Wahnsymptome im Alter
FEHLBEURTEILUNG DER WIRKLICHKEIT
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Wahngedanken stellen an sich kein eigenständiges Krankheitsbild dar, sondern kommen im Rahmen zahl- reicher Erkrankungen vor. Kunden mit Wahnvorstellungen fühlen sich verfolgt oder haben Angst, vergiftet zu werden, manchmal sind sie davon überzeugt, unheilbar krank zu sein.
„Der spinnt!“ Einige Menschen leiden im höheren Lebensalter unter Wahnvorstellungen, die für Betroffene und Angehörige sehr belastend sein können. Der Wahnkranke wird häufig als Spinner bezeichnet, während die gesunde Bezugsperson bisweilen mit Anschuldigungen des Beziehungspartners konfrontiert wird. Angehörige empfinden nicht selten Gefühle wie Ärger, Wut und Unverständnis, da sie wissen, dass die Äußerungen nicht der Wahrheit entsprechen. Sie sind aufgrund der Vorwürfe enttäuscht und deuten die Aussagen als Undankbarkeit.
Umgang mit Betroffenen Häufig sind wahnhafte Senioren von ihren Vorstellungen so stark überzeugt, dass ihre subjektive Gewissheit nicht korrigierbar ist. Sie sind nicht von ihren Gedanken abzubringen und weisen jede Art von Hilfe zurück. Vermuten PTA und Apotheker bei älteren Kunden eine wahnhafte Störung, sollten sie sich nicht vehement gegen die Wahninhalte stellen, sondern das Vertrauen der Kunden gewinnen. Wichtig ist, Betroffene an ihren Hausarzt zu verweisen und sich dabei möglichst neutral zu verhalten. Für Angehörige empfiehlt es sich, auf Hilfe und Unterstützung, etwa bei Sozial- und Gerontopsychiatrischen Diensten, zurückzugreifen.
Definition Wahnvorstellung Unter einem Wahn versteht man eine objektiv falsche, aus krankhafter Ursache entstehende Überzeugung, die sich ohne entsprechende Anregung von außen entwickelt und trotz vernünftiger Gegenargumente bestehen bleibt. Die Störung, die im hohen Alter auftritt, wird im ICD-10 der Gruppe der anhaltenden wahnhaften Störungen (F22.8) zugeordnet. Sie erfüllt nicht die Kriterien für die wahnhaften Störungen (F22), da beispielsweise die formalen Denkstörungen oder die Negativsymptomatik fehlen. Die Wahnsymptomatik ist hierbei das auffälligste Charakteristikum; um eine Schizophrenie zu diagnostizieren, reicht diese allerdings nicht aus.
Auch im ICD-11 wird die Abgrenzung der Schizophrenie, der schizoaffektiven Störungen und der akuten und vorübergehenden psychotischen Störungen von den wahnhaften Störungen aufrechterhalten. Normalerweise zählen Wahnsymptome zu den schizophrenen Psychosen, treten sie im höheren Lebensalter jedoch erstmalig und isoliert auf, stehen sie nur selten mit einer Schizophrenie im Zusammenhang. Es kommen jedoch auch Spätmanifestationen von Psychosen in der Gerontopsychiatrie vor, Gründe hierfür sind abnehmende Sinnesleistungen, soziale Isolation, altersbedingte Veränderungen des frontotemporalen Kortex, kognitiver Abbau sowie Polypharmazie. Meist sind die Patienten nicht leicht zu betreuen, werden schnell aggressiv und suchen Konflikte.
Es existieren verschiedene Arten von Wahn, die bei älteren Menschen auftreten: Beim Eifersuchtswahn beschuldigen Betroffene ihren Lebenspartner völlig unberechtigt der Untreue, beim Verarmungswahn wird die eigene Vermögenssituation falsch eingeschätzt, diese Form tritt häufig im Zusammenhang mit schweren Depressionen auf. Der Liebeswahn kennzeichnet sich dadurch, dass Patienten meinen, sie befänden sich in einer Liebesbeziehung, die es in der Realität allerdings nicht gibt. Sind Kunden der Ansicht, sie würden über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügen oder den Status eines Königs oder Herrschers genießen, handelt es sich um einen Größenwahn. Bei einem hypochondrischen Wahn vermuten Betroffene bei sich eine schwere Krankheit, ohne dass ein medizinischer Befund vorliegt, während sie bei einem Dermatozoenwahn meinen, sie seien von unter der Haut lebenden Parasiten befallen.
An Demenz denken Der Arzt untersucht Betroffene auch auf organische Ursachen, die zu Wahnsymptomen führen können. Den Beschwerden liegen die unterschiedlichsten Auslöser zugrunde, wie etwa endokrine oder Autoimmunerkrankungen, Erkrankungen des Gehirns (zum Beispiel traumatische ZNS-Verletzungen, Epilepsie oder Demenz) – immerhin die Hälfte der Demenzkranken zeigt wahnhafte Beschwerden. Dies trifft vor allem dann zu, wenn Patienten alleine leben, sich die geistigen Fähigkeiten verschlechtern oder Seh- und Hörprobleme auftreten.
Körperliche Ursachen Auch Störungen des Stoffwechsels, Krebserkrankungen, Vergiftungen, Blutarmut oder Hormonstörungen sind für Wahnsymptome verantwortlich. Beschwerden mit organischer Ursache sind der Kategorie F06.2 des ICD-10 (organische wahnhafte Störung) zuzuordnen. Neben den Wahnideen können auch Halluzinationen oder formale Denkstörungen auftreten, während das Bewusstsein sowie das Gedächtnis nicht beeinträchtigt sind.
Subjektive Gewissheit Charakteristisch für Wahnvorstellungen ist, dass sie unverrückbar sind und die Betroffenen stur an ihnen festhalten – es ist demnach nicht möglich, Patienten von ihren Ideen abzubringen. Stattdessen wird der behandelnde Arzt versuchen, das Wahnthema zu umgehen und sich Bereichen zu widmen, in denen Betroffene bereit sind, Hilfe anzunehmen. Beispielsweise könnte der Hausarzt die mit dem Wahn in Verbindung stehenden Schlafstörungen thematisieren und eine psychiatrische Behandlung einleiten.
Wahnsinnige Aussagen Folgende Äußerungen sind typisch für wahnkranke Senioren: „Meine Kinder wollen mich ins Heim abschieben und an mein Vermögen.“ „Sie wollen mich hier vergiften.“ „Ich werde arm und ich werde verhungern.“ „Ich werde bestohlen.“ „Wenn ich nicht aufpasse, betrügt mich mein Mann.“ „Ich werde sexuell belästigt.“ „Alle verschwören sich gegen mich.“ Wahnerkrankungen schränken die Urteils- und Kritikfähigkeit Betroffener stark ein und beeinflussen darüber hinaus die Willensbildung negativ, sodass Patienten nicht mehr in der Lage sind, rational zu handeln. In einigen Fällen ist eine Betreuung erforderlich, außerdem kann sich eine Gefährdung der Patienten selbst oder sogar anderer Menschen ergeben, sodass in diesen Fällen eine Einweisung in die Psychiatrie, notfalls unter Einschaltung der Ordnungsbehörden, erfolgt.
Start low, go slow Die Symptome werden auch bei älteren Personen mit (atypischen) Neuroleptika behandelt, allerdings ist bei ihnen die höhere Neigung zu Nebenwirkungen zu beachten. Der Arzt verordnet zunächst eine möglichst niedrige Dosierung, die langsam und schrittweise erhöht wird. Atypische Neuroleptika zeichnen sich durch eine hohe Bindungsaffinität an dopaminergen, muskarinergen und serotonergen Rezeptoren aus. Zu Beginn der Therapie steht die dämpfende Wirkung im Vordergrund und die Wahnvorstellungen gehen langsam zurück.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/19 ab Seite 116.
Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin