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Bigorexie

GEFÄHRLICHER TRAUMBODY

Männer mit Muskelsucht, auch Muskeldysmorphie, Adoniskomplex oder Bigorexie genannt, sind nie zufrieden mit ihrem Körper. Die Störung gilt als Pendant zu der eher weiblichen Magersucht.

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Dicker Bizeps, ein durchtrainierter Körper und ein Waschbrettbauch – für einige Männer sind diese Schönheitsideale von übermäßiger Bedeutung. Sie möchten um jeden Preis athletisch sein, verbringen täglich mehrere Stunden im Fitnessstudio und betreiben exzessive Diäten, bestehend aus Nahrungsergänzungsmitteln wie Eiweißdrinks. Die einseitige Ernährung stellt eine große Belastung für den Körper dar, sodass es nicht selten zu Mangelerscheinungen kommt. Doch oft ist es mit den Eiweiß-Kicks nicht getan: Einige Sportler greifen auch auf verbotene, leistungssteigernde Substanzen wie Anabolika oder Steroide sowie auf Diuretika zurück.

Trotz aller Maßnahmen fühlen sich Männer mit Muskelsucht zu schmächtig und sind unzufrieden mit dem eigenen Körperbild – die Muskeldysmorphie entspricht demnach einer zwanghaften Störung der Selbstwahrnehmung. Betroffene haben zunächst die Vorstellung eines gesunden und trainierten Körpers, steigern sich in den Drang der Perfektion und „pumpen“ bis zum Abwinken. Die verzerrte Wahrnehmung ähnelt der Magersucht und lässt sich ohne professionelle Hilfe kaum lösen. Essgestörte Mädchen halten sich trotz ihrer dürren Figur für zu dick, während von Muskeldysmorphie betroffene Männer sich als klein und schmächtig empfinden. Bei Männern mit Bigorexie besteht zusätzlich die Gefahr, dass sie eine Essstörung entwickeln, da sie ständig Kalorien zählen und an ihre Figur denken.

Zwanghaftes Training Der US-amerikanische Psychiater Harrison G. Pope bezeichnete bereits vor Jahren das Phänomen, bei welchem Männer besessen an ihrem Körper arbeiten, als Adonis-Komplex. Die Vorstellung vom starken Mann ist gesellschaftlich sehr präsent, spätestens seitdem Arnold Schwarzenegger als Bodybuilder im Film „Pumping Iron“ (1977) auftrat. Aufgrund seiner riesigen Muskeln gewann er Titel wie Mr. Olympia oder Mister Universum und wurde zum Fitness-Idol. Viele Männer eiferten kraftstrotzenden Figuren nach, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass hinter der Muskulösität häufig Doping steckt. Es ist nicht möglich, ein bestimmtes Maß an Muskelzuwachs durch Training zu überschreiten, dafür sind verbotene Substanzen wie Steroide notwendig.

Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) liegt zwischen einem gesunden Körperbewusstsein und einem Schönheitswahn nur ein kleiner Schritt: Problematisch wird es dann, wenn der Sport nicht mehr aus Spaß, sondern als Kampf gegen die eigenen Problemzonen betrieben wird. Insbesondere in der Bodybuilder-Szene sind viele Männer anfällig für die Störung, bei ihnen dreht sich oft alles nur um die Selbstoptimierung. Häufig gehen Betroffene sechs bis neun Mal pro Woche ins Fitnessstudio und gönnen ihrem Körper keine Ruhe. Neben Schlaf, Arbeit und exzessivem Training bleibt wenig Zeit für soziale Kontakte, sodass Freunde und Familie vernachlässigt werden.

Auch ein übertriebener Körperkult vor dem Spiegel und die permanente Sorge um das Aussehen sind typisch für die Erkrankung. Die Gedanken kreisen um Themen wie Sport, Ernährung, Muskeln und den eigenen Körper – für andere Angelegenheiten bleibt kein Raum. Essen Betroffene beispielsweise ein Stück Torte, eine Schokolade oder eine Portion Pommes, mündet dies in negativen Gefühlen wie Angst, Schuld oder Stress. In der Regel werden die fett- und kohlenhydratarmen, aber proteinreichen Diäten streng eingehalten.

Was führt zur Muskelsucht? Ursachen der Körperbildstörung sind unter anderem ein verminderter Selbstwert, ein hoher Grad an Perfektionismus, Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper oder Symptome von Zwangsstörungen. Der NHS (National Health Service) vermutet als Auslöser der Bigorexie auch negative Lebenserfahrungen (wie etwa Mobbing oder die Unfähigkeit, adäquat mit Konflikten umzugehen), genetische Grundlagen oder eine chemische Entgleisung im Gehirn. Allerdings sind die Vermutungen derzeit noch weitgehend unerforscht.

Verbotene, gefährliche Substanz Dem Brasilianer Romario Dos Santos hätte seine Muskelsucht fast den Arm gekostet: Er wünschte sich für seinen eigenen Körper die Gestalt der Marvel-Figur Hulk, wollte dafür allerdings nicht allzu viel Zeit im Gym verbringen. Er verwendete zur Förderung des Wachstumsprozesses die Substanz Synthol, ein Gemisch aus Lidocain, Benzylalkohol und verschiedenen Ölen. Seine Muskulatur verhärtete sich durch die Anwendung extrem, sodass er nur knapp einer Amputation entkam.

Um einen Muskel optisch zu vergrößern, wird Synthol regelmäßig ins Gewebe injiziert, Kraft wird durch die Anwendung nicht aufgebaut. Zu den Nebenwirkungen gehören Embolien, Herzinfarkte, Atemkrisen sowie dauerhafte Hirnschädigungen. Auch erhöhte Werte des Geschlechtshormons Testosteron, die durch den Missbrauch von Anabolika entstehen, können gravierende körperliche Schäden anrichten. Bei Tierversuchen an im Labor gezüchteten Mäusen stellte man fest, dass Anabolika zum programmierten Zelltod führen, der einen dramatischen Verlust an Hirnzellen zur Folge hat.

Multimodale Behandlung In vielen Fällen wird der Adoniskomplex erst sehr spät diagnostiziert, denn Betroffene merken meist nicht, dass ihr Verhalten von der Norm abweicht. Häufig fällt es Männern schwer, sich die psychische Erkrankung einzugestehen, sodass sich die Therapie schwierig gestaltet. Elemente der Behandlung sind die Normalisierung des Essverhaltens, eine individuelle Psychotherapie, die Ernährungsberatung sowie die Einbeziehung der Familie. In größeren Städten gibt es zudem Selbsthilfegruppen, an denen Personen mit Muskelsucht teilnehmen können.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/2020 ab Seite 72.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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