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Sinne

DIE VISUELLE WAHRNEHMUNG

Durch die Augen verfügt der Mensch über die Fähigkeit, die Umwelt haargenau wahrzunehmen. Kein anderes Sinnesorgan ermöglicht dies auf solch präzise Art und Weise.

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Obwohl jeder Sinn wichtig ist, kommt der visuellen Wahrnehmung eine besondere Bedeutung zu: Immerhin sind mehr als 50 Prozent des Gehirns an der Verarbeitung von visuellen Reizen beteiligt. Das Sehen ist ein komplizierter Prozess, denn damit das Gehirn ein Bild von der Umwelt produzieren kann, wandelt das Auge das Licht in Nervenreize um, die wiederum über den Sehnerv weitergeleitet werden.

Komplexer Prozess Die visuelle Wahrnehmung basiert auf Lichtreizen, die auf die Retina (Netzhaut) treffen. Im Umfeld befindet sich stets eine Vielzahl von Eindrücken, sie unterscheiden sich in Form, Farbe, Größe, Entfernung oder Lokalisation voneinander. Zu den verblüffenden Leistungen des visuellen Systems gehören die Differenzierung von Farben, räumlicher Tiefe oder Bewegungen. Die auf der Netzhaut ankommenden Reize werden zwar vom visuellen System im Gehirn einzeln verarbeitet, dennoch handelt es sich um einen konstruktiven Prozess, da ein kohärentes Bild gebildet wird.

Anatomie Die Augen befinden sich in den knöchernen Augenhöhlen des Schädels und werden von sechs Augenmuskeln gesteuert, sodass sie Bewegungen wie Rollen oder Drehen leisten können. Die äußere Haut des Auges setzt sich aus der Lederhaut (Sklera) und der Hornhaut (Cornea) zusammen. Die Cornea ist lichtdurchlässig, besteht aus kollagenhaltigen Fasern und ist teilweise von der Bindehaut (Konjunktiva) bedeckt. Diese kleidet auch das Innere der Augenlider aus. Die mittlere Augenhaut umfasst die Iris (Regenbogenhaut), die Chorioidea (Aderhaut) und den Corpus ciliare (Ziliarkörper). Die Aderhaut ist reich an Blutgefäßen, welche die angrenzenden Bereiche versorgen.

Im Ziliarkörper liegt die Ziliarmuskulatur, diese steuert die Veränderung der bikonvexen (beidseitig gewölbten) Linse und beeinflusst dadurch ihre Brechkraft. Die Iris fungiert als Blende des Auges und kann den Durchmesser der Öffnung zur Pupille mit ihrer Muskulatur steuern. Der Musculus sphincter pupillae verengt die Pupille, der Musculus dilatator pupillae erweitert sie. Die Retina stellt die innere Haut des Auges dar und verfügt über einen lichtempfindlichen und lichtunempfindlichen Teil. Der Glaskörper füllt das Augeninnere aus, besteht zu 98 Prozent aus Wasser, enthält kaum Zellen und ist durch ein Fibrillen-Gerüst gefestigt. Die kugelförmige Struktur des Auges wird durch den Augeninnendruck aufrechterhalten.

Der Vorgang des Sehens Durch das optische System werden Reize auf die Netzhaut befördert. Aufgrund ihrer lichtbrechenden Eigenschaften sind die Linse und die Cornea in der Lage, das Licht auf der Retina zu fokussieren. Für die Verstellung des Krümmungsradius (Akkommodation) ist die Augenlinse verantwortlich. Befinden sich Gegenstände weiter als sechs Meter vom Auge entfernt, ist der Vorgang der Akkommodation, also die Einstellung auf Nahsicht, nicht erforderlich, da die Lichtstrahlen parallel einfallen und scharf auf der Retina abgebildet werden. Im Laufe des Lebens verschlechtert sich die Akkomodationsfähigkeit allerdings, Folge ist eine sogenannte Prespyopie (Altersweitsichtigkeit).

Netzhaut – genauer betrachtet In der Netzhaut befinden sich die Nerven- und Sinneszellen, die das erzeugte Bild aufnehmen, in Aktionspotentiale umwandeln und die Informationen an das Gehirn weiterleiten. Die Retina besteht aus fünf Zellschichten und zwar aus den Ganglienzellen, den Amakrinzellen, den Bipolarzellen, den Horizontalzellen sowie den Fotorezeptorzellen (Zapfen und Stäbchen). Die Zapfen gewährleisten das Sehen am Tage (fotopisches Sehen), die Stäbchen das Wahrnehmen in der Dämmerung (skotopisches Sehen).

Augenfarbe

Die Iris verfügt über das Farbpigment Melanin, welches die Augenfarbe bestimmt. Nach der Geburt haben Babys weißer Hautfarbe zunächst blaue Augen, da anfangs kein Melanin eingelagert ist. Erst einige Monate nach der Geburt entstehen die verschiedenen Pigmentierungen (blau, grün, braun, grau), die von der Konzentration des Melanins abhängen. Die Melanin-Einlagerungen schützen das Auge vor intensiver Helligkeit, daher haben Menschen in südlichen Ländern meist dunkle Augen, anders als in nördlicheren Ländern.

Inversion der RetinaDie Fotorezeptorzellen liegen in der innersten Schicht der Netzhaut, obwohl sie eine lichtaufnehmende Funktion haben. Das Licht muss demnach alle anderen Schichten der Netzhaut durchdringen, bevor es auf die Fotorezeptoren trifft (Inversion). Das schärfste Sehen erfolgt an der Sehgrube (Fovea centralis), in der es ausschließlich Zapfen gibt. An der Stelle, an welcher der Sehnerv austritt, liegen keine Fotorezeptoren vor (blinder Fleck). Die Bipolarzellen sind über Synapsen mit den Zapfen und Stäbchen verbunden, ihnen folgen die Amakrinzellen und schließlich die Ganglienzellen.

Letztere besitzen sogenannte rezeptive Felder, über die sie Reize erhalten. Die Horizontal- und Amakrinzellen stellen Querverbindungen innerhalb der Netzhaut her. Alle Zellen sind über Synapsen miteinander verbunden und stehen im Austausch miteinander. Zuletzt schließt sich der Sehnerv an, der aus den Axonen der Ganglienzellen besteht. Von dort aus gelangen die Informationen über verschiedene Stationen zum Okzipitallappen des Gehirns, wo der primäre visuelle Kortex (primäre Sehrinde) lokalisiert ist. Die sekundäre Sehrinde erhält vom primären visuellen Kortex Informationen und verarbeitet diese weiter.

Störungen des Sehsinnes Eine Nachtblindheit entwickelt sich aufgrund einer Schädigung der Stäbchenzellen. Die Funktionseinschränkung kann genetisch bedingt, Folge bestimmter Erkrankungen sowie eines Vitamin-A-Mangels sein. Auch Beeinträchtigungen des Sehnervs oder Erkrankungen, die zum Beispiel in Folge eines Diabetes mellitus auftreten, können Nachtblindheit hervorrufen. Bei einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie degenerieren die Photorezeptoren im Auge.

Die Erkrankung ist erblich bedingt, beginnt bereits in der Kindheit mit einer reduzierten Sehstärke und kann im Erwachsenenalter zur Erblindung führen. Zunächst sterben die Zapfen bei der Erkrankung ab, im Anschluss trifft es auch die Stäbchen. Der Verlauf ist bei der sogenannten Retinitis pigmentosa (RP) genau umgekehrt, die Netzhautzellen sterben allmählich ab. Je nachdem, welche Bereiche betroffen sind, kommt es zu Symptomen wie Ausfälle im Gesichtsfeld, Blendungsempfindlichkeit, Störungen des Farb- und Kontrastsehens, Nachtblindheit sowie eine verlängerte Anpassungszeit an unterschiedliche Lichtverhältnisse.

Individuelle WahrnehmungWissenschaftler des University College London haben vor einigen Jahren herausgefunden, dass die optische Wahrnehmung der Umwelt von Mensch zu Mensch variiert – die Differenzen seien auf die Größe des Sehzentrums im Gehirn zurückzuführen. Die Forscher fanden ebenfalls heraus, dass Menschen eher auf optische Täuschungen hereinfallen, wenn sie nur eine kleine Sehrinde besitzen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/2020 ab Seite 114.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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