Unser Immunsystem – Teil 4
EINFLUSS VON INNEN
Seite 1/1 4 Minuten
Traditionell spaltet sich die Medizin in zahlreiche einzelne Gebiete auf – für jede Art von Leiden gibt es einen Facharzt. Doch diese Unterteilungen greifen zu kurz, davon sind die Vertreter der Psychoneuroimmunologie überzeugt. Ihrer Ansicht nach lassen sich Körper und Geist nicht voneinander trennen. Im Gegenteil.
Alte Weisheit Dass beide miteinander verbunden sind, wussten schon die alten Römer: Mens sana in corpore sano – Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Die moderne Wissenschaft bestätigt das zunehmend: Heute ist allgemein anerkannt, dass Bewegung sowohl die geistige Leistungsfähigkeit als auch das Immunsystem fördert.
Auch aus seiner eigenen Erfahrung weiß jeder, dass sich Körper und Geist wechselseitig beeinflussen: Während einer akut stressigen Phase wird man meistens nicht krank – liegt dafür aber prompt flach, wenn der Stress nachlässt und man sich eigentlich erholen könnte. Zudem wirkt sich dauerhafter Stress langfristig negativ auf die Gesundheit aus.
Aber auch andere medizinische Aspekte wie beispielsweise der Placeboeffekt berühren den Zusammenhang zwischen Körper und Geist: Obwohl der Patient kein (biochemisch) wirksames Medikament erhält, geht es ihm nachweislich besser. Manche Ärzte stellen daher sogar die Frage, ob es in bestimmten Fällen gerechtfertigt sein kann, Patienten ein an sich wirkungsloses Arzneimittel zu geben, um diesen Effekt auszunutzen. Außerdem gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass eine positive Einstellung dabei helfen kann, Erkrankungen zu überwinden. Manche schwören, dass durch Meditation Selbstheilungskräfte angeregt werden.
Das Experiment Die Geburtsstunde der PNI schlug 1975, als ihr Begründer, der amerikanische Psychiater und Psychologe Robert Ader, eine wegweisende Studie publizierte und den Begriff „Psychoneuroimmunologie“ für das neue Wissenschaftsfeld prägte: Zusammen mit einem Kollegen hatte er Ratten Zuckerwasser zu trinken gegeben und ihnen zeitgleich ein Medikament gespritzt, dass sowohl Bauchschmerzen verursachte als auch das Immunsystem unterdrückte.
Eigentlich eine klassische Konditionierung: Erwartungsgemäß wollten die Ratten nach einigen Tagen kein Zuckerwasser mehr trinken. Doch das Experiment ging weiter: Einem Teil der Tiere wurde es trotzdem weiter eingeflößt, das immunsupprimierende Medikament bekamen sie aber nicht mehr. Das Ergebnis: Die Tiere wurden krank und starben an Infektionen – und das, obwohl ihr Immunsystem eigentlich wieder hätte normal funktionieren müssen.
Denn: Der bloße Geschmack von Zuckerwasser hatte neuronale Signale ausgelöst, die das Immunsystem unterdrückten, sodass es die Infektionen nicht mehr bekämpfen konnte. Dieses Experiment widerlegte somit die bis dahin gültige Lehrmeinung, dass das Immunsystem autonom sei und kein Zusammenhang zum Nervensystem bestehe.
PNI heute Seitdem ist das Wissen um die zahlreichen Interaktionen rasant gewachsen. So weiß man mittlerweile, dass Immunzellen Rezeptoren für Botenstoffe besitzen, die ursprünglich aus dem Nervensystem bekannt sind, und umgekehrt. Schon länger kennt man bereits die sogenannten Stressachsen: Über die „SAM-Achse“ regt das sympathische Nervensystem Zellen im Nebennierenmark an, Adrenalin und Noradrenalin und zu bilden.
Diese Hormone lösen einerseits eine schnelle Stressreaktion im Sinne einer Flucht- oder Kampfbereitschaft aus und versetzen andererseits das Immunsystem in eine Art Alarmzustand und erhöhen die Bereitschaft für Entzündungsreaktionen. Gleichzeitig aktiviert Stress etwas verlangsamt die „HPA-Achse“: HPA steht für Hypothalamus – Pituitary Gland – Adrenal Cortex (Hypothalamus – Hypophyse – Nebennierenrinde).
Bei Stress wird im Hypothalamus das Hormon CRH (Corticotropin Releasing Hormome) ausgeschüttet, was die Hypophyse dazu anregt, ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) zu produzieren und auszuschütten. Dieses sorgt wiederum dafür, dass in der Nebennierenrinde Kortisol ausgeschüttet wird – welches mögliche Entzündungen nach überstandenem Stress dämpft. Geht der Stress aber nicht vorüber und wird dauerhaft Kortisol ausgeschüttet, so kommt es zu einem Ungleichgewicht des Immunsystems, genauer gesagt zu einem Übergewicht von TH2- im Vergleich zu TH1-Zellen.
Da TH1-Zellen normalerweise eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Viren spielen, können wir eben diesen nun weniger entgegensetzen – ein Grund, warum bei langfristiger Anspannung oftmals der Herpes blüht. Das Übergewicht der TH2-Zellen führt zudem zu einer vermehrten Antikörperproduktion und somit möglicherweise zu einer erhöhten Bereitschaft für allergische Reaktionen. Manche Ärzte vermuten, dass die in westlichen Industriegesellschaften beobachtete Zunahme von Allergien (auch) mit der Zunahme von Stress zusammenhängt.
ZUSATZINFORMATIONEN
Aber nicht nur über Hormone und Botenstoffe kommunizieren Nerven- und Immunsystem miteinander: Manche Nervenfasern innervieren Organe des Immunsystems direkt. Dies zeigte kürzlich eine Studie zum Thema Stress und Herzinfarkt: In ihr hatten Wissenschaftler aus Harvard zunächst beobachtet, dass die Mengen von weißen Blutzellen im Blut von Mitarbeitern einer Notaufnahme während des Dienstes erhöht waren; in den freien Tagen dagegen normalisierten sie sich wieder.
An Mäusen konnten sie sodann zeigen, dass das vegetative Nervensystem bei Stress Blutstammzellen im Knochenmark durch die Ausschüttung von Noradrenalin zur Teilung anregte. In der Folge bildeten sich vermehrt weiße Blutzellen, die einen Einfluss auf die Ablagerungen in den Gefäßen haben und so die Entstehung eines Herzinfarktes fördern.
Zahlreiche Untersuchungen wie diese lassen erahnen, wie Psyche, Nerven- und Immunsystem sich gegenseitig beeinflussen. Viele weitere werden nötig sein, bis sich aus den neuen Erkenntnissen gezielt innovative Therapien entwickeln lassen.
Hier finden Sie die anderen Teile der Artikelreihe:
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/14 ab Seite 98.
Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin