Patientenverfügung
FÜR DEN ERNSTFALL
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Nach deutschem Gesetz muss jeder Mensch allen medizinischen Handlungen, die an ihm durchgeführt werden, zustimmen. Die Patientenverfügung ist eine schriftliche Erklärung, die festlegt, welche Maßnahmen hierbei unternommen werden dürfen oder unterlassen werden sollen, wenn der Patient nicht mehr einwilligen kann. Sie muss erstellt werden, solange der Betroffene entscheidungsfähig ist, und darf sich nicht auf unmittelbar bevorstehende Maßnahmen beziehen.
Jeder volljährige, einwilligungsfähige Mensch kann eine Patientenverfügung erstellen. Sie muss in schriftlicher Form vorliegen und vom Verfasser unterschrieben sein. Ist eine Unterschrift nicht eindeutig möglich, muss ein Notar das Schriftstück beglaubigen. Die Patientenverfügung gilt nur, solange der Betroffene nicht einwilligungsfähig ist und kann jederzeit einfach mündlich widerrufen werden. Sie kann vor allen Dingen in Bezug auf lebensverlängernde Maßnahmen hilfreich sein, denn ein klarer, rechtsverbindlicher Wille des Patienten entbindet Angehörige unter Umständen von einer schweren moralischen Entscheidung.
Stichtag 1. September 2009 Bereits 2003 entschied der Bundesgerichtshof in einer Grundsatzentscheidung, dass der Wille eines Menschen zu respektieren sei, auch, wenn dieser nicht mehr einwilligungsfähig ist. Im Grunde genommen umfasste diese Entscheidung bereits alle Punkte der heutigen Patientenverfügung, jedoch mit der Einschränkung, dass „das Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen“ haben müsse.
SCHWERE ENTSCHEIDUNG
Betreuer und Ärzte haben also immer noch eine schwere Aufgabe, wenn sie einer Patientenverfügung entsprechen. Familienmitglieder müssen angehört werden, sofern diese Verzögerung praktikabel ist – ein Mitentscheidungsrecht haben sie aber nicht. Diese Ohnmacht kann in der konkreten Situation stark belasten, vor allem, wenn es der Familie wichtig ist, dem Willen des Patienten zu entsprechen. Niemand kann eben mit Sicherheit entscheiden, wie er künftig denken oder reagieren wird. Die Behandlung von Menschen, die nicht einwilligungsfähig sind, bleibt somit auch trotz Patientenverfügung ein sensibles Gebiet.
Vielen Menschen ging das nicht weit genug. Denn was sollte ein Angehöriger machen, der wusste, dass der geliebte Mensch auch ohne drohenden nahen Tod keine lebensverlängernden Maßnahmen möchte, das aber nicht mehr kundtun kann? Was tat ein Arzt, dem ein Patient in einem seltenen klaren Augenblick mitgeteilt hatte, dass sein Leben nicht mehr lebenswert sei? Die Antwort: Nichts, denn möglicherweise machte man sich sonst der Tötung auf Verlangen strafbar. 2006 verlangte daher der Deutsche Juristentag, eine weiterführende Patientenverfügung im Grundgesetz zu verankern.
Am 19. Juni 2009 wurde schließlich das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts angenommen, das seit dem 1. September 2009 rechtskräftig ist. Das bestehende Gesetz wurde um zwei Paragrafen erweitert, nämlich um die Patientenverfügung und das Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens (§ 1901b). Der bisherige Paragraf 1901a (Schriftliche Betreuungswünsche. Vorsorgevollmacht) wurde zu Paragraf 1901c.
Die neue Patientenverfügung gilt unabhängig von Art oder Stadium der Erkrankung. In Notfällen dürfen Ärzte jedoch zum Beispiel immer noch Wiederbelebungsmaßnahmen durchführen, da eine Prüfung auf eine vorliegende Patientenverfügung einfach zu lange dauern würde.
Je detaillierter, desto besser In der Verfügung muss festgelegt werden, welche Maßnahmen wann durchgeführt und welche unterlassen werden sollen. Je klarer und detaillierter das erfolgt, desto einfacher ist eine spätere Durchsetzung der Verfügung. Denn im akuten Fall wird stets noch einmal geprüft, ob sie den Lebens- und Behandlungsumständen tatsächlich entspricht. Ist dies der Fall, muss der Patientenverfügung Folge geleistet werden. Aussagen wie „Ich stimme nur Maßnahmen zu, die mir ein lebenswertes Leben ermöglichen“ bieten dabei aber zu viel Interpretationsspielraum, um etwa zu einem Behandlungsabbruch zu führen.
Es ist daher unerlässlich, dass Patienten sowohl die medizinischen Handlungen als auch ihre Definition von Lebensqualität so genau wie möglich aufführen. Außerdem sollte eine Patientenverfügung immer mit einer Vorsorgevollmacht kombiniert werden, denn nur diese befähigt den Bevollmächtigten, der ja meist ein Familienangehöriger ist, den Willen des Patienten gegenüber den Ärzten durchzusetzen. Liegt sie nicht vor, fällt diese Aufgabe dem gerichtlich bestellten Betreuer zu.
Hinterlegen Die beste Patientenverfügung hilft nicht, wenn sie im Notfall nicht gefunden wird. Daher sollte man genau überlegen, wo man sie hinterlegt oder auch registrieren lässt. Der sinnvollste Ort für das Original ist beim Vorsorgebevollmächtigten, der sie im Notfall ja auch vorweisen muss. Dies ist zwar kostenfrei und unaufwändig, aber auch unsicher. Besser, man lässt die Patientenverfügung registrieren, zum Beispiel gegen Gebühr bei einer privaten Organisation. Dann erhält man eine Karte, die man immer bei sich tragen muss. Nachteil: Geht diese Karte, etwa bei einem Unfall, verloren, fragen die Gerichte bei solchen Organisationen nicht nach.
Anders, wenn man die Verfügung gebührenpflichtig beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer registrieren lässt, die immer abgefragt wird, wenn ein einwilligungsunfähiger Patient behandelt werden muss.
Kann ein Wille in die Zukunft sehen? Bei Patientenverfügungen gibt es manchmal besonders komplizierte Fälle. Ein solcher ist zum Beispiel das Wachkoma, da niemand weiß, wie viel ein Mensch in diesem Zustand wirklich bewusst erlebt. Auch er selbst kann das beim Erstellen der Patientenverfügung nicht wissen. Kann man in diesem Fall also nach einem Papier handeln, dass in einer völlig anderen Situation geschrieben wurde?
Ähnlich verhält es sich bei Demenzkranken. Dann müssen Betreuer, Bevollmächtigte und Ärzte im Sinne des Patienten genau erörtern, ob die Patientenverfügung noch im Vollbesitz der geistigen Kräfte geschrieben wurde, wobei auch das nichts darüber aussagt, ob sie noch dem Willen des Patienten entspricht. Genau hier liegt das Hauptproblem der Patientenverfügung: Sie wird immer für eine Zukunft erstellt, die ganz anders sein kann, als man sie sich vorgestellt hat und betrifft eine Persönlichkeit, die man vielleicht nicht mehr ist.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/14 auf Seite 124.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist