Platzhalter Titelbild PTA© DIE PTA IN DER APOTHEKE

Selbstregulation | Gehirn

GLEICHGEWICHT ZWISCHEN ERREGUNG UND HEMMUNG

Hirnstrukturen können auch unter ungewöhnlichen Bedingungen ihre Funktion aufrechterhalten. Wie das funktioniert hat ein Forscherteam aus Tübingen untersucht. Die Ergebnisse könnten sogar dazu beitragen, Autismuns und Krankheiten wie Epilepsie besser zu verstehen und zu behandeln.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

In unserem Gehirn befinden sich neuronale „Schaltkreise“: Neuronen, die über Synapsen miteinander verbunden sind und kleine Funktionseinheiten bilden. Dabei unterscheidet man zwischen erregenden und hemmenden Neuronen. Die erregenden Neuronen senden Informationen an ein zweites Neuron und bringen dieses dazu, weitere Signale zu versenden. Hemmende Neuronen besitzen die entgegengesetzte Aufgabe: Sie hindern die mit ihnen verbundenen Neuronen daran, Signale an andere zu senden.

Das Zusammenspiel beider Neuronenarten ist essenziell für die Hirnfunktion. Die Dysregulation von Erregung und Hemmung wird mit vielen neurologischen und psychiatrischen Störungen in Verbindung gebracht: darunter Epilepsie, Alzheimer und Autismus-Spektrum-Störungen.

Von Zellkulturen zum Verständnis
Laut Anna Levina, Forscherin am Institut für Informatik der Universität Tübingen und am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, bleibt der Anteil der hemmenden Neuronen an allen Neuronen in verschiedenen Hirnstrukturen während der gesamten Lebenszeit eines Individuums bei 15-30 Prozent. Sie erinnert sich:

Das hat uns neugierig gemacht: Wie wichtig ist dieser bestimmte Anteil? Können neuronale Schaltkreise mit einem anderen Verhältnis von erregenden und hemmenden Neuronen noch normal funktionieren?

Um diese Fragen zu beantworten, hat sie zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen ein neuartiges Experiment entwickelt: Sie züchteten Kulturen, die unterschiedliche, sogar extreme Verhältnisse von erregenden und hemmenden Neuronen enthielten. Daraufhin wurde die Aktivität dieser künstlich angelegten Hirngewebe gemessen. Das Ergebnis war anders als erwartet: „Wir waren überrascht, dass Netzwerke mit verschiedenen Verhältnissen von erregenden und hemmenden Neuronen aktiv blieben, auch wenn diese Verhältnisse sehr weit von den natürlichen Bedingungen entfernt waren“, sagt Doktorand Oleg Vinogradov. „Ihre Aktivität ändert sich nicht dramatisch, solange der Anteil der hemmenden Neuronen irgendwo im Bereich von 10 bis zu 90 Prozent bleibt.“

Demnach schien es, als hätten die neuronalen Strukturen einen Weg gefunden, ihre ungewöhnliche Zusammensetzung zu kompensieren – mit dem Ziel, stabil und funktionell zu bleiben.

Wie geht das?
Wie ist es dem Hirngewebe möglich, sich an teilweise extreme Bedingungen anzupassen? Die Forschenden vermuten, dass dies Netzwerke im Hirn schaffen, indem sie die Anzahl der Verbindungen anpassen. Zu wenige hemmende Neuronen werden dadurch ausgeglichen, dass sie mehr Synapsen mit den anderen Neuronen bilden. Ist der Anteil der hemmenden Neuronen hingegen zu groß, müssen die erregenden Neuronen dies ausgleichen, indem sie mehr Verbindungen aufbauen.

Die Ergebnisse zeigen die Mechanismen, mit denen die Dynamik in einem Gehirn stabil bleibt. Zukünftig könnten die Erkenntnisse auch für die Präzisionsmedizin nützlich sein: Aus normalen Körperzellen gewonnene Stammzellen könnten verwendet werden, um neuronale Kulturen zu generieren. Mit deren Hilfe könnte man Mechanismen neuropsychiatrischer Störungen finden – und somit auch neuartige Medikamente.

Sabrina Peeters,
Redaktionsvolontärin

Quelle: Deutsches Gesundheitsportal

×