Jetlag
GROSSES GÄHNEN
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Nach Amerika, Asien oder Australien reisen – was früher ein riesiges Abenteuer war, ist heute eine Routinesache. Schließlich lassen sich große Entfernungen mit dem Flieger bequem und schnell zurücklegen. Wenn über den Wolken allerdings mehrere Zeitzonen binnen weniger Stunden überwunden werden, stellt sich am Ziel oft ein Jetlag ein. Der englische Begriff setzt sich aus „jet“, sprich Düsenflugzeug, und „lag“, übersetzt Verzögerung beziehungsweise Zeitdifferenz, zusammen. Typisch für den lästigen Zeitzonenkater sind Symptome wie Müdigkeit bis hin zu totaler Erschöpfung sowie Schlafstörungen. Viele Betroffene klagen zudem über Beschwerden wie Konzentrationsstörungen, Schwindel, Ver- dauungsprobleme, Stimmungsschwankungen und Appetitlosigkeit. Auf der Hand liegt, dass Erschöpfung und allgemeines Unwohlsein die gute Ferienstimmung merklich trüben und die ersten Tage am Traumziel regelrecht vermiesen können.
Aus dem Takt Verantwortlich für den Jetlag ist unser Biorhythmus – genauer gesagt die Tatsache, dass er aus dem Takt gerät. Nach einem Langstreckenflug über mehrere Zeitzonen tickt unsere innere Uhr noch im heimischen Rhythmus – und dementsprechend nicht mit der neuen Ortszeit synchron. Weil Tag und Nacht zu ungewohnten Zeiten auftreten, gerät der Schlaf-Wach-Rhythmus vorübergehend durcheinander. Zur Erinnerung: Wann wir putzmunter und wann todmüde sind, hängt maßgeblich von Licht und Dunkelheit ab. Eines der wichtigsten Hormone, das unsere innere Uhr steuert, ist Melatonin. Es wird in der Zirbeldrüse im Zwischenhirn produziert. Wenn es dunkel ist, wird die Melatonin-Produktion angeregt, sodass wir müde werden. In den frühen Morgenstunden fällt der Spiegel wieder ab, denn unter Lichteinfluss wird die Melatonin-Ausschüttung gedrosselt.
Flugrichtung entscheidet Ob nach einem Langstreckenflug ein Jetlag befürchtet werden muss – und wie stark er das Wohlbefinden beeinträchtigt, hängt von vielen Faktoren ab. Grundsätzlich wichtig zu wissen ist, dass die Zeitverschiebung nicht allen Reisenden gleichermaßen zu schaffen macht. Experten zufolge haben rund zwei Drittel der Menschen Probleme mit einem Jetlag, während das restliche Drittel kaum oder gar nicht mit Anpassungsschwierigkeiten an den neuen Tag-Nacht-Rhythmus zu kämpfen hat. Ältere Menschen werden tendenziell häufiger und intensiver vom Zeitzonenkater gepeinigt als jüngere Globetrotter. Wesentliche Rollen spielen auch die Flugzeit und die Flugrichtung.
Die grobe Entfernungs-Faustregel lautet: Pro Zeitzone braucht der Körper einen Tag, um sich an die Zeitumstellung zu gewöhnen. Deshalb kann es bei sehr kurzen Reisen von wenigen Tagen in eine entfernte Zeitzone – beispielsweise bei einer dreitägigen Geschäftsreise nach China – möglicherweise sinnvoller sein, die Zeit des Heimatlandes und somit den gewohnten Wach-Schlaf-Rhythmus beizubehalten. Für die Flugrichtung gilt: Bei Flügen Richtung Westen, also zum Beispiel von Deutschland in die USA oder nach Mexiko, ist der Jetlag insgesamt weniger stark ausgeprägt als bei Reisen Richtung Osten, beispielsweise nach Indien oder Thailand. Der Grund: Westwärts fliegen wir mit der Zeit, es werden uns Stunden geschenkt – was dem Biorhythmus zugutekommt. Geht es Richtung Osten, werden uns Stunden gestohlen.
Was die Zeitverschiebung mit unserem Körper macht, verdeutlicht folgendes Beispiel: Wer mittags um 13 Uhr Richtung Westen losfliegt und acht Stunden im Flieger verbringt, ist bei der Ankunft auf 21 Uhr „programmiert“ und wird allmählich müde. Bei einem Zeitunterschied von sechs Stunden ist es am Ziel allerdings erst 15 Uhr. Keine gute Idee ist es, sich jetzt ins Bett zu begeben. Besser: Durchhalten, bis es am Urlaubsort dunkel wird. Wer – bei gleicher Abflugzeit, Reisedauer und Anzahl der zu überwindenden Zeitzonen – Richtung Osten fliegt, gelangt um 3 Uhr des nächsten Morgens ans Ziel. Wichtige Nachtstunden „fehlen“. Ein Grund, weshalb Reisenden nach Fernost häufig geraten wird, im Flugzeug möglichst zu schlummern. Das gelingt oft leichter, wenn der Flieger in den (frühen) Abendstunden abhebt.
Jetlag austricksen Sowohl vor dem Abflug als auch über den Wolken können Reisefans einiges tun, um den Jetlag auszutricksen. Ganz vermeiden lassen sich Müdigkeit und Anpassungsprobleme zwar nicht, aber oft zumindest spürbar mindern. Tricks bei Flügen in den Westen: An den Tagen vor dem Abflug das Schlafengehen peu à peu nach hinten verschieben. Über den Wolken wenn möglich wach bleiben, maximal ein kurzes Nickerchen machen. Eiweißreiche Kost erleichtert das Wachbleiben. Tricks bei Flügen in den Osten: An den Tagen vor der Abreise früher als üblich zu Bett gehen, um den Körper schon einmal an den neuen Rhythmus zu gewöhnen.
Während des Fluges möglichst schlafen. Kohlenhydratreiches Essen fördert das Schlafbedürfnis. Ebenfalls hilfreich sein kann es, eine Schlafmaske aufzusetzen. Ob USA oder Asien: Grundsätzlich ist es wichtig, im Flugzeug genug zu trinken, um einer Austrocknung entgegenzuwirken. Wasser ist ein guter und gesunder Durstlöscher. Beim Wachbleiben oder -werden können coffeinhaltige Getränke wie Kaffee, schwarzer Tee oder Cola – in Maßen genossen – helfen. Von Alkohol als „Einschlafhelfer“ sollten Flugreisende allerdings die Finger lassen.
Am Ziel angekommen, sollten sich Urlauber möglichst gleich auf den neuen Tagesrhythmus einstellen. Weil der Umstellungsprozess einem kleinen Kraftakt gleicht, ist es zudem ratsam, sich in den ersten Ferientagen reichlich Ruhe und Entspannung zu gönnen. Moderate Bewegung und Sonnenlicht erleichtern es der inneren Uhr, sich mit der neuen Zeitzone zu synchronisieren. Dem Jetlag die Stirn zu bieten und dem Körper die Zeitzonenreise zu erleichtern, haben sich auch Fluggesellschaften zum Ziel gesetzt. Mit an den natürlichen Biorhythmus der Passagiere angepassten Lichtszenarien, auch Mood Lighting beziehungsweise Stimmungsbeleuchtung genannt, und speziellen Ernährungskonzepten, geht es der Erschöpfung an den Kragen. Künftig wollen auch Apps mit konkreten Handlungsempfehlungen helfen, den Jetlag zu lindern.
Ohne Schlafmittel Dem Wunsch vieler Reisender, den Jetlag mit Hilfe von Schlafmitteln zu überwinden, stehen Experten meist kritisch bis ablehnend gegenüber. Nur in Ausnahmefällen sei es ratsam, Schlafmittel einzunehmen. Eine reisemedizinische Beratung kann in Zweifelsfällen hilfreich sein. Finger weg, heißt die Devise bei zweifelhaften Melatonin-Präparaten aus dem Internet, die gegen Jetlag angepriesen werden. Zur Erinnerung: Bei uns in Deutschland ist Melatonin als Arzneimittel eingestuft und verschreibungspflichtig. Das heißt: Ob die Einnahme des schlaffördernden Hormons überhaupt infrage kommt, entscheidet der Arzt.
Alternative: Afrika Gut zu wissen: Der klassische Reise-Jetlag, so unangenehm er auch sein mag, ist keine Krankheit, sondern eher eine Befindlichkeitsstörung. Mit ein wenig Geduld, der erforderlichen Portion Ruhe und den genannten Tricks vergehen Müdigkeit und Schlafprobleme meist binnen weniger Tage von allein. Und wenn alles nichts hilft? Dann könnte eine Fernreise nach Südafrika oder Namibia eine gute Alternative sein: Bei Reisen in den Süden Afrikas beträgt die Zeitverschiebung maximal eine Stunde, sodass der berüchtigte Zeitzonenkater nicht zu befürchten ist.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/19 ab Seite 104.
Andrea Neuen, Freie Journalistin