Illustration einer männlichen Figur. © Oleksandr Chaban / iStock / Getty Images
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Psychologie in der Apotheke

EINE FRAGE DER MORAL

Jeder hat eine Vorstellung davon, welches Verhalten akzeptabel und welches moralisch verwerflich ist. Unmoralische Personen werden damit assoziiert, dass sie Menschen unterdrücken, ihnen schaden und lügen.

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Was man als gerecht und moralisch empfindet, kann je nach Lebenserfahrung variieren. Menschen vergleichen sich automatisch mit ihrer Bezugsgruppe, sodass es in den unterschiedlichen sozialen Umfeldern völlig verschiedene Auffassungen darüber gibt, was moralisch oder gerecht ist und was nicht. Von den Mitgliedern einer Gesellschaft erwartet man grundsätzlich, dass sie die Normen und ethischen Standards, die in dem jeweiligen Moralsystem vorherrschen, akzeptieren. Bei einem abweichenden Verhalten drohen das Unverständnis der Mitmenschen bis hin zu Verurteilungen auf der Grundlage der Gesetze.

Entwicklung von Moral Kinder lassen sich zunächst von Gefühlen anstecken: Weint oder lacht eine andere Person, beginnt ein Baby die gleichen Emotionen zu zeigen. Der Ursprung liegt hierbei in dem Kommunikationspartner, denn das Kind hat noch kein entwickeltes Ich-Bewusstsein. Mit ungefähr 18 Monaten sind Kinder fähig, ansatzweise Empathie zu empfinden und zu erkennen, wenn ihre Mitmenschen leiden. Sie beginnen dann, andere zu trösten ohne selbst mitzuweinen. Im Alter von zwei Jahren verstehen sie, dass ihr Handeln Konsequenzen nach sich zieht und dass ihre Bedürfnisse nicht unbedingt denen anderer Personen entsprechen.

Ab dem vierten bis fünften Lebensjahr ist die „Theory of mind (ToM)“, die Fähigkeit, sich in die Gedanken anderer hineinzuversetzen, vollständig ausgeprägt. Die ToM stellt eine unerlässliche Fähigkeit für das menschliche Zusammenleben dar und gilt als spezifische menschliche Eigenschaft – nur wenige Primaten zeigen Ansätze der ToM. Zwischen dem siebten und zwölften Lebensjahr gelingt es Heranwachsenden, die eigenen Gedanken und Emotionen aus der Perspektive anderer Personen zu betrachten. Mit 15 Jahren haben Jugendliche die unterschiedlichen Ansichten, die Menschen einnehmen können, erkannt. Die moralische Entwicklung ist beendet, wenn ein Gerechtigkeitssinn vorliegt, Normen und Regeln verinnerlicht sind und ohne Kontrolle eingehalten werden.

Unmöglich unmoralisch Die meisten Menschen würden beispielsweise Dinge in einem Geschäft nicht stehlen. Dies liegt jedoch nicht alleine daran, dass sie Diebstahl für unkorrekt halten, sondern ist vielmehr in der Tatsache begründet, dass sie davon ausgehen, dass das unmoralische Handeln gar nicht möglich ist. Dieser Meinung sind zumindest Forscher der Harvard Universität: Die meisten Menschen sagen sich, dass es eigentlich gar nicht möglich ist, Unmoralisches zu tun. Das Gehirn reagiert darauf wie auf unmögliche Handlungen, zum Beispiel fliegen zu können. Unmoralische Handlungen sind vom Gehirn demnach so gespeichert, als wären sie nicht möglich. Diese Tatsache erklärt unter anderem auch, warum Religion Drogenkonsumenten beim Absprung aus dem Missbrauch unterstützen kann. Der Konsum gilt aus religiöser Sicht als unmoralisch, sodass er für Betroffene schließlich als unmöglich definiert wird und sie deshalb leichter von den Suchtmitteln loskommen.

Die „Theory of mind“ – die Fähigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen – gilt als spezifisch menschliche Eigenschaft.

Das Heinz-Dilemma Eine fiktive Geschichte: Eine Frau war an einer besonderen Krebsart erkrankt und lag im Sterben. Ein Apotheker besaß ein sehr teures Medikament, welches die Frau retten könnte. Heinz, der Ehemann der kranken Frau, schildert dem Apotheker die Lage und hofft auf Hilfe. Der Apotheker verlangte jedoch ein Vielfaches der eigenen Kosten. Heinz suchte seine Bekannten auf, um das Geld zu sammeln, doch er kam nur auf die Hälfte des verlangten Preises. Der Apotheker war dennoch nicht bereit, ihm zu helfen und begründete es folgendermaßen: „Ich habe den Wirkstoff entdeckt und möchte damit reich werden.“ Heinz hat alle legalen Mittel ausgeschöpft und überlegt nun, ob er in die Apotheke einbrechen und das Medikament stehlen soll.

Was meinen Sie? Soll Heinz das Medikament stehlen oder nicht? Macht es einen Unterschied, ob Heinz seine Frau liebt oder nicht? Wenn die Person fremd wäre, sollte Heinz dann auch in die Apotheke einbrechen? Würde es sich um ein Haustier handeln, sollte Heinz das Arzneimittel dann trotzdem klauen? Ein Einbruch ist gegen das Gesetz – ist diese Handlung dann deshalb moralisch falsch? Derartige Dilemmata stellen ein Mittel zur Herausstellung und zur Förderung des moralischen Urteilsvermögens dar. Der berühmte US-Psychologe Lawrence Kohlberg stellte eine Theorie mit sechs Moralstufen auf: Von den individuellen Antworten auf das Heinz-Dilemma lässt sich auf die jeweilige moralische Entwicklungsstufe einer Person schließen.

Moral ist ansteckendWilhelm Hofmann von der Universität Köln führte mit seinen Kollegen an 1252 Probanden einen Moraltest per Handy durch. Fünf Mal täglich erhielten die Testpersonen eine SMS der Forscher, in der sie gefragt wurden, ob sie in den letzten 60 Minuten eine moralische oder unmoralische Handlung durchgeführt oder andere Personen dabei beobachtet hätten. Zu der entsprechenden Tat sollten die Versuchspersonen dann ihre Gefühle beschreiben. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass moralisches Alltagsverhalten ansteckend ist und Menschen sich fair, ehrlich, hilfsbereit und gut verhalten, wenn es ihnen von anderen vorgemacht wird.

Für die eigene gute Tat gilt das allerdings nicht: Wer beispielsweise morgens schon vorgelegt hat, ruht sich tagsüber eher auf seiner moralischen Handlung aus. Eine folgende unmoralische Tat wird dadurch sogar wahrscheinlicher. Ein interessantes Ergebnis der Untersuchung war auch, dass sich religiöse Menschen nicht moralischer verhalten als nicht-religiöse Personen. Sie hatten größere Scham- und Schuldgefühle, wenn sie sich selbst unmoralisch verhielten, waren jedoch besonders stolz, wenn sie etwas Gutes taten.

Exkurs: Abgrenzung zur Ethik Moral und Ethik werden häufig gleich gesetzt, doch bedeuten die Begriffe auch wirklich dasselbe? Der Begriff Moral stammt aus dem Lateinischen (mos) und bedeutet übersetzt Sitte, während Ethik von dem griechischen Wort „ethos“ abstammt, was Charakter, Brauch, Sitte oder Gewohnheit heißt. In der Alltagssprache werden Ethik und Moral weitestgehend synonym verwendet. Aus philosophischer Perspektive stellt die Moral ein Normsystem für das menschliche Verhalten dar, welches unbedingt eingehalten werden sollte. Ethik ist aus philosophischer Sicht die Wissenschaft der Moral und steht somit eine Stufe über der Moral.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 11/2020 ab Seite 82.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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