Repetitorium

GICHT - TEIL 3

Gicht beeinflusst nicht die Lebenserwartung, wohl aber die Lebensqualität. In der Medikation wird zwischen dem akuten Gichtanfall und der Prophylaxe weiterer Anfälle unterschieden.

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Bei der Behandlung der Gicht werden zwei Therapieziele verfolgt: die Behandlung des akuten Anfalls und die dauerhafte Senkung des Harnsäurespiegels im Körper durch Hemmung der Harnsäurebildung oder ihre verstärkte Ausschwemmung.

Akute Gichtanfalltherapie Hierbei werden aufgrund der extrem starken Schmerzen vorrangig eingesetzt:

  • Nichtsteroidale Antiphlogistika , COX-2-Hemmer,
  • Colchicin sowie teilweise auch
  • Glukokortikoide.

Die 2006 entwickelten Empfehlungen der EU-Rheumaliga, genau European League Against Rheumatism (EULAR), sehen Colchicin und NSAR als Mittel der ersten Wahl an. Sofern keine Kontraindikation vorliegt, sind NSAR dabei die geeignete und gut akzeptierte Option. Die Analgetika werden dabei hoch dosiert eingesetzt, bis die akuten Beschwerden abgeklungen sind, wobei gleichzeitig die antiphlogistischen Effekte genutzt werden. Anschließend wird noch einige Tage bis zur endgültigen Abschwellung weiter behandelt.

Die üblichen Maximaldosierungen pro Tag sind hierbei: Ibuprofen bis 2400 Milligramm pro Tag (mg/d), Naproxen bis 1250 mg/d, Diclofenac bis 150 mg/d, Acemetacin bis 180 mg/d. Früher war Indometacin, initial bis 200 mg/d, dann 150 mg/d, Mittel der Wahl, allerdings litten die Patienten relativ häufig an zentralnervösen Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder Schwindel.

Kontraindiziert ist Acetylsalicylsäure, da sie in höheren Dosen die so wichtige Harnsäureausscheidung noch verlangsamt. Ebenso sind Paracetamol und Metamizol wegen fehlender antiphlogistischer Wirkung ungeeignet. Bei mit ACE-Hemmern behandelten Blutdruckpatienten muss bedacht werden, dass hochdosierte NSAR deren blutdrucksenkende Wirkung herabsetzen können und das Risiko einer Nierenfunktionsstörung besteht.

Von den COX-2-Hemmern ist nur Etoricoxib zur Therapie des akuten Gichtanfalls zugelassen. Bei Magen-Darm-Beschwerden, früheren Ulcera oder Blutungen unter NSAR beziehungsweise COX-2-Hemmern sollte der betroffene Gichtpatient zusätzlich einen Protonenpumpenhemmer einnehmen.

Der Mitosehemmstoff Colchicin, Hauptalkaloid der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale L.), bessert die Beschwerden eines akuten Gichtanfalls, ohne den Harnsäurespiegel zu senken oder eine analgetisch, antiphlogistische Wirkung zu besitzen. Er blockiert die Polymerisation von Tubulin-Dimeren der Mikrotubuli der Zellen und beeinflusst so die Funktion der Mitosespindel. Ebenso verhindert er die Freisetzung von Histamin aus Mastzellen.

Da Colchicin eine sehr enge therapeutische Breite besitzt, aufgrund guter Resorption und eines enterohepatischen beziehungsweise enteroenteralen Kreislaufs sogar Kumulationsgefahr herrscht, muss mit der stark toxischen Substanz (tödliche Dosis: 20 mg) vorsichtig dosiert verfahren werden. In der Literatur schwanken die Dosierungsangaben stark, wobei die Tageshöchstdosis von acht Milligramm aber nicht überschritten werden sollte. Häufige erste Nebenwirkungen sind Durchfall, Übelkeit, Erbrechen. Bei Lebervorerkrankungen oder einer Niereninsuffizienz ist Colchicin kontraindiziert.

In den Fällen, in denen weder mit NSAR, COX-2-Hemmern noch Colchicin ein voller Therapieerfolg erreicht wird beziehungsweise bei Gichtpatienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, erweist sich die zusätzliche Gabe von Glukokortikoiden wie Prednisolon (Tagesdosis: 20 bis 40 mg) als sinnvoll. Die Gabe wird hier sowohl oral und – trotz des Risikos einer schweren bakteriellen Infektion – auch durch intraartikuläre Punktion und Injektion durch die EULAR empfohlen. Begleitend benötigt das Gelenk vollkommene Ruhe. Jede Erschütterung oder Berührung schadet. Kältesprays, Eispackungen oder Wärme verschaffen manchmal vorübergehend ebenfalls Linderung.

DAUERTHERAPIE
Laut der ersten Gichtleitlinie/Empfehlung der EULAR soll im symptomfreien Intervall beziehungsweise bei einer chronischen Gicht die Harnsäurekonzentration im Gewebe unter den Sättigungspunkt, an dem die Uratkristallbildung stattfinden kann, gesenkt werden. Anzustreben ist ein Serumharnsäurespiegel dauerhaft kleiner/ gleich 6,0 Milligramm pro Deziliter (mg/dl). Um dies zu erreichen, existieren zwei Wege:

• Urikostatika reduzieren die Harnsäurebildung
und/oder

• Urikosurika erhöhen die Harnsäureausscheidung über die Niere.

Die Urikostatika („Harnsäureblocker“) Hierzu gehört seit gut 40 Jahren der Klassiker Allopurinol sowie seit 2010 neu das 2-Aryl-Thiazol-Derivat Febuxostat. Allopurinol ist ein Strukturanalogon zu Hypoxanthin (Purinanalogum) und wirkt zusammen mit seinem Hauptmetabolit Oxipurinol in niedriger Dosis als kompetitiver, in höherer Dosis zusätzlich als nicht-kompetitiver Hemmstoff des Enzyms Xanthinoxidase. Diese Xanthinoxidase ist im Stoffwechsel notwendig, um aus Hypoxanthin über Xanthin, beides Abbauprodukte der Purine, die Harnsäure oxidativ entstehen zu lassen. Die Vorprodukte Hypoxanthin und Xanthin werden hingegen ohne Probleme über die Niere ausgeschieden. Der Harnsäurespiegel im Blut und Urin fällt.

Als zusätzliche Wirkungskomponente konnte eine Wiedereinschleusung von Xanthin und Hypoxanthin in den Purinstoffwechsel und damit letztlich der Einbau der Purine in Desoxyribunuleinsäure (DNA) und Ribunucleinsäure (RNA) gezeigt werden. Daraus resultiert eine zusätzliche Senkung des Serum-Harnsäurespiegels. Zu Beginn einer Allopurinolbehandlung besteht allerdings die Gefahr eines akuten Gichtanfalles, da Uratdepots im Gewebe mobilisiert werden und dadurch der Harnsäurespiegel im Blut zunächst ansteigen kann.

Gichtpatienten erhalten deshalb zu Behandlungsbeginn in den ersten Wochen bis Monaten meist zusätzlich Analgetika beziehungsweise Colchicin. Zudem sollte zunächst mit einer niedrigen Dosis gestartet (100 mg pro Tag) und diese, wenn nötig, alle zwei bis vier Wochen um 100 mg gesteigert werden. Die Erfahrung lehrt, dass täglich 150 Milligramm Allpurinol den Harnsäurespiegel um 2 bis 2,5 Milligramm pro Deziliter (mg/dl), 300 Milligramm etwa um 3 Milligramm pro 100 Milliliter (= dl) und 600 Milligramm um etwa 4 Milligramm pro Deziliter Blutserum senken. Eine Dosisanpassung ist erforderlich bei Patienten mit beeinträchtigter Nierenfunktion.

Da Allopurinol selbst nur eine kurze Halbwertszeit, sein ebenso aktiv wirksamer Metabolit Oxipurinol aber eine vergleichsweise lange Halbwertszeit besitzt, ist eine einmal tägliche Dosisgabe möglich. Allergische Hautreaktionen sind als Hauptnebenwirkung leider recht häufig. Bei nur leichten Hautausschlägen besteht die Möglichkeit einer Allopurinoldesensibilisierung. Besonders bei einer begleitenden Niereninsuffizienz steigt jedoch die Gefahr schwerer Hautreaktionen deutlich an.

Wechselwirkungen zeigt Allopurinol mit zahlreichen Wirkstoffen, wobei deren Wirkung sich meistens erhöht. Insbesondere ist dies beim Urikosurikum Probenecid, Salicylaten, Zytostatika wie Mercatopurin, dessen Prodrug Azathioprin, dem in der Transplantationsmedizin häufiger verwendeten Ciclosporin, aber auch beim Antibiotikum Amoxicillin, dem ACE-Hemmer Captopril oder Blutgerinnungsmitteln vom Cumarintyp bekannt.

Febuxostat hemmt als vergleichsweise neue Option und Nicht-Purinanalogon stark und selektiv sowohl die reduzierte als auch die oxidierte Form der Xanthinoxidase. Es wirkt damit stärker und selektiver als Allopurinol. Die empfohlene Dosis von 80 bis 120 Milligramm einmal täglich oral muss bei eingeschränkter Nierenfunktion nicht reduziert werden. Auch sind bisher keine bedrohlichen Hautveränderungen aufgetreten, allerdings Wechselwirkungen mit dem Immunsupressivum Azathioprin beziehungsweise Mercaptopurin, Theophyllin sowie Substanzen, welche die Glucuronidierung hemmen.

Empfehlenswert ist die neue Substanz deshalb für Gichtpatienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, wegen geringerer Interaktionsgefahr bei Patienten, die sehr viele Medikamente, etwa auch Diuretika, Kalziumantagonisten oder AT1-Hemmer, einnehmen müssen oder Patienten, die unter Allopurinol starke Hautreaktionen entwickelt haben. Bei koronarer Herzkrankheit oder gar Herzinsuffizienz sollte Febuxostat hingegen nicht angewendet werden.

Die Urikosurika („Harnsäureausscheider“) Probenecid sowie das weitaus häufiger eingesetzte Benzbromaron greifen an der Niere an und hemmen dort kompetitiv die tubuläre Rückresorption der Harnsäure, was deren Ausscheidung mit dem Urin erhöht. Dadurch wird die Harnsäurekonzentration im Blut vermindert. Ablagerungen in den Gelenken und Geweben werden nicht mehr neu gebildet, Tophi unter Umständen sogar abgebaut. Sie gelten als Alternative zu Allopurinol bei Patienten mit normaler Nierenfunktion.

Zu Beginn der Therapie besteht allerdings die Gefahr tubulärer Harnsäureausfällungen bis hin zur Bildung von Nierensteinen. Etwa fünf bis zehn Prozent aller Nierensteine sind auf solche Harnsäureausfällungen zurückzuführen. Damit sich im weniger sauren Urin die Harnsäure besser löst, wird der pH-Wert des Urins meist durch die zusätzliche Gabe von Kalium-Natrium-Hydrogencitrat auf 6,4 bis 6,8 angehoben. Zusätzlich sollte das Apothekenpersonal bei der Abgabe auf das Trinken von mindestens zwei bis drei Litern Flüssigkeit pro Tag hinweisen.

Da ein plötzliches An- oder Absetzen der Therapie durch sich plötzlich verändernde Harnsäurespiegel sogar einen akuten Gichtanfall auslösen können, ist ebenfalls die Bedeutung einer ein- beziehungsweise ausschleichenden Dosierung der Wirkstoffe zu erläutern. Eventuell empfiehlt sich sogar die zusätzliche anfängliche Einnahme von NSAR. Durch Salicylsäureprodukte oder Saluretika wird die urikosurische Wirkung beider Substanzen deutlich abgeschwächt.

Benzbromaron wird am besten morgens eingenommen, von 25 über 50 bis auf 100 Milligramm Normaltagesdosis ansteigend. Es wird zu 50 Prozent resorbiert, weist eine Plasmaproteinbindung von 99 Prozent auf und wird überwiegend über die Gallenwege verstoffwechselt. Für Patienten, die beispielsweise aufgrund einer Organtransplantation Azathioprin einnehmen müssen, welches gefährliche Wechselwirkung mit Urikostatika zeigt, ist Benzbromaron empfehlenswert.

Laut EULAR kann der Wirkstoff in Einzelfällen auch bei milder bis mäßiger Niereninsuffizienz eingesetzt werden. In den ersten sechs Monaten gilt es die Leberwerte regelmäßig kontrollieren zu lassen, da vereinzelt Leberentzündungen aufgetreten sind. Als Nebenwirkungen sind neben dem Ikterus vor allem Magen-Darm-Probleme, wie Erbrechen, Abdomenschmerzen, Schwäche sowie selten allergische Hautreaktionen bekannt.

Von Probenecid werden in der ersten Woche meist 500 Milligramm, ab der zweiten Woche 1000 Milligramm täglich – wegen der kürzeren Halbwertszeit – auf drei Einzeldosen verteilt gegeben. Es erhöht allerdings die Plasmaspiegel von zahlreichen Substanzen, etwa Captopril, Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen, Methotrexat, Cephalosporinen, Penicillin, sogar des Anti-Grippe-Mittels Oseltamivir.

Da auch die Ausscheidung von Anabolika über die Niere erschwert wird, deren Nachweis im Harn dadurch verhindert wird, steht die Substanz auf der Anti-Doping-Liste der WADA (World Anti Doping Agency). Praktisch wird der Wirkstoff nur noch bei Unverträglichkeit von Benzbromaron und/oder Urikostatika in Betracht gezogen. Bei Nierensteinen und Niereninsuffizienz ist er ohnehin kontraindiziert.

Insgesamt werden Urikosurika heute sehr vorsichtig eingesetzt. Allopurinol-Benzbromaron-Kombinationen werden manchmal angewendet, um infolge einer niedrigeren Dosierung der Einzelwirkstoffe, die Nebenwirkungen zu verringern. Deutliche Vorteile werden in der Literatur allerdings nicht beschrieben.

ZUSATZINFORMATION

Andere Medikamente
Die meisten Säugetiere bauen Harnsäure über das hepatische Enzym Uricase zum besser wasserlöslichen Allantoin ab. Dieses kann dann leicht über die Nieren ausgeschieden werden. Nur der Mensch, die Primaten sowie Vögel und Reptilien haben im Lauf der Evolution die Bildung des Enzyms Uricase verloren. Die rekombinant hergestellte Uratoxidase, also das Enzym Rasburicase, kann genau diesen Abbau der Harnsäure zum Allantoin im menschlichen Organismus bewirken und damit den Harnsäure-Plasma-Spiegel innerhalb weniger Stunden deutlich senken bis normalisieren. Bisher ist die Rasburicase jedoch einzig zur intravenösen Prophylaxe und Therapie des Tumorlysesyndroms, also bei Ausfällung von Harnsäurekristallen in den Nierentubuli bei der Chemotherapie von akuten Leukämien und Lymphomen, zugelassen. Eine pegylierte – für die Anwendung bei therapierefraktärer Gicht entwickelte – Form befindet sich derzeit in klinischer End-Prüfung.

Eine Reihe von kleinen Studien hat gezeigt, dass Antihypertonika wie Amlodipin, Losartan und Lipidsenker, etwa Atorvastatin und Fenofibrat die Harnsäure-Plasma-Konzentration aufgrund ihrer urikosurischen Wirkung um bis zu 20 Prozent vermindern. Selbst hoch dosiertes Vitamin C (500 mg/Tag) konnte in einer zweimonatigen Doppelblindstudie eine statistisch signifikante Abnahme der Plasma-Harnsäure-Konzentration bewirken. Bisher gibt es jedoch keine Daten, die eine Reduktion von Gichtanfällen durch die langfristige Verabreichung einer dieser Substanzen belegen würden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/11 ab Seite 48.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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