannabis- Konsumenten gibt es kein einziges nachgewiesenes Todesopfer.
Helfer in der Not Dass ein Joint oder auch das Öl wirklich gegen ihre Schmerzen und Krämpfe half, gegen die Übelkeit einer Chemotherapie, gegen epileptische Anfälle, den Morbus Crohn oder die Ausfälle des Tourette-Syndroms, das wussten vor allem die Erkrankten. Die mussten sich die Substanz aus dem Ausland beschaffen oder später eine der raren Ausnahmegenehmigungen des BfArM besorgen. Den der neuen, alten Therapie gegenüber aufgeschlossenen Ärzten wurde es schwer gemacht: Sie mussten darlegen, dass alle anderen Therapieoptionen ausgereizt, die Leiden des Patienten unerträglich waren – und dann konnte das BfArM den Erwerb und Gebrauch der getrockneten Blüten oder des Öls immer noch ablehnen. Das ist jetzt anders. Experimentiert wird jetzt höchstens noch mit der Darreichungsform: Verdampft in einer Art Zigarettenspitze (Vaporisator) kann der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol inhaliert werden oder mit einem Mundspray unter die Zunge gesprüht werden. Die halbsynthetische Variante Dronabinol darf als Rezeptursubstanz weiterverarbeitet werden. Derzeit wird auch an industriell hergestellten Subligualplättchen gearbeitet. Und im Februar erschien folgende Stellenanzeige auf der Homepage des BfArm: „In der neu zu entrichteten Cannabisagentur ist ab dem 1. März 2017 die Stelle einer/eines Wissenschaftlerin/ Wissenschaftlers zu besetzen. Hauptaufgabe ist unter anderem: Planung und Organisation der Inbesitznahme und der effektiven Weitergabe des Cannabis in das Vertriebssystem“, was die „Bild-Zeitung“ prompt in die Überschrift übersetzte: „Bund sucht drei Cannabis- Dealer“.
Sauberes Arzneimittel Doch das ist es gerade nicht. Cannabis soll aus der Schmuddelecke herausgeholt werden; Ziel der Stellanzeige ist ein unter staatliche Aufsicht gestellter Anbau der Hanfpflanzen. Denn zurzeit muss die Droge noch aus den Niederlanden importiert werden; der Eigenanbau ist in Deutschland nach wie vor verboten. Zeitgleich mit der Umsetzung des neuen Gesetzes soll eine Begleitstudie des BfArM starten, in der die therapeutische Wirkung von Medizinalhanf untersucht wird.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/17 ab Seite 66.
Alexandra Regner, PTA, Journalistin und Redaktion