Gärten
TREND GRÜNER UND WILDER NATURGARTEN
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Wer den Garten von Marina Delzer in Alt Galow (Uckermark) betritt, erlebt einen eher ungewöhnlichen Anblick: Statt akkurater, von Unkraut befreiter Beete und gestutztem Rasen überwiegen wilde Ecken mit Kräutern, abgetrockneten Samenständen von Disteln und Nachtkerzen als Vogelfutter. Auch Giersch oder Brennnesseln - ein Graus für viele Hobbygärtner - dürfen bei Delzer wachsen.
Die freiberufliche Natur- und Landschaftsführerin hat ihre grüne Oase mitten im Nationalpark "Unteres Odertal" zu einem Paradies für Pflanzen, Insekten, Vögel und andere Tiere gemacht. Ihr grünes, wildes Domizil ist sogar zertifiziert - von der Initiative "Natur im Garten", die vor 22 Jahren in Österreich gegründet wurde und inzwischen auch in Deutschland aktiv ist.
Artenvielfalt von Flora und Fauna als Lebensgrundlage
Zu den wichtigsten Kriterien für eine derartige Auszeichnung gehören laut Delzer der Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden: Statt synthetischem Dünger ist nur Natürlicheres wie Brennnesseljauche oder Pferdeäpfel erlaubt. Auch zur Schädlingsbekämpfung darf nichts Künstliches eingesetzt werden. "Ist auch nicht notwendig", sagt die studierte Forstwirtin, die nach der Wende aus Baden-Württemberg nach Brandenburg kam. "Als mein Mann und ich 2009 auf das Grundstück zogen, war hier blanker Boden ohne Bewuchs. Wir haben als erstes eine Schilfkläranlage gebaut und zwei Reihen Spargel gepflanzt", erinnert sie sich. Eine Schilfkläranlage ist eine Zusammenstellung von unterschiedlichen Schilfarten im Garten, in denen Abwasser durch das Zusammenwirken dieser Pflanzen natürlich gereinigt wird. Zunächst machte den beiden die Spargelfliege zu schaffen. Als sie aber Wildkräuter drumherum stehen ließen, statt sie zu jäten, habe sich ein natürliches Gleichgewicht entwickelt.
Natürliche Gärten lägen im Trend, da sich immer mehr Menschen bewusst würden, dass sie Artenvielfalt von Flora und Fauna als Lebensgrundlage bräuchten, sagt Delzer. "Ich will dafür werben - aus Überzeugung. Brennnesseln sind Tummelplatz für Schmetterlinge, rote Taubnesseln ein Paradies für Hummeln. Wildbienen stehen auf die Blüten der Bergminze." Um ihre Bienenstöcke hat sie zum Schutz Weiden angepflanzt, für Eidechsen Steinhaufen angelegt. Zwar würden einige Nachbarn nach wie vor mit Unverständnis reagieren und ihr empfehlen, doch einmal aufzuräumen in der Wildnis auf dem 5000 Quadratmeter großen Grundstück. Doch sie habe auch schon Nachahmer gefunden, die zumindest einige Wildwuchsecken als Rückzugsmöglichkeiten für Tiere in ihren grünen Arealen dulden würden, erzählt sie stolz.
Einige Kriterien müssen gegeben sein
Im naturnahen Garten darf kein Torf verwendet werden - er macht den Boden sauer und der Abbau gefährdet Moore. Im Rasen haben auch Kräuter wie Gänseblümchen oder Spitzwegerich ihren Platz. Mindestens fünf unterschiedliche Arten müssen nachweisbar sein. "Zudem darf der Rasen nur einmal im Jahr gemäht werden, damit die Pflanzen aussamen können", erläutert Delzer. Weitere Kriterien laut Initiative sind ein Gemüseanbau in Mischkultur, eine Vielfalt an Beerensträuchern und Obstbäumen, Weißdorn- und Ligusterhecken als Vogel-Rückzugsorte, die Speicherung und Nutzung von Regenwasser sowie ein Vorkommen heimischer Laubbäume wie Birke, Ahorn oder Weide.
"Frau Delzers ausgesprochen naturnaher Garten erfüllt fast alle diese Kriterien, er war superleicht zu zertifizieren, zumal sie auch überzeugende Ergebnisse in Sachen Artenvielfalt aufweisen kann", lobt Kirsten Große von der Initiative "Natur im Garten". Sie kommt regelrecht ins Schwärmen: "Bewundernswert, da geht einem das Herz auf."
Klimawandel ein bestimmendes Thema
Mittlerweile hat Delzer für ihr Gemüse Hochbeete gebaut. "Die sind viel besser zu bewässern, angesichts der zunehmenden Trockenheit in Brandenburg wichtig." Überhaupt sei der Klimawandel ein bestimmendes Thema ihrer Gartengestaltung. "Ich musste mich von Rittersporn und Phlox verabschieden, von klassischen Staudenpflanzen, die viel Wasser brauchen." Stattdessen habe sie Eisenkraut gepflanzt, Wegwarte und Melisse wachsen lassen.
"Wildkräuter haben Pfahlwurzeln, kommen tiefer in die Erde und damit auch besser mit der Trockenheit zurecht", ergänzt die studierte Landwirtin Große. Gärten müssten tatsächlich auf Brandenburger Sandböden so umgestaltet werden, "dass da angesichts der Dürre überhaupt noch etwas wächst." Dafür würden sich immer mehr Menschen interessieren und dieses Interesse gelte es für die Initiative "Natur im Garten" zu nutzen, sagt sie.
Ziel Erfahrungen weitergeben
Delzer gibt ihre Erfahrungen bei Führungen durch ihren Garten und bei Kräuterwanderungen weiter. "Was wir an Wildpflanzen sammeln, verarbeiten wir zum Schluss gleich weiter - zu Tees, Pesto oder Ölen», erzählt sie. Diese Veranstaltungen seien eine echte Bereicherung, Delzer habe ein fundiertes Wissen, vor allem auch zu Heilkräutern und ihrer Geschichte", sagt Yogalehrerin Heike Feix, mit der die Gartenspezialistin Seminare unter dem Motto "Kraut und Yoga" anbietet. "Nach einer Führung bei Marina fragst Du Dich, warum Du eigentlich noch in den Supermarkt oder in die Apotheke gehst, wo doch die Natur so viel hergibt", erzählt Feix.
Anfangs, berichtet Delzer, sei sie vor allem mit Interessierten "von außerhalb" gewandert, inzwischen kämen zu Führungen auch immer mehr Bewohner aus der Region. Der Zuspruch und das Bewusstsein für Artenvielfalt wachse in der Öffentlichkeit, bestätigt Judith Verheyen, engagiert im NaturGarten e.V., einem deutschlandweiten Verein mit aktuell rund 3500 Mitgliedern. Der bemüht sich ebenfalls um eine Rückkehr zu tier- und pflanzenfreundlichen grünen Oasen. "Das Anlegen von Naturgärten macht einfach Spaß, eben weil man zusehen kann, wie Vögel, Igel, Eidechsen und verschiedenste Insekten dorthin zurückkehren", zeigt sie sich überzeugt.
Quelle: dpa