Bewegung statt Bettruhe
HOCH HINAUS
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Hangeln statt Hanteln? Wer Fitness und Kraft aufbauen will und sich zum Besuch eines Fitnessstudios nicht motivieren kann, der ist beim Klettern oder Bouldern gut aufgehoben. Anders als beim Bodybuilding möchten Kletterer kein Gewicht aufbauen, denn sie tragen ihre Körpermasse mit in die Höhe. Ein Ungleichgewicht in der Muskulatur, wie etwa überentwickelte Oberarme durch Krafttraining, kommt bei Kletter-Sportlern so gut wie nicht vor.
Man unterscheidet verschiedene Varianten des Kletterns wie etwa das Alpinklettern, bei dem das Erreichen des Berggipfels ein primäres Ziel darstellt, das Freiklettern, bei dem zur Fortbewegung an Felsen oder Kunstwänden lediglich Hände und Füße eingesetzt werden dürfen, oder das Speedklettern, bei dem es darum geht, eine Route in kürzester Zeit zurückzulegen. Als sehr gefährlich wird das Free Solo eingestuft, denn dabei wird auf alle Formen von Hilfs- und Sicherungsmittel verzichtet, während die Sportler bei sogenannten Deep Water Soloing im Falle eines Sturzes zumindest vom tiefen Wasser aufgefangen werden. Besondere Herausforderungen stellen auch das Eis-, Höhlen- oder Rettungsklettern dar.
Draußen ist es anders Wer mit dem Klettern anfängt, sollte sich überlegen, ob er Bouldern (Indoor-Klettern) oder Outdoor-Sport betreiben möchte. Zum Bouldern benötigt man spezielles Schuhwerk sowie einen Magnesiabeutel, der eine kreidige Substanz enthält, mit der man die Hände einreibt, damit die verschwitzten Finger nicht abrutschen. Die meisten Sportler starten mit dem Klettern an einer künstlichen Kletterwand und versuchen sich erst später am Felsen. Das Outdoor-Klettern ist facettenreicher, die Sicherungssituationen sind anspruchsvoller, zudem sollte man ökologische Aspekte wie Tier- und Pflanzenarten in der Umgebung beachten und sich rücksichtsvoll verhalten. Jede Route erfordert einen Risikocheck, schließlich gibt es in der Natur keine regelmäßig gewarteten Sportgeräte.
Outdoor-Klettern ist im Gebirge, in Kletterparks oder in Hochseilgärten möglich. Beim Klettern handelt es sich um eine sehr komplexe Sportart, von der auch Menschen mit verschiedenen Krankheitsbildern profitieren. Bei depressiven Verstimmungen tut die Aktivität in der Regel gut, weil sie positive Emotionen weckt, das Selbstwertgefühl stärkt und die soziale Isolation vermindert. Einen Berg oder eine Wand aus eigener Kraft zu besteigen, macht glücklich und stolz. Höhenangst lässt sich langsam in speziellen Boulder-Kursen verbessern. Für Betroffene stellt es eine Art Konfrontationstherapie dar, denn sie stellen sich ihren Ängsten und erfahren, dass trotz der Höhe nichts passiert und die negativen Gefühle nachlassen. Die Konfrontation erfolgt auf verschiedenen Stufen, das Angstniveau wird dabei allmählich gesteigert.
Sich fallen lassen und aufgefangen werden ist auch eine wichtige Erfahrung für Angstpatienten. Sie lernen, anderen zu vertrauen, denn sie hängen im Seil, das durch eine andere Person gesichert wird. Auch ältere Menschen sind an der Wand gut aufgehoben, denn sie trainieren ihren Gleichgewichtssinn, die Kraft in den Extremitäten sowie die Orientierung im Raum. Um positive Effekte zu erzielen, ist es nicht unbedingt notwendig, hoch hinaus zu klettern: Zwei Meter über dem Boden sind für Anfänger oder Senioren schon eine ungewohnte Höhe. Da beim Klettern die im Alltag häufig vernachlässigten Rückenmuskeln gefordert werden, ist die Sportart auch bei Rückenschmerzen ideal. Darüber hinaus hilft Bouldern übergewichtigen Personen beim Abnehmen, schließlich verbraucht man etwa 700 Kalorien stündlich. Vorteilhaft ist, dass Klettern risikoarm und gelenkschonend ist.
Wenn Anfänger beispielsweise einen Zug probieren, der zu Überbelastungen führen könnte, stürzen sie in der Regel ab, was nicht schlimm endet, weil sie gesichert sind – eine Überbeanspruchung tritt entsprechend selten auf. Die Bewegungen sind nie ruckartig, sondern fließend und harmonisch. Überbelastungen kommen höchstens im Hochleistungssport vor, häufig sind die Ellbogen von Schäden betroffen. Manche Leute fürchten, dass beim Bouldern die Finger oder die Oberarme übermäßig strapaziert werden, allerdings wird die Bewegung in die Höhe durch die Beinmuskulatur unterstützt.
Natürlich trainiert Klettern auch die gesamte Oberkörpermuskulatur inklusive der Unterarme, sodass Aktive vor allem zu Beginn der neuen Sportart die Unterarme spüren könnten. Während die Beine motorisch die gleichen Bewegungen wie im Alltag (beispielsweise beim Treppensteigen) durchführen, ist das Belastungsprofil des Oberkörpers mitsamt der Überkopf-Zugbewegungen ungewohnter. Verletzungen und Überbelastungen kommen häufiger bei Bewegungen vor, die der Körper seltener absolviert. Es gilt daher, den Mangel an Kraft und Beweglichkeit durch ein gut durchdachtes Training zu schließen, um den Sport gesund betreiben zu können.
Ob an steiler, hoher Felswand oder Indoor und nur wenige Meter über dem Boden: Klettern macht stolz, glücklich und stärkt das Selbstvertrauen.
Häufige Begleiterscheinungen Die Hitliste der Klettersportverletzungen führen Ringbandverletzungen, Fingergelenksschwellungen sowie Sehnenscheidentzündungen der Fingerbeuger an. Zu den typischen Boulder-Verletzungen zählen neben den Ringband-Einrissen in den Fingern auch Entzündungen in der Schulter oder in den Ellbogen sowie Probleme im Rückenbereich durch harte Landungen oder unzureichendes Abfedern. Beim Bouldern entstehen die meisten Verletzungen beim Absprung beziehungsweise beim Landen auf der Matte. Dabei können das Umknicken des Sprunggelenks oder das Abfangen des Aufpralls durch Abstützen mit der Hand gravierende Folgen haben.
Im Vergleich zur Anzahl der Boulderhallennutzung ist die Zahl der gemeldeten Verletzungen jedoch gering, sodass Bouldern insgesamt als sehr sichere Sportart gilt. Ein gezieltes Ausgleichstraining der Muskulatur, ein intensives Aufwärmen zum Beginn des Trainings, eine ausreichende Regeneration zwischen den Einheiten, spezielle Sturz- und Absprungübungen sowie ein Abrolltraining für eine gesunde Landung dienen der Verletzungsprophylaxe. Bei leichteren (Finger-)Verletzungen und Wunden lässt sich eine Kletterpause durch das Tapen der betroffenen Stellen vermeiden, das richtige Anlegen der Verbände soll allerdings gelernt sein.
Safety first Klettern wird oft als besonders gefährliche Sportart wahrgenommen, da in den Medien hin und wieder von Todesfällen berichtet wird. Im Vergleich zur Anzahl der Kletterer sind die Zahlen für schwere Unfälle jedoch relativ gering. Hauptunfallursache stellt menschliches Versagen dar, hingegen kommt es so gut wie nie zu Seilrissen. Viele schwere Verletzungen passieren nicht während des Kletterns am Fels, sondern beim Zustieg etwa durch einen Steinschlag. Alpinklettern ist zwar eine Sportart, die gewisse Unfallrisiken birgt, durch die Anwendung von anerkannten Sicherheitsregeln und -techniken lassen sich die Gefahren jedoch stark minimieren.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2020 ab Seite 114.
Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin