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Histamin ist an vielen entzündlichen und allergischen Prozessen beteiligt. © Jörg Lantelme / stock.adobe.com

Rezeptoren

EINER FÜR ALLES

Histamin und seine Rezeptoren – Sind wir hier bei der Behandlung von Heuschnupfen oder Wespenstichen? Geht es um Hypnotika oder etwa um Antiemetika? Da soll nochmal einer durchblicken?

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Endogenes Histamin ist ein Gewebshormon und kommt im menschlichen Organismus ubiquitär in allen Geweben vor. Das biogene Amin wird im Organismus durch die Histidin-Decarboxylase (HDC) aus der Aminosäure Histidin gebildet. Besonders hohe Histamin-Konzentrationen finden sich im Magen-Darm-Trakt, der Lunge und der Haut. Außerdem wird Histamin in den Mastzellen gespeichert und ist in speziellen Blutzellen des Immunsystems enthalten. Histaminasen sorgen dafür, dass freies Histamin sehr schnell wieder abgebaut wird.

Physiologische Bedeutung von Histamin Histamin ist ein Agonist an seinen Rezeptoren. Im menschlichen Organismus unterscheidet man vier Histamin-Rezeptor-Subtypen, die sich verschiedene Aufgabenfelder teilen. Die Stimulation von H1-Rezeptoren dient der Erhaltung des Wachzustandes und der Regulation der Nahrungsaufnahme. Die Auslösung von allergischen Symptomen ist ebenfalls auf die Wirkung von Histamin am H1-Rezeptor zurückzuführen. Die Stimulation von H2-Rezeptoren in den Belegzellen der Magenschleimhaut führt zur Steigerung der Magensäuresekretion und zu einer Motilitätssteigerung des Darmes.

H3-Rezeptoren sind präsynaptische Histamin-Rezeptoren, die sich an unterschiedlichen Neuronen im Zentralen Nervensystems (ZNS) befinden. H4-Rezeptoren befinden sich in speziellen Abwehrzellen des Immunsystems, unter anderem in T-Lymphozyten, eosinen Granulozyten und in den Mastzellen. Daraus kann die Beteiligung von Histamin an vielen entzündlichen und allergischen Prozessen abgeleitet werden.

Pathophysiologische Bedeutung Exogenes Histamin entsteht bei Gärungs- und Reifungsprozessen oder als Verderbnisprodukt aus Lebensmitteln. Gelangen große Mengen dieses körperfremden Histamins in den Organismus, wird „Alarmstufe ROT wegen Feindkontakt“ ausgelöst. Bei einer Histamin-Intoleranz genügen bereits viel geringere Mengen. Sogenannte Histamin-Liberatoren führen bei einer allergischen Reaktion zu einer übermäßigen Ausschüttung endogenen Histamins aus den Mastzellen ins Blut. Die Liste dieser Allergieauslöser ist lang.

Neben Arzneistoffen und Hilfsstoffen können Nahrungsmittel, Gewürze, Waschmittel, Duftstoffe und Parfums hierzu gezählt werden. Konservierungsmittel, Kunststoffe, Metalle oder auch Farbstoffe haben ebenfalls allergene Potenz. Zu den in der Natur vorkommenden Allergenen zählen Pollen, Gräser, Hausstaubmilbenkot, Tierhaare, Federn sowie Licht, Sonne und selbst Wasser. Typische Allergiesymptome sind einerseits auf die Erweiterung kleinster Blutgefäße zurückzuführen, es treten Hautrötungen, Juckreiz, Nesselsucht oder Kopfschmerzen auf.

Es kann zu einem massiven Blutdruckabfall bis hin zum Kreislaufkollaps kommen. Die erhöhte Kapillarpermeabilität andererseits führt zur Bildung von Ödemen und so zur vermehrten Schleim- und Tränenproduktion. Typische Symptome sind Schnupfen, tränende Augen und verschleimter Husten. Zusätzlich kommt es zur Kontraktion von glatter Bronchialmuskulatur, woraus sich ein Bronchialspasmus oder Asthmaanfall entwickeln kann. Spasmen der glatten Muskeln im Bereich des Darmes wiederum führen zu Durchfall.

Treten alle diese Symptome gleichzeitig auf und kommen noch Kreislaufprobleme hinzu, handelt es sich um einen lebensbedrohlichen, anaphylaktischen Schock. H1-Antihistaminika sind kompetitive Antagonisten an H1-Rezeptoren, die im ZNS und der Peripherie vorkommen. Alle H1-Wirkungen können mit diesen Wirkstoffen gelindert oder aufgehoben werden. Chemisch sind die H1-Rezeptor-Antagonisten heterogen aufgebaut.

Antiallergika H1-Antihistaminika der ersten Generation zeigen eine gute antiallergische Wirkung. Diese Substanzen besitzen eine ausgezeichnete ZNS-Gängigkeit, das heißt, sie können die Blut-Hirn-Schranke leicht überwinden und wirken deshalb stark sedierend. Wirkstoffe der ersten Generation sind Clemastin, Dimetinden, Doxylamin und Diphenhydramin. H1-Rezeptor-Antagonisten der zweiten Generation passieren im Vergleich zu Substanzen der ersten Generation die Blut-Hirn-Schranke nicht oder nur in geringfügigem Ausmaß, sodass zentrale Effekte weitgehend ausbleiben. Sie zeichnen sich zusätzlich durch eine höhere Selektivität bezüglich der Wirkung am H1-Rezeptor aus.

Wirkstoffe der zweiten Generation, die zur systemischen Anwendung in Form von Tabletten oder Tropfen zur Verfügung stehen, sind Cetirizin, Loratadin und Mizolastin. Azelastin oder Levocabastin sind zur topischen Applikation in Form von Augentropfen oder Nasenspray besonders gut geeignet. H1-Antihistaminika der dritten Generation zeigen therapeutisch kaum Vorteile. In diese Gruppe gehören die Wirkstoffe Levocetirizin - aktives Enantiomer von Cetirizin, Desloratadin - aktiver Metabolit von Loratadin, Fexofenadin - aktiver Metabolit von Terfenadin.

Hypnotika Wirkstoffe wie Diphenhydramin und Doxylamin werden als Hypnotika in der Selbstmedikation eingesetzt. Als Einnahmeempfehlung gilt der Hinweis, das Präparat circa 30 Minuten vor dem Schlafengehen zu nehmen. Es besteht eine Interaktion bei zeitnaher Einnahme weiterer zentraldämpfender Substanzen oder dem Konsum von Alkohol, da es dadurch zu einer Wirkungsverstärkung kommt.

Die Dauer der Anwendung sollte auf einen Zeitraum von 7 bis 14 Tagen beschränkt werden. Eine alternierende Einnahme (einen Abend einnehmen, am nächsten Abend nicht einnehmen, dann wieder einnehmen) kann als Alternative angeraten werden. Zu den typischen UAW (= unerwünschte Arzneimittelwirkung) zählen die anticholinergen Effekte wie Mundtrockenheit und Obstipation.

Antiemetika Antiemetika sind Medikamente, die Übelkeit und Brechreiz unterdrücken sollen. Eine Indikation für eine antiemetische Therapie mit H1-Antihistaminika ist die Kinetose (Reisekrankheit). Ein weiteres Einsatzgebiet ist Hyperemesis gravidarum, das übermäßige Schwangerschaftserbrechen. Antiemetika werden auch gegen postoperative Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. In der Notfallmedizin werden Antiemetika zur Behandlung der Anaphylaxie zusätzlich zu Adrenalin und Glucocorticoiden eingesetzt. Wirkstoffe aus der Gruppe der H1-Antihistaminika, die als Antiemetika Verwendung finden, sind Betahistin, Dimenhydrinat und Diphenhydramin-HCl.

H2-Antihistaminika H2-Rezeptor-Antagonisten sind kompetitive Antagonisten an den H2-Rezeptoren der Belegzellen in der Magenschleimhaut. Sie setzen dort die Magensaftsekretion herab. Indikationen für H2-Antihistaminika sind alle Erkrankungen, die ursächlich auf eine Hyperazidität oder einen Reflux zurückzuführen sind. Ihre Einsatzgebiete sind Gastritis (Magenschleimhautentzündung), Ulcera (= Geschwüre) des Magens und des Zwölffingerdarms, Stressulcera in der Intensivmedizin, die als Folge von schweren Verletzungen und Verbrennungen entstehen, oder deren Prophylaxe.

Wirkstoffe dieser Gruppe sind Cimetidin, Famotidin, Ranitidin und Nizatidin. In der Selbstmedikation ist die Anwendung auf die Indikationen „saures Aufstoßen“ sowie „Reflux“ auf maximal 14 Tage beschränkt. Alle H2-Blocker werden generell einmal täglich, idealerweise abends eingenommen. Zu den häufigsten UAW zählen neben Schwindel und Kopfschmerzen auch gastrointestinale Störungen wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe oder Obstipation, deutlich seltener treten Muskelschmerzen auf.

Alle Wirkstoffe sind Enzyminhibitoren, sie hemmen neben dem eigenen Abbau auch den Abbau anderer Arzneistoffe, sodass es zu deren Wirkungsverstärkung kommen kann. Infolgedessen ergeben sich Interaktionen mit Antikoagulanzien, Lidocain, Benzodiazepinen oder Theophyllin. Während der Schwangerschaft und Stillzeit besteht eine strenge Indikationsstellung.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/18 ab Seite 110.

Bärbel Meißner, Apothekerin

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