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'Nun reiß Dich doch mal zusammen!'

ERLERNTE HILFLOSIGKEIT

Die meisten Probleme des Lebens lassen sich lösen, doch manchmal erscheinen Situationen ausweglos. Geschieht dies zu oft, wird die Hilflosigkeit als unabwendbar erlernt

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Kennen Sie das auch? Ein geliebter Mensch steht vor einem Problem und beteuert, dass er es nicht bewältigen könne, obwohl Sie eigentlich von dem Gegenteil überzeugt sind. Dabei kann es sich um Prüfungssituationen handeln oder um etwas so scheinbar Banales wie die Bewältigung des Alltags. Man ist dann oft geneigt, den Betreffenden zurechtzuweisen.

Doch oft wird diese Strategie den Betroffenen nicht gerecht, denn sie können sich nicht zusammenreißen, da sie gefangen sind in einer durch eine lange Kette erlebter Misserfolge gewachsenen Situation, die wir als erlernte Hilflosigkeit bezeichnen.

Am besten können wir die Entstehung dieses Phänomens im Tiermodell verstehen: Setzen wir eine Maus etwa einer Situation aus, in der sie einen aversiven Reiz, wie einen Fußschock erfährt, den sie aber vermeiden kann, indem sie über eine Hürde springt, so lernt sie dies sehr schnell. Bei diesem Lernvorgang wird in ihrem Gehirn der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet, wodurch das Gehirn das Erfolgserlebnis mit einem guten Gefühl belohnt und gleichzeitig das Erlernte im Gedächtnis abspeichert.

Wird das Experiment aber so verändert, dass das Tier dem Schock nicht ausweichen kann, egal was es tut, so wird es zunächst mit aggressivem Verhalten reagieren, nach einer gewissen Zeit aber mit völliger Passivität die Schocks über sich ergehen lassen. Es hat gelernt, dass die Situation ausweglos ist und resigniert.

Ähnliches kann auch Menschen in wiederholt ausweglosen Situationen widerfahren, sei es dem stets überforderten Schüler sowie auch Erwachsenen in für sie scheinbar unlösbaren Lebenssituationen oder bei dauernder Stressbelastung. Sie haben nie Erfolgserlebnisse und somit auch nie die damit verbundene Dopaminausschüttung. Zusätzlich aktivieren Stress und die negative Bewertung der Ergebnisse eigener Handlungen die Habenulae, kleine, sehr alte Kerngebiete zwischen Zirbeldrüse und Thalamus, die die Dopamin-produzierenden Zellen im ventralen Tegmentum weiter hemmen und so zusätzlich zur Passivität beitragen, was schließlich zu dauerhaft erhöhter Aktivität der Habenulae und dadurch Depressionen führen kann.

Hierbei spielt möglicherweise auch die Beeinflussung Serotonin-produzierender Zellen der Raphe-Kerne durch die Habenulae eine Rolle. Gleiches passiert übrigens auch bei dauernder Unterforderung, denn etwas abzurufen, was keine Herausforderung darstellt, wird vom Gehirn auch nicht als Erfolg bewertet und entsprechend nicht belohnt. Dies ist der Grund dafür, dass Hochbegabte oft schlechte Schüler sind. Ist dieser Zustand erst einmal erlernt, so lassen sich die Personen nur sehr schwer wieder aus ihrer Hilflosigkeit befreien.

Wenn Sie hier also helfen wollen, dann versuchen Sie, den Betroffenen kleine Erfolgserlebnisse zu verschaffen, Erfahrungen, dass ihr Handeln doch etwas bewirken kann, um sie so Schritt für Schritt wieder in ein selbstbestimmtes, dopaminreiches Leben zurück zu führen – und vielleicht kennen Sie das ja auch …

ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/13 auf Seite 12.

 


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