Gefahrstoffe
ENERGIEERZEUGER MIT NEBENWIRKUNG
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Chemisch gesehen wird mit dem Begriff Alkohol eine große Gruppe an Verbindungen beschrieben, die bestimmte Kriterien erfüllen. Die Grundlage bildet eine einfache Kohlenwasserstoffkette, bei der ein oder mehrere H-Atome durch Hydroxylgruppen ersetzt wurden. Je nach Anzahl an Hydroxylgruppen werden diese als einfache oder mehrwertige Alkohole bezeichnet. Zu beachten ist, dass nicht nur die Anzahl der Hydroxylgruppen von Bedeutung für die spätere pharmakologische Wirkung ist, sondern bei mehrwertigen Alkoholen auch ihre Stellung zueinander.
Allen Alkoholen gemein ist die narkotische Wirkung, die sie beim Menschen erzeugen. Je länger die Kohlenstoffkette, desto höher ist die Lipophilie. Somit steigen mit der Anzahl der C-Atome nicht nur die desinfizierende und narkotische Wirkung, sondern sinkt auch die letale Dosis. In diesem Artikel soll der Schwerpunkt auf ausgewählte kurzkettige Alkohole gelegt werden. Diese haben sich unter verschiedenen Begriffen als einfache und günstige Haushaltshelfer etabliert. Doch um ein Verständnis für das Risiko der Haushaltsprodukte zu entwickeln, soll zunächst die Pharmakokinetik betrachtet werden.
Pharmakokinetik Die Grundlage der toxischen Eigenschaften, die die meisten Alkohole auf den Körper ausüben, beruhen auf zwei wichtigen, körpereigenen Enzymen: Die Alkoholdehydrogenase (ADH) und die Aldehydoxidase (AO). Die ADH dehydriert den Alkohol zum Aldehyd. Die AO oxidiert im nächsten Schritt den Aldehyd zur Säure, die dann für die wichtigsten Vergiftungserscheinungen verantwortlich ist. Die Abbauprozesse finden unabhängig von der aufgenommenen Menge immer in der gleichen Geschwindigkeit statt, da beide Enzyme auf das gleiche Koenzym angewiesen sind. Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid (NAD+) wird sowohl von der ADH als auch von der AO als Partner gebraucht um diese zu regenerieren.
Die benötigte Menge an NAD+ überschreitet schon bei geringen Blut-Alkohol-Konzentrationen die Bereitstellungsmöglichkeiten durch den menschlichen Körper. Somit bestimmt die Regenerationsrate des NAD+ die Abbaugeschwindigkeit des Alkohols. Einerseits ist es als problematisch zu sehen, dass durch diesen konstanten Abbau eine schwerwiegende narkotische Wirkung einfacher zu erreichen ist. Eine Anpassung des Abbaus an größere Mengen aufgenommenen Alkohols könnte sogar lebensrettend sein, wenn von Ethylalkohol die Rede ist. Andererseits verschafft dieser konstante Abbau ein wichtiges therapeutisches Zeitfenster, falls Vergiftungen mit anderen Alkoholarten vorliegen. Ein Vertreter, der unbehandelt fatale Folgen haben kann und leider immer wieder negativ in den Schlagzeilen auftritt, ist Methanol.
Erst vor ein paar Jahren fielen Jugendliche in Tschechien dem Methanol zum Opfer. Sie erwarben billigen Alkohol abseits der sicheren Supermärkte und erlitten eine Überdosierung Methanol durch gepanschten Alkohol. Die Vergiftungserscheinungen unterscheiden sich zunächst nicht viel von der Wirkung, die durch Ethanol erwünscht ist. Die geringere Lipophilie des Methanols verursacht lediglich ein langsameres Anfluten im Körper. Etwas verzögert und schwächer beginnt schließlich die berauschende Wirkung. Typische Katererscheinungen wie Magendarmbeschwerden und Kopfschmerzen sind die unspezifischen Symptome einer leichten bis mittleren Methanolvergiftung. Ab dem dritten Tag beginnen Sehstörungen. Diese müssen dann ernst genommen werden. Schon 30 bis 50 Milliliter (ml) Methanol reichen für eine letale Dosis aus.
Vergiftung durch Ameisensäure Der Grund für die fatale Wirkung sind die ADH und die AO. Die ADH dehydriert Methanol zunächst sehr langsam zu Formaldehyd, welcher dann schnell durch die AO zur Ameisensäure oxidiert wird. Diese kann vom Körper nur sehr schlecht abgebaut werden und es kommt letztendlich zur akuten Azidose, also zu einer massiven, lebensbedrohlichen Übersäuerung des Blutes. Ein weit verbreiteter Alkohol im Haushalt ist Isopropanol, beispielsweise in Haut- und Flächendesinfektionsmitteln. Bei innerlicher Aufnahme entsteht durch Dehydrierung Aceton. Hier kommt es im schlimmsten Fall ebenfalls zur Azidose. Ein charakteristisches Symptom ist der Geruch nach Aceton, der bei der Ausatmung des Betroffenen zu vernehmen ist.
Zweiwertiger Alkohol Auch zweiwertige Alkohole sind in vielen Haushalten vertreten und können bei versehentlichem Verschlucken Vergiftungen hervorrufen. Ethylenglykol ist als häufiger Bestandteil in Kosmetika aber auch in Frostschutzmitteln enthalten. Meistens in suizidaler Absicht verwendet können schon 100 ml dieses süßlich schmeckenden Alkohols tödlich enden. Über die ADH und AO entstehen in mehreren Teilreaktionen zwei toxische Metabolite. Das Zwischenprodukt Glyoxylsäure hat eine direkte toxische Wirkung auf die Nierentubuli und führt zur Urämie.
Viele tödliche Vergiftungen enden im urämischen Koma. Als Endprodukt der Metabolisierung entsteht die Oxalsäure. Diese bildet mit Calcium-Ionen ein schwerlösliches Salz, welches in den Nierenkanälchen ausfällt. Es kommt zur sogenannten „Oxalatniere“. Die toxische Wirkung der Glyoxylsäure wird auf diese Weise verstärkt. Ein weiterer zweiwertiger Alkohol, der in keiner Apothekenrezeptur fehlt, ist das Propylenglykol. Es wird unterschieden zwischen 1,2-Propylenglykol und 1,3-Propylenglykol. Hier wird die enorme Bedeutung der Stellung der Hydroxylgruppen deutlich. 1,2-Propylenglykol ist kaum giftig. Durch die Metabolisierung entsteht Milchsäure, die im Stoffwechsel verwertet werden kann.
Wird die OH-Gruppe allerdings, wie es beim 1,3-Propylenglykol der Fall ist, um eine Position verschoben, wird es gefährlicher. Bei dessen Einnahme entsteht Malonsäure. Im Gegensatz zur Milchsäure kann diese nicht verwertet werden, sondern gilt als starkes Enzymgift. Weiterhin bildet sie, wie Oxalsäure, schwerlösliche Calciumsalze, die die Nieren stark beschädigen können. Trotz der unterschiedlichen Endprodukte ist eine einheitliche Therapie ausreichend und muss nicht für jede Art der Vergiftung angepasst werden. Wird die Einnahme zeitnah erkannt, sollte Erbrechen ausgelöst werden. Medizinische Kohle ist bei Lösungsmitteln nicht hilfreich. Sollte der Alkohol schon im Blut angekommen sein, stehen zwei Therapien zur Auswahl.
Zwei Therapieoptionen Zum einen wird die ADH mit einem anderen Substrat beschäftigt, das eine höhere Affinität besitzt. Diese kompetitive Hemmung gelingt durch die orale oder intravenöse Gabe von Ethanol. Schon bei Verdacht werden 30 bis 40 ml Ethanol gegeben. Diese Menge entspricht circa 100 ml 40 prozentigem Wodka. Bis zu fünf Tage wird ein konstanter Spiegel von einem Promille aufrecht erhalten. Zum anderen besteht die Möglichkeit die ADH ebenfalls kompetitiv mit dem Wirkstoff Fomepizol zu hemmen. Als zusätzliche Maßnahme bei Ethylenglykol wird eine frühzeitige Dialyse empfohlen um die Nieren zu entlasten.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/2020 ab Seite 80.
Manuel Lüke, Apotheker, PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde