Krebserkrankungen
HOFFNUNG DURCH NEUE THERAPIEN
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Jedes Jahr erkranken in Deutschland eine halbe Million Menschen an Krebs. Nach Herz-Kreislauferkrankungen ist er hierzulande die zweithäufigste Todesursache. Die Diagnose trifft meist Menschen in der Lebensmitte oder danach und stürzt sie oft in tiefe Krisen. Die Ohnmacht darüber, dass andere bestimmen, was für einen selbst gut ist, schlägt bei Krebs so hohe Wellen wie bei sonst kaum einer Krankheit. So zum Beispiel im Fall des neuen Wirkstoffs Palbociclib, der bei fortgeschrittenem Brustkrebs zugelassen ist. Er wird möglicherweise wieder vom Markt verschwinden, weil ihm der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keinen Zusatznutzen gegenüber herkömmlichen Wirkstoffen attestiert hat. Dass Palbociclib in den Studien das Wachstum des Tumors um bis zu 10 Monate aufhalten konnte, was Schmerzen und erneute Therapien verzögern kann, wurde nach Ansicht vieler Betroffener vom G-BA nicht ausreichend gewürdigt – und das macht sie wütend. Denn auch wenn das zeitweise Aufhalten der Erkrankung die Lebenszeit nicht unbedingt verlängert, kann die Lebensqualität in dieser Zeit deutlich besser sein.
Methadon gegen Hirntumore? Ähnlich hitzig diskutiert man seit Monaten das Thema Methadon gegen Krebs. Eine Chemikerin der Uniklinik Ulm fand im Labor heraus, dass Methadon die Zellen von Hirntumoren so verändert, dass sie Zytostatika leichter aufnehmen, was ihre Wirksamkeit gegen den Krebs steigern könnte. Große klinische Studien, die das belegen, gibt es jedoch noch nicht, und so weigern sich viele Ärzte, ihren Krebspatienten Methadon zu verschreiben, zumal das Opioid nicht nebenwirkungsfrei ist. Für viele Krebspatienten ist das unterlassene Hilfeleistung. Ein Dilemma, das der Krankheit inhärent ist: Forschung braucht Zeit, doch die haben viele Betroffene nicht mehr. Ihnen bleiben die Krebstherapien, die jetzt state of the art sind. Gut, dass sich hier in den vergangenen Jahren viel getan hat. Krebstherapien richten sich heute gegen spezifische molekulare Eigenschaften der Tumorzellen, die gesunde Zellen nicht aufweisen. Sie sind daher wesentlich zielgerichteter als herkömmliche Chemotherapien, die alle Zellen angreifen, die sich teilen.
Die Anfänge 1998 wurde in der EU mit Rituximab der erste monoklonale Antikörper für die Krebstherapie zugelassen. Das biotechnologisch hergestellte Protein gilt heute als Vorreiter der gezielten Krebsimmuntherapie. Rituximab wirkt auf einen speziellen Biomarker, das Zelloberflächenmolekül CD20, das zum Beispiel bei vielen Non-Hodgkin-Lymphomen vorkommt. Rituximab bindet daran und markiert die Tumorzelle so für das körpereigene Immunsystem, die sie angreift und zerstört. Gleichzeitig kann Rituximab die Tumorzellen auch in den programmierten Zelltod (Apoptose) treiben. Mittlerweile gibt eine Vielzahl von monoklonalen Antikörpern gegen Krebs
Signalweg stören Einer davon besteht darin, die Signale zu unterbinden, die Krebszellen zur ständigen Teilung anregen. Diese Signale kann man mit monoklonalen Antikörpern wie Cetuximab hemmen, die statt der Wachstumsfaktoren gezielt an die jeweiligen Rezeptoren binden und sie damit blockieren. Andere Wirkstoffe, die Kinaseinhibitoren, blockieren Moleküle wie die Tyrosinkinasen, die an der Signalkette innerhalb der Zelle beteiligt sind. Wachstumsfaktoren können dann zwar weiterhin außen andocken, ihr Signal wird aber nicht mehr bis zum Zellkern übertragen. Kinasehemmer können die Signalkette zudem auch dann hemmen, wenn sie durch die Mutation eines ihrer Moleküle auch ohne Bindung eines Wachstumsfaktors immer aktiv ist. Ein Beispiel hierfür ist Imatinib, einer der ersten Kinasehemmer, der seit 2001 vor allem bei der chronisch-myeloischen Leukämie (CML) zur Anwendung kommt. Hierbei führt ein genetischer Defekt dazu, dass die Tyrosinkinase c-Abl ständig aktiv ist, was zu einer ungeregelten Produktion von weißen Blutkörperchen führt. Imatinib kann das Blutbild bei 95 Prozent der Patienten wieder normalisieren. Mittlerweile gibt es eine Fülle von Kinaseinhibitoren, die bei vielen Tumorformen zum Einsatz kommen und die oft sogar unterschiedliche Moleküle einer Signalkette gleichzeitig hemmen können (Multikinase-Inhibitoren, z. B. Sunitinib, Sorafenib). Ebenfalls in die Signalübertragung innerhalb der Tumorzelle greifen mTOR-Inhibitoren wie Everolimus ein, der zum Beispiel in der Zweitlinientherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms eingesetzt wird.
Immunsystem stärken Manche Krebszellen entziehen sich der Zerstörung durch die körpereigene Abwehr, indem sie einen Mechanismus der T-Zellen aktivieren, der eigentlich nur eine zu starke Immunantwort verhindern soll. Monoklonale Antikörper, sogenannte Immun-Checkpoint-Inhibitoren, können diese Blockade an den T-Zellen lösen, sodass sie den Tumor wieder angreifen können. Bisher gibt es nur wenige Immun-Checkpoint-Inhibitoren, wie etwa Ipilimumab, der beim malignen Melanom eingesetzt wird.
Versorgung abschneiden Bedingt durch ihr schnelles Wachstum, brauchen Tumoren viel Sauerstoff und Nahrung. Um diese zu gewährleisten, regen sie die Neubildung von Blutgefäßen (Angiogenese) mithilfe des Wachstumsfaktors VEGF an, den sie ins Blut abgeben. Spezielle Antikörper wie Bevacizumab können die Angiogenese hemmen, indem sie die Bindung von VEGF an seine Rezeptoren auf der Zelloberfläche verhindern. Daneben können Multikinasehemmer wie Sorafenib aber auch die Weiterleitung des VEGF-Signals in der Zelle blockieren.
In den Selbstmord treiben Durch den hohen Umsatz entstehen gerade bei Tumorzellen große Mengen an Eiweißabfallprodukten, die entsorgt werden müssen, damit die Zelle nicht an ihrem Müll erstickt. Zuständig dafür ist das Proteasom, ein Enyzmkomplex. Wird seine Arbeit durch Proteasom-Inhibitoren wie Bortezomib gehemmt, werden zunächst Zellwachstum und Angiogenese behindert und schließlich der programmierte Zelltod eingeleitet. Mit Bortezomib konnten insbesondere beim multiplen Myelom deutliche Verbesserungen des Behandlungserfolgs erzielt werden.
Nicht für jeden geeignet Die neuen Krebstherapien haben sich besonders erfolgreich bei Blutkrebs erwiesen, werden aber auch bei Lungen-, Darm-, Brust-, Nieren- und Hautkrebs eingesetzt. Dabei sind manche der Wirkstoffe nur für bestimmte Patientengruppen geeignet, weil nur sie die spezielle Mutation aufweisen, bei denen das Medikament wirksam ist. In den meisten Fällen kommen sie zudem erst im metastasierten Stadium zum Einsatz und können dort keine Heilung herbeiführen. Dennoch weisen die bereits erzielten Erfolge darauf hin, dass die Zukunft der Krebsbehandlung in der personalisierten Therapie liegt.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/17 auf Seite 122.