© PIKSEL / iStock / Getty Images

Medizinische Fachgebiete

GERIATRIE

In der Altersmedizin geht es darum, den Gesamtzustand des Patienten zu verbessern. Bei der Behandlung muss der Arzt daher die Symptome im Kontext der vorliegenden Mehrfacherkrankungen betrachten.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Der Anteil älterer Menschen in Deutschland nimmt immer mehr zu: 1960 war jeder achte Bundesbürger mindestens 65 Jahre alt, heute ist es jeder fünfte Einwohner und man geht davon aus, dass es im Jahr 2060 sogar jeder Dritte sein könnte. Im Vergleich zu 1960 hat sich außerdem der Anteil der Hochaltrigen (über 80 Jahre) deutlich erhöht – mit zunehmender Tendenz. Der demografische Wandel hat zur Folge, dass immer mehr Senioren einer medizinischen Behandlung bedürfen und auf eine spezielle Hilfe angewiesen sind. Die Geriatrie stellt ein ärztliches Fachgebiet dar, das sich mit den geistigen, körperlichen, sozialen und funktionalen Aspekten in der Versorgung, Prävention und Rehabilitation von akuten und chronischen Krankheiten bei älteren Menschen sowie mit der speziellen Situation am Ende des Lebens befasst.

Die Altersmedizin, wie die Geriatrie auch genannt wird, ist somit die Lehre von den Krankheiten der alternden Menschen. Insbesondere Patienten, die älter als 80 Jahre sind, profitieren von der geriatrischen Medizin, doch auch Personen ab dem 65. Lebensjahr erhalten Unterstützung. Zu den typischen geriatrischen Krankheitsbildern gehören beispielsweise Morbus Parkinson, Schlaganfall, Ernährungsstörungen, Osteoporose, Inkontinenz, chronische Wunden sowie Schädigungen durch Medikamente (bei falscher Anwendung). Nicht zu verwechseln ist die Geriatrie mit der Gerontologie, der Wissenschaft vom Altern der Menschen.

Ausbildung der Ärzte In vielen europäischen Ländern ist die Geriatrie ein eigenständiges Fachgebiet oder ein Schwerpunkt in der Inneren Medizin. Eine fachärztliche Ausbildung ist als Schwerpunkt im Rahmen der Inneren Medizin möglich, in weiteren Fachbereichen mit einer hohen Anzahl betagter Personen wird eine fachspezifische klinische Zusatzweiterbildung in der Geriatrie angeboten. Als Schwerpunkt der Inneren Medizin ist die Geriatrie derzeit in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt anerkannt.

Ganzheitlicher Ansatz Geriatrische Kunden sind oft gebrechlich und weisen einen hohen Grad an Multimorbidität auf. Einige Krankheiten gehen im Alter mit unüblichen Symptomen einher, was die Diagnostik erschweren kann. Häufig schlagen Therapien verzögert an, zudem ist für eine erfolgreiche Behandlung meist soziale Unterstützung notwendig. Aufgrund dessen umfasst die Geriatrie eine interdisziplinäre Betreuung, welche die unterschiedlichen medizinischen Bereiche koordiniert und gleichzeitig die Autonomie der Erkrankten fördert. Geriater fokussieren sich nicht auf einzelne Beschwerden, sondern richten den Blick auf den Gesamtzustand betagter Patienten.

Das Alter stimmt nicht jeden milde. Aggressive Verhaltensänderungen können erste Symptome einer beginnenden Demenz sein.

Das geriatrische Assessment Diese diagnostische Methode liefert Aufschluss über die Funktionseinschränkungen der Patienten und besteht aus verschiedenen standardisierten Testverfahren, die eine Einschätzung der physischen, psychischen und sozialen Ressourcen Betroffener ermöglichen. Im weiteren Verlauf gibt es in der Regel Kontrollen durch ein erneutes Assessment, um die Therapien an den aktuellen Status anzupassen. Die Ergebnisse des geriatrischen Assessments dienen: der Erhebung des funktionellen Status und der Ressourcen älterer Menschen sowie dem Erkennen von Risikopatienten und -situationen, der Aufstellung eines Therapieplans, der Verlaufskontrolle, der Qualitätssicherung.

Betagte Personen werden anhand der Ergebnisse in verschiedene (stark vereinfachte) Gruppen kategorisiert und zwar in go-go-Patienten (guter funktionaler Zustand), slow-go-Patienten (eingeschränkter Status) sowie in no-go-Patienten (extrem eingeschränkter funktioneller Zustand). Es gibt zahlreiche Assessmentinstrumente, welche die verschiedenen diagnostischen Bereiche abdecken. Der Barthel-Index nach Hamburger Manual dient der Beurteilung der Selbsthilfekompetenz und der Fähigkeiten zur Selbsthilfe. Zur Erfassung kognitiver Störungen eignet sich etwa die Mini-Mental-State Examination (MMSE), die auch zur Verlaufsbeurteilung einer Demenz Verwendung findet. Patienten müssen dazu einfache Handlungen durchführen oder Fragen beantworten, zum Beispiel benennen sie Gegenstände, merken sich Begriffe, lösen Rechenaufgaben, schreiben Sätze oder sprechen etwas nach.

Mithilfe der Geriatric Depression Scale lässt sich ermitteln, ob die betroffene Person unter einem depressiven Syndrom leidet. Ein Test zur Überprüfung der Mobilität stellt der Timed Up & Go-Test dar. Dabei sitzt der Senior auf einem Stuhl, soll aufstehen, drei Meter gehen, sich umdrehen und sich wieder auf dem Stuhl niederlassen, Hilfsmittel wie et-a ein Rollator sind dabei zugelassen. Der Arzt misst die Zeit, die der Patient vom Aufstehen bis zum Sitzen benötigt und bewertet anhand dessen alltagsrelevante Mobilitätseinschränkungen. Um die soziale Situation (Wohnung, finanzielle Lage, familiäre Unterstützung) zu beurteilen, ist in der Regel kein Assessment erforderlich, denn dem Hausarzt ist diese meistens bekannt. Im hausärztlichen Bereich empfiehlt sich ein Basisassessment bestehend aus dem Timed Up & Go, dem Barthel-Index, dem Mini-Mental-State und der Geriatric Depression Scale.

MultimorbiditätZu den chronischen Alterserkrankungen zählen unter anderem Arthrose, Osteoporose, Demenz, Depression, Diabetes, Nierenschwäche, Hypertonie, Herzkrankheiten und viele mehr. Hochbetagte Menschen sind von einem altersbedingten Muskelabbau betroffen – das ist völlig normal. Überschreitet der Abbau jedoch ein bestimmtes Maß, spricht man von einer Sarkopenie. Ursachen des Rückgangs sind unter anderem eine unzureichende Nahrungsaufnahme, eine zu geringe Versorgung mit Nahrungseiweiß sowie endokrine, inflammatorische und neurodegenerative Veränderungen. Ein weiteres geriatrisches Syndrom stellt die Frailty oder Gebrechlichkeit dar, eine chronische, altersbedingte verminderte Belastbarkeit bei reduziertem Kraftzustand.

Ein gebrechlicher Organismus kennzeichnet sich durch eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber Stressoren (beispielsweise Erkrankungen oder Eingriffen), sodass es häufiger zu Stürzen, Krankenhausaufenthalten, Selbstständigkeitseinbußen oder sogar zum Tod kommt. Auch ein Intelligenzrückgang infolge der verschiedenen Demenz-Arten sowie Hirnleistungsstörungen mit Einschränkung der Sinne sind Merkmale der Altersmedizin. Ein Geriater sollte sich demnach mit altersspezifischen Krankheiten auskennen, außerdem sollte er über umfangreiche Kenntnisse in der Inneren Medizin sowie in weiteren Fachgebieten verfügen und zahlreiche Untersuchungsmethoden (EKG, Doppler-Druck- Messung, Schluck-Diagnostik usw.) beherrschen. Weitere wichtige Themen sind körperliches Training, Sturzprävention, Mangelernährung, Austrocknung durch mangelnde Flüssigkeitszufuhr, Inkontinenz sowie die Polypharmazie.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/19 ab Seite 110.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

×