Personengruppen | Priorisierung
ES STREITEN DIE EXPERTEN: WER BEKOMMT DIE ERSTE IMPFUNG?
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30 Impfstoffkandidaten werden zurzeit im Rahmen von Studien an Probanden getestet. Nach Ansicht des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI) könnte Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres ein Impfstoff zugelassen werden. Natürlich kann dieser nicht automatisch für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen. „Es ist Aufgabe der Ständigen Impfkommission (STIKO) zu priorisieren“, sagt das Bundesgesundheitsministerium (BMG). Schon sehr früh, am 17. April dieses Jahres, beauftragte das BMG die STIKO mit der Entwicklung eines so genannten „risikoorientierten Priorisierungskonzeptes“ für eine mögliche Impf-Option. Auch ein Kreis an Public Health Experten ist an der Beratung zu den ethischen Fragen rund um den Umgang mit dem Coronavirus und den entsprechenden Impfungen beteiligt. Das Kompetenznetz Public Health Covid-19 empfiehlt eine Priorisierung von Menschen im medizinischen und pflegerischen Bereich; aber auch solcher, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, wie etwa bei der Feuerwehr, in Supermärkten oder im öffentlichen Nahverkehr.
Die Experten empfehlen ebenfalls besonders verwundbare Gruppen zu priorisieren – unter anderem die, welche mit erhöhter Wahrscheinlichkeit einen schweren oder sogar tödlichen Covid-19-Verlauf erleiden würden. Insbesondere werden ältere Erwachsene oder Menschen mit chronischen Krankheiten genannt. Aber auch finanziell und sozial benachteiligte Gruppen sollten Teil der Priorisierung sein. Die verbleibenden Restimpfdosen müssten dann fair verteilt werden – jedoch nicht über den freien Markt, denn dies würde zu einem starken Preisanstieg führen. Die Expertengruppe befürwortet hier eine zufällige Verteilung der Impfung.
Zur Vorgehensweise bei der Priorisierung äußert sich auch das PEI, und zwar in zwei Optionen. Zum einen könnten Risikogruppen den ersten Impfstoff erhalten, zum anderen Berufsgruppen, die die öffentliche Ordnung sicherstellen, also insbesondere Polizisten und Lehrer. Bei sehr knappen Ressourcen müsste Deutschland sich also höchstwahrscheinlich für eine der beiden Optionen entscheiden. In Russland wurden nach der umstrittenen Zulassung eines Impfstoffes zuallererst medizinisches Personal und Lehrer geimpft – Putin entschied sich also für letztere Strategie.
Doch wie kommt eigentlich der Impfstoff zu uns? Die Antwort liegt auf der europäischen Ebene – seit einiger Zeit übernimmt die Verhandlungen mit den Pharmaunternehmen bereits die EU-Kommission im Namen aller 27 Staaten. „Eine zentrale Beschaffung von Impfstoffen auf EU-Ebene ist im Vergleich zu 27 Einzelverfahren deutlich schneller und einfacher“, heißt es in einer Mitteilung der EU-Kommission an das europäische Parlament und an den EU-Rat. Zudem würde das Vorgehen rivalisierende Ansätze unterbinden und Solidarität zwischen den EU-Mitgliedsstaaten schaffen.
Erste Resultate gibt es schon: So schloss die Kommission am Donnerstag vergangener Woche einen Vertrag von bis zu 400 Millionen Impfdosen mit dem Pharmakonzern AstraZeneca ab. Da aber jener Impfstoff aus jeweils zwei Dosen besteht, werden die vorbestellten Mengen bei den zurzeit knapp 448 Millionen EU-Bürgern kaum ausreichen. Hinzu kommt, dass die EU mit den Herstellern lediglich eine Art Vorvertrag aushandelt; so werden die Impfstoffe am Ende trotzdem von den einzelnen Mitgliedsstaaten gekauft und anhand eines fairen Schlüssels aufgeteilt. Eine gesamteuropäische Priorisierungsstrategie wird es zudem nicht geben; keiner der 27 bekommt vorgeschrieben, wie er seine Impfdosen zu verteilen hat. Es gibt Wissenschaftler, die das kritisch sehen und sich wünschen, dass die EU dies über ihre Grenzen hinweg regeln würde.
Wie eine Impfung organisatorisch aussehen würde, verrät das oben erwähnte Kompetenznetz: Personen in systemrelevanten Berufen könnten durch die Betriebsärzte geimpft werden; Risikogruppen erhielten dann ihre Impfung im Rahmen der normalen Gesundheitsversorgung.
Alexandra Regner,
PTA und Journalistin
Quelle: Pharmazeutische Zeitung