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Repetitorium

DIE NIERE – TEIL 1

Unsere Nieren sind mehr als ein Ausscheidungs- und Entgiftungsorgan. Während sie konstant unser Blut filtern und Stoffe entfernen, die dort nichts zu suchen haben, halten sie gleichfalls mehrere lebenswichtige Körperfunktionen aufrecht.

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Die Nieren bilden gemeinsam mit dem Harnleiter die oberen Harnwege beziehungsweise den oberen Harntrakt. Ist die Blase voll, werden Dehnungsrezeptoren in der Blasenwand aktiviert und wir blicken uns suchend nach einer Toilette um, wo der Harn schließlich über die Harnröhre (Urethra) ausgeleitet wird. Die Blase und die Harnröhre werden analog als unterer Harntrakt beziehungsweise untere Harnwege bezeichnet. Täglich fließen bis zu 1800 Liter Blut durch die paarig angeordneten Organe – als wichtigste Entsorgungsstation des menschlichen Körpers müssen die Nieren gut durchblutet sein. Doch an dieser Stelle werden nicht nur Stoffe rausgeschleust, sondern auch aktiv rückresorbiert.

Mit Hilfe des Elektrolyt- und Stoffausgleichs wird der Säure-Base-Haushalt koordiniert, der Blutdruck aufrecht gehalten und der Wasser- und Elektrolythaushalt reguliert. Darüber hinaus handelt es sich bei den Nieren um Produktionsstätten wichtiger Hormone: Sie bilden Erythropoetin, Renin und Calcitriol, die Nebennieren Glucocorticoide, Mineralcorticoide und Androgene. Und als wären das nicht schon genug Aufgaben, sind die beiden bohnenförmigen Organe auch zur Gluconeogenese fähig, nehmen also am Kohlenstoffstoffwechsel teil. Kein Wunder also, dass der Körper vorsichtshalber zwei Vertreter angelegt hat, denn wenn die Nieren ihre Funktion nicht mehr erfüllen können, gerät der Organismus schnell in einen lebensbedrohlichen Zustand.

Anatomischer Aufbau der Multitalente Kidneybohnen tragen nicht zu Unrecht ihren Namen. Tatsächlich handelt es sich bei Nieren (engl. kidney) um paarig angelegte rotbraune und bohnenförmige Organe, die unterhalb des Zwerchfells auf je einer Körperseite liegen. Man kann sich die Nieren also wie zwei etwa zehn bis zwölf Zentimeter (cm) lange, fünf bis sieben cm breite und 120 bis 200 Gramm (g) schwere Kidneybohnen vorstellen, die sich über die Wirbelsäule hinweg anschauen. Auf ihren „Köpfen“ tragen sie je einen dreieckigen Hut aus Drüsengewebe: die Nebennieren. An dem nach innen gekrümmten Rand befindet sich eine kleine Vertiefung, die sogenannte Nierenpforte, auch Hilus genannt.

Hier findet der Blutaustausch statt: Die Nierenarterie führt mit harnpflichtigen und sonstigen Abfallstoffen beladenes Blut in das Organ hinein und die Nierenvene leitet das gereinigte Blut wieder hinaus. Nerven, Lymphgefäße sowie der Harnleiter (Ureter) finden sich ebenfalls am Hilus. Stellt man sich weiter die einzelne Niere als längs aufgeschnittene Bohne vor, so findet sich als „Schale“ die Nierenkapsel, ein derbes Bindegewebe, das wenig dehnbar und von einer Fettschicht umgeben in einen Fasziensack eingebettet ist. Im Inneren besteht die „Bohne“ aus drei Zonen, das sind von außen nach innen: Nierenrinde, Nierenmark und das Nierenbecken als Auffangraum für den entstehenden Harn, der über den Ureter abgeleitet wird. Nierenmark und -rinde bilden zusammen das Nierenparenchym.

Die Markschicht wird durch sechs bis neun Einheiten unterteilt. Diese Nierenlappen erinnern in ihrer Form an Pyramiden, deren Basis zur Nierenrinde ausgerichtet ist und die Spitze, die sogenannte Nierenpapille, ragt je in einen Nierenkelch. Die Gesamtheit der Nierenkelche bildet wiederum das Nierenbecken, in das die feinen Mündungen der Harnporen, die sich auf den Nierenpapillen befinden, münden. So wird der fertige Harn in das Sammelbecken geleitet. Die Rinde liegt als etwa ein Zentimeter breiter Streifen über der Basis der Markpyramiden, die geraden Abschnitte der Nierentubuli und die Sammelrohre verbinden die Rinde in Form sogenannter Markstrahlen mit dem Nierenmark. Um die Markstrahlen herum befinden sich in der Rinde die Nierenkörperchen und die gewundenen Tubulusanteile.

Die Bohne unterm Mikroskop Das Nierenparenchym enthält insgesamt 1 bis 1,4 Millionen Nephrone, die funktionellen Filtereinheiten der Nieren. Jedes Nephron besteht aus einem Nierenkörperchen und einem Tubulusapparat. Das Nierenkörperchen bildet den ersten Teil des Nephrons und setzt sich aus einem Knäuel aus Kapillarschlingen, dem Glomerulus, und einer feinen Hülle, der sogenannten Bowman-Kapsel, die das Knäuel umgibt, zusammen. Diese Kapsel besteht aus zwei Blättern, wobei eines auf den Kapillaren aufliegt, das andere grenzt den Glomerulus von der Umgebung ab. Zwischen den Blättern liegt ein Spalt, in den der Primärharn in den proximalen Tubulus abgegeben wird. Das zuleitende Blutgefäß nennt sich Vas afferens, das ableitende Vas efferens.

Ihre Gefäßwand ist für verschiedene Blutbestandteile durchlässig, Plasmaeiweiß oder Blutzellen sind zu groß und werden zurückgehalten, Glucose, Harnstoff, Elektrolyte und Wasser passieren die Gefäßwand und werden in den Tubulus abtransportiert. Der Vorgang wird als glomeruläre Filtration bezeichnet. Auf diesem Weg werden pro Minute etwa 125 Milliliter Primärharn gebildet – hochgerechnet sind das rund 180 Liter am Tag.

Während im Nierenkörperchen Filtrationsprozesse stattfinden, findet im Tubulusapparat die aktive Ausscheidung und Rückresorption von Substanzen statt. Der proximale Tubulus ist gewunden, gegen Ende geht ein gerader Abschnitt in ein dünneres Überleitungsstück über, die sogenannte Henle-​Schleife, die den proximalen mit dem distalen Tubulus verbindet, der wiederum erst gerade, später verknäult erscheint und, gemeinsam mit den distalen Tubuli anderer Nephrone, in das Sammelrohr mündet.

Für die tubulären Transportprozesse benötigen die Nieren ungefähr sieben Prozent des gesamten Sauerstoffverbrauchs.

Vom Primärharn zum Endharn Die größten Resorptionskräfte besitzt der proximale Tubulus, neben Elektrolyten werden hier auch Glucose und Aminosäuren gemeinsam mit Natrium sowie die im Primärharn enthaltenen Kleinstmengen Proteine resorbiert – in der Regel vollständig, sodass sie im Endharn nicht zu finden sind. Wird jedoch ein bestimmter Schwellenwert während der glomerulären Filtration überschritten, dann ist die Kapazität der Rückresorption erschöpft und auch diese Stoffe werden über den Endharn ausgeschieden. Daher finden sich bei einem (Prä-)Diabetiker nachweisbare Glucose-Konzentrationen im Urin (Glucosurie).

Auch der Großteil von Natriumchlorid und Wasser (60 bis 70 Prozent) werden im proximalen Abschnitt resorbiert, ebenso findet hier der Stofftransport von Kalium, Magnesium, Calcium, Phosphat und weiteren kleineren Molekülverbindungen wie Lactat oder Sulfat statt. Die treibende Kraft dabei ist vor allem die Na+/K+-Pumpe, sie beeinflusst den elektrochemischen Gradienten, wodurch weitere Ionen passiv diffundieren können. Weitere aktive Transportsysteme schließen sich im Verlauf an. In der Henle-Schleife werden vorwiegend im dickeren aufsteigenden Ast geringere Mengen Natriumchlorid sowie Wasser resorbiert, vor allem angetrieben durch den Na+/K+/2Cl–-Symporter.

Das Verbindungsstück ist der bevorzugte Ort der Magnesiumresorption, auch Calciumionen werden passiv resorbiert. Im distalen Tubulus werden zu Beginn auch geringe Mengen Natriumchlorid sowie Wasser resorbiert mit Hilfe des Na+/Cl–-Co-Transporters. Auch der Stofftransport von Calcium-, Kalium- und Magnesium-Ionen findet hier statt, wenn auch in geringerem Umfang. Im spätdistalen Tubulusabschnitt finden sich Natriumkanäle, deren Öffnungswahrscheinlichkeit und -dauer von dem Hormon Aldosteron abhängig ist: Wird vermehrt Aldosteron ausgeschüttet, sind mehr Kanäle länger geöffnet, Wasser und Natrium werden verstärkt rückresorbiert. Neben Resorptionsprozessen finden entlang des Tubulus-​Systems auch Sekretionsprozesse statt.

Dabei handelt es sich vor allem um organische Säuren und Basen, auch viele Arzneistoffe wie beispielsweise Penicilline werden auf diesem Weg eliminiert. Am Ende werden knapp 99 Prozent des im gefilterten Primärharn befindlichen Wassers rückresorbiert – der Körper gewinnt so täglich ungefähr 150 Liter des ursprünglichen Harns zurück. Beginnende Niereninsuffienzen lassen sich auch häufig daran erkennen, dass Betroffene öfter als gewöhnlich zur Toilette müssen, da keine vollfunktionstüchtige Rückresorption mehr stattfindet. Urin gesunder Nieren variiert in seiner Zusammensetzung: Die zwischen 500 und 3000 Milliliter Endharn enthalten durchschnittlich 20 bis 30 Gramm (g) Harnstoff, 0,25 bis 0,75 g Harnsäure und 0,5 bis 1,8 g Kreatinin, bei einem pH-Wert zwischen 4,8 und 7,5.

Keine Nebendarsteller Die Nebennieren sind zwar nicht an der Harnbildung beteiligt, jedoch indirekt an der Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts. Die Drüsen sind ebenfalls paarig angelegt und liegen locker auf den Nieren auf. Die Nebennierenrinde macht mit 80 bis 90 Prozent den Großteil des Organs aus, der Rest besteht aus Nebennierenmark. In der Rinde werden aus Cholesterol – und dem Geschlechtshormon Progesteron als Zwischenstufe – Glucocorticoide, Mineralcorticoide und geringe Mengen Androgene gebildet. Damit haben die Nebennieren Einfluss auf den Kohlenhydrat-, Fett- und Eiweißstoffwechsel (Glucocorticoide) und auf den Elektrolytstoffwechsel (Mineralcorticoide wie Aldosteron). Sie befähigen den Körper außerdem auf Stress adäquat zu reagieren.

Der Ausfall der Nebennieren führt unbehandelt in kurzer Zeit zum Tod. Bei einer Nebenniereninsuffizienz stellt sich rasch ein Hormonmangel ein, die angeborene Form wird auch als Morbus Addison bezeichnet. Es handelt sich um eine Autoimmunkrankheit, bei der es bei allen drei Hormongruppen zu mangelbedingten Symptomen kommen kann, beispielsweise Hyperkaliämie, Azidose (Mangel an Mineralcorticoiden), Hypoglykämie, Gewichtsverlust, psychische Störungen (Mangel an Glucocorticoiden) oder Muskelschwund und Impotenz (Mangel an Androgenen).

Sekundäre Formen der Nebenniereninsuffizienz können sich durch Tumore, AIDS, aber auch Arzneimittelnebenwirkungen einstellen – zu Funktionsstörungen und folglich Symptomen kommt es erst ab einer Nebennierenrindenzerstörung von etwa 90 Prozent. Eine weitere bekannte Erkrankung der Nebennieren ist das Cushing-Syndrom. Dabei werden zu viele Glucocorticoide, vor allem Cortisol, gebildet, das zum typischen Mondgesicht sowie zur Stammfettsucht führt. An der Entstehung können Hypophysentumore schuld sein, die zu einer vermehrten Cortisol-Bildung beitragen. Am häufigsten tritt jedoch ein iatrogenes Cushing-Syndrom auf. Es wird durch die hochdosierte, längerfristige Gabe von Glucocorticoiden verursacht.

Stellwerk Niere Wie bereits erwähnt, kann die Harnmenge variieren – das hängt ganz davon ab, wie viel und was wir trinken. Das Blutvolumen wird ständig durch Sensoren geprüft, Abweichungen werden sofort an den Hypothalamus gemeldet. Haben wir zu wenig getrunken, beauftragt er die Freisetzung von Adiuretin, auch ADH, antidiuretisches Hormon oder Vasopressin genannt. Das Hormon bewirkt den Einbau sogenannter Aquaporine in den Sammelröhren der Nieren, die daraufhin kurzfristig für Wasser durchlässig werden. Gleichzeitig bekommen wir Durst. Im Gegenschluss wird bei einem Wasserüberschuss weniger ADH ausgeschüttet, im Folgenden weniger Wasser zurückgewonnen und wir müssen bald auf Toilette. Den Einfluss des gemessenen Blutvolumens auf die ausgeschiedene Wassermenge, also Diurese, wird Gauer-Henry-Reflex genannt.

Ebenso wie die Wasser- wird auch die Natriumausscheidung überwacht, das wichtigste Hormon stellt hier Aldosteron dar. Wie bereits beschrieben erhöht die Aldosteron-​Freisetzung die Resorption von Natrium im distalen Tubulus. Bis zu dessen Freisetzung ist allerdings eine ganze Signalkaskade nötig und die findet vor allem in einem speziellen Zellverband nahe der Nierenkörperchen statt: dem juxtaglomerulären Apparat. In den dort befindlichen juxtaglomerulären Zellen wird das Enzym Renin gebildet, das Angiotensinogen in Angiotensin I spaltet. Unter erneuter Abspaltung zweier Aminosäuren durch das Enzym Angiotensin-Converting-Enzyme (ACE) entsteht Angiotensin II, das die Freisetzung von Aldosteron bewirkt.

Gleichzeitig ist Angiotensin II eines der stärksten gefäßverengenden Substanzen, sodass der Blutdruck erhöht wird. Die Gefäßverengung am Vas afferens führt zu einer verringerten glomerulären Filtration. Das bedeutet also: Ist zu wenig Natrium im Plasma oder der Blutdruck zu niedrig, springt die Renin-Angiotensin-Aldosteron-Kaskade an, Natrium wird rückresorbiert, der Blutdruck steigt und es wird weniger Primärharn gebildet. Gleichzeitig wird die Ausschüttung von ADH stimuliert und wir bekommen Durst. Die Kaskade reguliert sich im Grunde selbst, da durch die Bildung von Angiotensin II die weitere Bildung von Renin in den juxtaglomerulären Zellen unterbunden wird. Kurzfristig fördern aber auch sogenannte natriuretische Proteine, die vor allem im Herz gebildet werden, die Natriumausscheidung, wenn wir beispielsweise zu viel Natrium im Blut haben.

So wird mit Hilfe der Nieren nicht nur der Elektrolyt-Haushalt, sondern auch der Blutdruck mittelfristig reguliert. Da während der täglichen Stoffwechselprozesse ständig Protonen (H+) anfallen, haben die Nieren zusätzlich eine Kontrollfunktion über das Säure-Basen-Gleichgewicht. Spezielle Zellen im spätdistalen Tubulus sowie der Sammelrohre, die sogenannten Zwischenzellen, sind unter Energieverbrauch in der Lage, aktiv Protonen in den Urin zu schleusen. Da der Urin allerdings nie saurer als pH 4,5 reagiert, ist dieser Ausscheidungsweg von untergeordneter Bedeutung.

Der Hauptanteil wird über ein Bicarbonat-Puffer-System reguliert: Unter dem Einfluss des Na+-Stofftransport, gelangt auch H+ in den Harn, beispielsweise durch einen Antiporter (Natrium-Ionen raus, Wasserstoff-Ionen rein). Die Protonen reagieren dort mit Bicarbonat zu CO2 und Wasser. Das CO2 kann ungehindert in die Zellen diffundieren und wandelt sich dort wieder in Bicarbonat-Ionen um, das ins Blut transportiert werden kann. Durch diesen Puffer kann der pH-Wert des Blutes aufrecht gehalten werden (gemeinsam mit den anderen Puffersystemen des Blutes). Sinkt der pH-Wert ab, steuert unser Körper also auf eine Alkalose zu, wird folglich weniger Bicarbonat rückresorbiert. Im nächsten Teil unseres Repetitoriums Niere wird es um Nierenwerte und Nierenerkrankungen gehen sowie um Verfahren zur Dialyse. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/19 ab Seite 86.

Farina Haase, Apothekerin/Redaktion

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