Selen
EIN SCHMALER GRAT
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Um gesund zu bleiben, benötigt der Körper Spurenelemente. Da er sie nicht selbst produzieren kann, müssen sie mit der Nahrung zugeführt werden. Dies gilt auch für Selen, dass wie alle Spurenelemente in zu hoher Dosierung gesundheitsschädigend ist. Das Schwierige dabei: Zwischen Mangel und Überdosierung liegen nur etwa vierhundert Mikrogramm.
Gut gegen oxidativen Stress Selen hat als Bestandteil von Enzymen zwei Hauptfunktionen im Körper: Zum einen kann er nur mittels der Selen enthaltenden Dejodasen aus dem Schilddrüsenhormon Thyroxin das weitaus besser verwertbare Trijodthyronin (T3) bilden, weshalb ein Selenmangel zu einer Schilddrüsenunterfunktion führen kann. Zum anderen ist Selen essenzieller Bestandteil der Glutathionperoxidasen, die als Radikalfänger aggressive, zellschädigende Sauerstoffformen abbauen und somit oxidativem Stress vorbeugen. Darüber hinaus kann ein Selenmangel auch zu Unfruchtbarkeit sowie Muskel- und Gelenkdegenerationen führen.
Zu viel, zu wenig, genau richtig Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt ab dem 15. Lebensjahr die Zufuhr von täglich 30 bis 70 Mikrogramm Selen, Der Körper kann es über Nahrung und Trinkwasser aufnehmen, da es natürlich im Boden vorkommt und von dort in die Nahrungskette gelangt. Allerdings variiert der Selengehalt je nach Bodenbeschaffenheit und geografischer Lage stark. So gibt es Länder, in denen die tägliche Aufnahme durch Nahrungsmittel bei über 500 Mikrogramm pro Tag liegt – eine kritische Größe. Der Schwellwert für eine unbedenkliche längerfristige Aufnahme liegt bei 350 Mikrogramm.
In Ländern mit hohem Selengehalt im Boden, wie etwa den USA oder Kanada, sind Selenosen, also chronische Selenvergiftungen, nicht selten. Sie können von Übelkeit und Erbrechen bis hin zu einer Leberzirrhose führen. Einige asiatische Länder haben hingegen einen sehr niedrigen Selengehalt im Boden. Aus diesen Regionen kennt man Mangelerkrankungen wie zum Beispiel die Keshan-Krankheit, bei welcher der Selenmangel zu einem krankhaft vergrößerten Herz führt.
FISCH IST WICHTIGSTER LIEFERANT
Eine Selenzufuhr über Nahrungsergänzungsmittel ist daher für die meisten gesunden Menschen unsinnig, denn sie können ihren Bedarf mit einer ausgewogenen Ernährung decken. So bietet Fisch viel Selen, aber auch Vollkornprodukte, Sojabohnen, Kokosund Paranüsse sind gute Lieferanten. Besonders viel Selen enthält auch Leber, während es in Ei und Milchprodukten in geringeren Mengen vorkommt.
Zwischen diesen Extremen bewegt sich Deutschland eher im Mittelfeld. In der Nahrung kommt genug Selen vor, um bereits bei einer normalen, ausgewogenen Ernährung Mangelerscheinungen vorzubeugen. Man geht davon aus, dass jeder Deutsche täglich ungefähr 50 Mikrogramm Selen über Nahrung und Trinkwasser aufnimmt.
Seriöse Studien oder Geldschneiderei? Obwohl Nutzen und Schaden bei diesem Spurenelement so nah beieinander liegen, ist Selen immer wieder ein Favorit der Nahrungsergänzungsmittelindustrie. Die Produkte versprechen schöne Haut, glänzende Haare, feste Nägel und gesteigerte Energie. Studien zeigen außerdem angeblich, dass Selen vor den gefürchteten Zivilisationskrankheiten Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall oder gar Krebs schützt – was wissenschaftlich nicht haltbar ist, wie die unabhängige Cochrane Collaboration nachwies.
So zeigte sie bereits 2011, dass Selen nicht vorbeugend gegen Krebs wirkt und fand 2013 in einer weiteren Metaanalyse heraus, dass Selen auch keinen Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen bietet. Einige Studien zeigten sogar einen fördernden Einfluss von Selen auf die Entwicklung eines Diabetes.
In gewissen Fällen sinnvoll Bei sehr einseitiger Ernährung kann die zusätzliche Einnahme von Selen zur Nahrungsergänzung jedoch sinnvoll sein. Veganer zum Beispiel, die nicht auf eine ausreichende Versorgung mit Getreide und Nüssen achten, um ihren Selenhaushalt in der Balance zu halten, können davon profitieren. Bestimmte Erkrankungen, Medikamente oder auch Essstörungen können dazu führen, dass eine zusätzliche Selengabe über Nahrungsergänzungsmittel unumgänglich wird, was zum Beispiel bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn der Fall sein kann.
Wichtig ist jedoch, dass dies immer unter ärztlicher Aufsicht erfolgt, um eine Überdosierung zu verhindern. Diese entwickelt sich meist längerfristig und wird zunächst kaum erkannt, weil die unspezifischen Symptome denen einer Magen-Darm-Erkrankung ähneln. Im weiteren Verlauf können Empfindungsstörungen und Haar- und Hautprobleme hinzukommen. Später verändern sich die Nägel klauenartig und können ausfallen. Schwere Vergiftungen schädigen die Organe. So schafft eine Überdosierung genau die Symptome, die man eigentlich mit dem Spurenelement bekämpfen wollte.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/14 ab Seite 96.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist