Zusatz-Fortbildung Wissen aktuell 11/11:
DIE KRAFT DER GUTEN KEIME
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Probiotika – der Name leitet sich aus dem Griechischen „pro bios“ ab, bedeutet übersetzt soviel wie „für das Leben“ und sagt schon viel über das Wesen der „guten“ Keime aus. Laut Definition handelt es sich bei Probiotika um lebende, nichtpathogene Mikroorganismen, die – in ausreichender Zahl verabreicht – einen präventiven oder therapeutischen Effekt auf den Makroorganismus haben. Kurz: Probiotika können dem Menschen einen gesundheitlichen Nutzen bringen. Unter anderem sind sie in der Lage, das Gleichgewicht der Darmflora zu fördern, die Verdauungstätigkeit zu unterstützen und die körpereigenen Abwehrfunktionen günstig zu beeinflussen. Aufgrund ihrer positiven Eigenschaften stecken probiotische Mikroorganismen heute in zahlreichen Lebens-, Nahrungsergänzungs- und Arzneimitteln.
„Am bekanntesten sind Probiotika aus der Gruppe der Milchsäurebakterien, speziell bestimmte Stämme verschiedener Spezies der Gattungen Lactobacillus und Bifidobacterium“, schreiben die Mikrobiologen Professor Jörg Hacker und Dr. Tobias A. Ölschläger im Lehrbuch „Probiotika, Präbiotika und Synbiotika“. Doch die Probiotikafamilie ist noch viel größer, auch Stämme der Spezies Escherichia coli gehören beispielsweise dazu. „Schließlich ist auch der Stamm Saccharomyces boulardii der Hefespezies Saccharomyces cerevisiae als Probiotikum in der medizinischen Anwendung“, erklärt das Autorenteam. Gut untersuchte Bakterienstämme in probiotischen Jogurts und Trinkjogurts aus dem Supermarkt sind beispielsweise Bifidobacterium animalis, Lactobacillus casei Shirota und Lactobacillus johnsonii.
In Nahrungsergänzungsmitteln, die meist gefriergetrocknete Mikroben enthalten, werden unter anderem die Stämme Lactobacillus acidophilus, Lactobacillus gasseri, Bifidobacterium infantis und Bifidobacterium longum eingesetzt. Probiotische Arzneimittel können Bakterienstämme, aber auch Hefen enthalten. Gut zu wissen: Im Vergleich zu Jogurts haben probiotische Nahrungsergänzungsmittel einige Vorteile: So bleibt die Zahl der gefriergetrockneten Keime bis zu 24 Monate stabil. Durch die Verkapselung überstehen die „guten“ Mikroorganismen die kritische Magenpassage außerdem besser und kommen deshalb in ausreichend großer Zahl im Darm an. Außerdem besteht bei apothekenexklusiven Nahrungsergänzungsmitteln nicht die Gefahr, dass sich durch unsachgemäße Lagerung oder Transportwege die Anzahl der Keime verringert.
POWER FÜRS IMMUNSYSTEM
Ein leistungsstarkes Immunsystem ist auf eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen angewiesen. Gerade jetzt in der Erkältungszeit ist eine ausgewogene, vollwertige und vitalstoffreiche Ernährung deshalb unverzichtbar. Fünf Mal täglich sollten Obst und Gemüse verzehrt werden, reichlich Vollkorn- und Milchprodukte auf den Tisch kommen. Außerdem wichtig: Zwei Mal pro Woche Seefisch essen und mindestens anderthalb bis zwei Liter täglich trinken. Zusätzlich kann es sinnvoll sein, immunstärkende Mikronährstoffe wie Vitamin C und Zink zu supplementieren.
Das Spurenelement Zink ist von herausragender Bedeutung für leistungsstarke Abwehrkräfte, da es die zelluläre und humorale Immunfunktion steigert. So wird Zink unter anderem für die Reifung der T-Lymphozyten benötigt. Zudem besitzt es eine antivirale Wirkung und verbessert die Schleimhautstruktur, sodass das Anheften und Eindringen von Viren erschwert wird. Studien haben gezeigt, dass das Spurenelement Zink die Dauer und Schwere grippaler Infekte reduzieren kann. Die vielfältigen Stoffwechselwirkungen von Zink werden durch das antioxidative Vitamin C sinnvoll unterstützt. Vitamin C gilt als Cofaktor für Zink und erhöht dessen Wirksamkeit. Tipp: Nahrungsergänzungsmittel, die neben probiotischen Mikroorganismen auch Präbiotika und immunstärkende Vitalstoffe liefern (z. B. Cevitt® immun Complex), können Apothekenkunden helfen, besser durch die Erkältungszeit zu kommen.
Gesundes Futter: die Präbiotika Von Probiotika unterscheiden sich Präbiotika. Dabei handelt es sich um unverdauliche Lebensmittelinhaltsstoffe, die die menschliche Gesundheit günstig beeinflussen können, indem sie das Wachstum und/oder die Aktivität bereits vorhandener Bakterienarten im Dickdarm anregen. „Pektine, Inulin, Fructooligosaccharide und Galactooligosaccharide sind typische Präbiotika, die das Wachstum von im Dickdarm vorhandenen Bifidobakterien und in geringem Ausmaß von Laktobazillen stimulieren“, erläutern Hacker und Ölschläger.
Von Natur aus kommen Präbiotika in Gemüsesorten wie Artischocken, Zwiebeln, Knoblauch, Chicoree und Möhren vor. Unverdaut gelangen diese Ballaststoffe in den Dickdarm und werden dort vor allem von Bifidobakterien als Nahrung genutzt. Da Präbiotika den „guten“ Mikroorganismen im Darm als Substrat dienen, werden Pro- und Präbiotika in Supplementen gerne kombiniert. In ihrer Kombination werden Pro- und Präbiotika als Synbiotika bezeichnet.
Auf der Suche: die Probiotika-GeschichteDie Ursprünge der modernen Probiotikaforschung gehen auf den russischen Immunologen und Medizin-Nobelpreisträger Ilja Metschnikow zurück. Schon vor gut 100 Jahren führte der Wissenschaftler die hohe Lebenserwartung bestimmter Volksgruppen im Kaukasus und in Bulgarien auf die traditionell verzehrten angesäuerten und vergorenen Milchprodukte zurück. Bereits in seiner 1908 erschienenen Publikation „The Prolongation of Life“ beschäftigte sich Metschnikow mit der Möglichkeit, Milchsäurebakterien präventiv einzusetzen, um den Einfluss schädlicher Darmbakterien und ihre Fäulnisprozesse im Darm zu hemmen.
Der russische Nobelpreisträger war nicht der einzige, der sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die menschliche Darmflora und ihre Besiedlung interessierte: Während des ersten Weltkriegs gelang es dem deutschen Arzt und Mikrobiologen Alfred Nißle, einen E. coli-Stamm aus dem Darm eines Unteroffiziers zu isolieren. Im Gegensatz zu seinen Kameraden war dieser Soldat nicht an Durchfall erkrankt. Dies war die „Geburtsstunde“ des Bakterienstamms Escherichia coli Nissle 1917. In hoher Konzentration kommt er bis heute in probiotischen Arzneimitteln zum Einsatz.
MIT PROBIOTIKA GEGEN DARMLEIDEN
+ Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: Zur ihrer Therapie mit probiotischen Arzneimitteln liegen die meisten positiven Erfahrungen für die Colitis ulcerosa vor. Bei dieser chronischen Dickdarmentzündung kommt es zu häufigen Durchfällen mit Schleim- und Blutbeimengungen, Leibschmerzen, vor allem im linken Unterbauch, schmerzhaftem Stuhldrang, Blähungen, Gewichtsabnahme und Leistungsabfall. Colitis ulcerosa erhöht das Darmkrebsrisiko. Mehrere unabhängige Studien haben gezeigt, dass probiotische Mikroorganismen vom Stamm Escherichia
coli Nissle 1917 für die Remissionserhaltung bei Colitis ulcerosa gut geeignet sind.
+ Reizdarmsyndrom: Bei dieser funktionellen Darmerkrankung kommt es zu Schmerzen und Stuhlunregelmäßigkeiten. Charakteristischerweise leiden Betroffene immer wieder unter Bauchschmerzen und -krämpfen sowie dem Gefühl des Aufgeblähtseins, oft verbunden mit Verstopfung oder Durchfall oder beiden Symptomen im Wechsel. In zahlreichen Studien konnte mittlerweile gezeigt werden, dass die Beschwerden durch die Zufuhr bestimmter Probiotika reduziert werden konnten. In einer randomisierten kontrollierten Doppelblindstudie profitierten die Probanden beispielsweise von der Einnahme spezieller Bifidobakterien.
+ Durchfall durch Antibiotika: Sie können die mikrobielle Balance im Gastrointestinaltrakt stören. Folge kann eine Antibiotikaassoziierte Diarrhö sein. Etwa jeder fünfte Patient erkrankt während der Antibiotikatherapie oder im Anschluss daran an Durchfall. Der Grund: Antibiotika bekämpfen nicht nur pathogene Keime, sondern auch nützliche Darmbakterien. Studien konnten beweisen, dass bestimmte probiotische Mikroorganismen die Darmflora stabilisieren und so einer Diarrhö entgegenwirken können. Voraussetzung: Sie werden parallel – jedoch nicht zeitgleich – zu den Antibiotika eingenommen. Am Besten mit zwei bis drei Stunden Abstand.
Wenige Jahre später entdeckte der junge japanische Mediziner Dr. Minoru Shirota ein Milchsäurebakterium, welches das Gleichgewicht in der Darmflora fördert. Nach ihm wurde der Lactobacillus casei Shirota benannt, der bis heute in probiotischen Milchprodukten steckt.
Was Metschnikow, Nißle & Co. schon vor rund 100 Jahren feststellten, gilt heute als belegt: Aus lebensfähigen Mikroorganismen wie Milchsäurebakterien bestehende Probiotika können die Gesundheit über komplexe Regelkreise positiv beeinflussen. Um die Funktionsweise der Probiotika zu verstehen, hilft ein Blick in den Darm, der nicht nur ein lebenswichtiges Verdauungsorgan, sondern vielmehr auch ein bedeutender Teil des menschlichen Immunsystems ist: Über 60 Prozent der täglich produzierten Antikörper (Immunglobuline) gibt der Körper täglich in den Magen-Darm-Trakt ab. Und die Darmschleimhaut beherbergt mit über 106 Lymphozyten pro Gramm Gewebe die größte Ansammlung lymphatischer Immunzellen im ganzen Organismus.
Allzeit bereit: das Immunsystem Das menschliche Immunsystem ist ein riesiges, weit vernetztes System von beweglichen und unbeweglichen Immunzellen, Organen und Geweben: Thymus, Milz, Knochenmark, Lymphknoten und das lymphatische Gewebe des Magen-Darm-Traktes und anderer Schleimhäute gehören unter anderem dazu. Die Immunzellen befinden sich in fast allen Geweben des Körpers. Die Aufgabe des Immunsystems besteht darin, Viren, Bakterien, Parasiten und andere pathogene Keime, die unseren Körper ständig attackieren, aufzuspüren und zu vernichten. Ohne sein Immunsystem wäre der Mensch nicht lebensfähig, selbst eine banale Erkältung würde aufgrund unkontrollierter Virenvermehrung tödlich enden.
Die ersten großflächigen Bollwerke gegen pathogene Keime stellen die Haut sowie die Innenwände der Atem- und Verdauungswege dar. Gelingt es den Krankheitserregern, diese mechanischen und chemischen Schutzbarrieren zu überwinden, so werden die inneren Abwehrmechanismen aktiv. Zunächst tritt die unspezifische Abwehr in Aktion. Sie ist angeboren und richtet sich gegen alle Eindringlinge gleichermaßen. Zu ihr gehören Fresszellen, wie beispielsweise die großen Makrophagen, die überall im Körper nach pathogenen Keimen fahnden, sie aufspüren und „vertilgen“.
Viel spezialisierter sind die Truppen an der dritten Abwehrfront. Zu dieser spezifischen Abwehr gehören unter anderem die B-Lymphozyten, die spezielle Antikörper produzieren. Diese sind perfekt auf die Struktur des jeweiligen Eindringlings abgestimmt. Pro Sekunde entstehen im „Angriffsfall“ etwa 2000 Antikörper, die sofort ins Blut abgegeben werden.
Um den jeweiligen Krankheitserreger beim nächsten Kontakt wiederzuerkennen und noch schneller bekämpfen zu können, hat der Körper eine geniale Strategie: Er legt spezielle B-Gedächtniszellen an, die über Jahre hinweg erhalten bleiben. So beherbergt der menschliche Organismus quasi eine eigene Datenbank der Krankheitserreger. Zur spezifischen Immunabwehr gehören darüber hinaus T-Lymphozyten, die in der Thymusdrüse ausreifen. Sie haben unter anderem die Aufgabe, die pathogenen Keime zu identifizieren und entsprechende Signale an die B-Lymphozyten zu senden.
Multikulti: die Darmflora Als wichtiger Teil des Immunsystems und Zentrum der körpereigenen Abwehrkräfte bildet der gesunde Darm für schädliche Substanzen und pathogene Keime eine Barriere aus Darmflora, Darmschleimhaut und darmassoziiertem Immunsystem. Als erste Abwehrstadion gegen Keime und Parasiten trägt die Darmflora wesentlich zu einem schlagkräftigen Immunsystem bei.
Unter Darmflora, in der Fachsprache als intestinales Mikrobiom bezeichnet, versteht man die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den Darm des Menschen (und auch vieler Tiere) besiedeln und für den Wirtsorganismus von entscheidender Bedeutung sind. Den menschlichen Darm bevölkern bis zu 100 Billionen Bakterien. Damit übersteigt die Zahl der Darmbakterien die Anzahl der menschlichen Körperzellen um das Zehnfache! Ohne die bakterielle Besiedlung des Darms könnte keine normale Verdauung stattfinden.
Über 400 verschiedene Mikroorganismen sind im Darm beheimatet, wovon aber etwa 99 Prozent auf nur 30 bis 40 unterschiedliche Spezies entfallen. Die Besiedlung des Magen-Darm-Traktes mit Bakterien variiert je nach Abschnitt. So sind der Magen und der Zwölffingerdarm (Duodenum) wegen des sauren Milieus (pH 2 bis 4) und der kurzen Passagezeit des Speisebreis überwiegend mit den säure- und sauerstoff-toleranten Arten der Gattungen Lactobacillus und Streptococcus dünn besiedelt. Im Leerdarm (Jejunum) und im Krummdarm (Ileum) nehmen Konzentration und Vielfalt der Mikroorganismen stetig zu – um im Dickdarm höchste Werte zu erreichen.
Strikte Anaerobier wie Bacteroides, Bifidobacterium und Eubacterium sowie fakultative Anaerobier wie Lactobacillus ssp., Streptococcus ssp., Enterobacteriaceae und Hefen dominieren dabei. Jeder Mensch hat seine eigene, individuell zusammengesetzte Darmflora, die sich in den ersten Lebensjahren entwickelt. Im Mutterleib ist der Verdauungstrakt des Ungeborenen noch gänzlich steril. Doch mit der Geburt beginnt seine bakterielle Besiedlung. Die ersten Keime, die nachgewiesen werden können, sind Escherichia coli, Enterobakterien und Streptokokken.
Einen wesentlichen Einfluss auf die bakterielle Besiedlung des kindlichen Verdauungstraktes hat die Nahrung: So wird der Darm gestillter Babys überwiegend von Bifidobakterien und Laktobazillen bevölkert. Diese milchsäureproduzierenden Bakterien sorgen für ein saures Darmmilieu, in dem pathogene Keime schlecht ansiedeln können. Bei Babys, die von Anfang an mit Säuglingsmilchnahrung gefüttert werden, entwickelt sich hingegen bereits ab der Geburt eine Darmflora, die der eines Erwachsenen gleicht. Geprägt ist sie von einer Vielzahl unterschiedlicher Bakteriengattungen.
MEHR INFOS
+ Im Lehrbuch „Probiotika, Präbiotika und Synbiotika“ von Professor Stephan C. Bischoff (Hrsg.) informieren namhafte Experten auf über 300 Seiten über alle bekannten Probiotikastämme, über ihre präventive und therapeutische Wirkung, über das Zusammenspiel von Darmflora und Damimmunsystem. Das Fachbuch ist im Georg Thieme Verlag erschienen und kostet 39,95 Euro.
+ Interessierte Apothekenkunden können sich auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für
Mukosale Immmunologie und Mikrobiom e.V. durch die Welt der Probiotika klicken:
www.probiotika-info.de.
Gemeinsam stark: die Darmbewohner Eine gesunde Darmflora, in der viele nützliche Darmbakterien in friedlicher Koexistenz leben, ist im täglichen Kampf gegen Pathogene von elementarer Bedeutung. Im einfachsten Fall üben die Mikroorganismen im Darm eine Barrierefunktion aus, indem sie mit Keimen aus der Umwelt um Bindungsstellen an der Darmwand konkurrieren. Auch der Wettbewerb um Nährstoffe sowie eigene Stoffwechselprodukte (antimikrobielle Substanzen wie Bacteriocine, organische Säuren, Wasserstoffperoxid) verhindern die dauerhafte Ansiedelung von Pathogenen im Darm. Mikrobiologen nennen diesen Vorgang auch Kolonisationsresistenz.
Doch das sind nicht die einzigen „Waffen“ der Darmbakterien gegen Krankheitserreger: Die Adhäsion der Mikroorganismen an die Darmschleimhaut und an die darunter liegenden Darmepithelzellen führen zu einer direkten Interaktion mit den Zellen des gastrointestinalen Immunsystems. Diese Wechselwirkungen sind sehr komplex und bisher nur im Ansatz verstanden. Bekannt ist zum Beispiel, dass spezialisierte M-Zellen (microfold cells) nach einer Antigenaufnahme die Reifung und Aktivierung von B- und T-Lymphozyten in den Peyerschen Plaques des Darms anstoßen können. Diese aktiven Immunzellen verteilen sich über die Lymphbahnen im Körper und werden teilweise in den Darm hinein abgegeben.
DER DARM: ZAHLEN & FAKTEN
+ Im Laufe eines 75-jährigen Lebens reisen etwa 30 Tonnen Nahrung und rund 50 000 Liter Flüssigkeit durch unseren Darm, der das größte innere Organ des Menschen ist.
+ Anatomisch betrachtet gliedert sich der Darm in drei Hauptabschnitte – in den drei bis fünf Meter langen Dünndarm, den etwa anderthalb Meter langen Dickdarm und den nur etwa 20 Zentimeter
langen Mastdarm. Der Dünndarm, das eigentliche Zentrum der Verdauung, besteht aus dem Zwölffinger-, dem Leer- und dem Krummdarm.
+ Würde man den Magen-Darm-Trakt bis in die letzte Zotte vollständig auswalzen, käme eine Fläche von etwa 400 Quadratmetern zustande.
+ Bis zu 100 Billionen Mikroorganismen, überwiegend anaerobe Bakterien, besiedeln den Darm eines
Erwachsenen. Die meisten von ihnen befinden sich im Dickdarm.
+ In der Schleimhaut des Darms sitzen etwa 70 Prozent der Abwehrzellen des Immunsystems.
Insgesamt soll das große Immunorgan namens Magen-Darm-Trakt das Eindringen potenzieller Antigene aus dem Darm in den Körper verhindern und Pathogene eliminieren – dabei aber keine Immunreaktion gegenüber herkömmlichen Nahrungsmittel- und Umweltantigenen sowie den Bakterien der Darmflora auslösen.
Dass eine im gastrointestinalen Immunsystem ausgelöste Immunantwort dabei nicht auf den Darm beschränkt bleiben muss, zeigt das System der IgA-Antikörper. Deren Wirkung auf Schleimhäute reicht bis in den Bronchial- und Urogenitaltrakt sowie zu den Brust- und Speicheldrüsen – was erklären würde, warum Probiotika auch einen Einfluss auf Erkältungskrankheiten haben.
Frage des Typs: die Mikrobenstämme Mittlerweile haben viele in vitro- und in vivo-Studien gezeigt, dass sich das komplexe Wechselspiel von Darm-Ökosystem und Immunsystem durch Probiotika positiv und damit gesundheitsfördernd beeinflussen lässt. Jedoch: Die Eigenschaften probiotischer Mikroorganismen sind stammspezifisch und dosisabhängig. Eine Verallgemeinerung gesundheitsbezogener Aussagen über alle Probiotika ist deshalb nicht zulässig.
Darüber hinaus müssen probiotische Mikroorganismen allerdings noch weitere Eigenschaften haben, um gesundheitsfördernd zu sein: Sie müssen gesundheitlich unbedenklich sein, dürfen nicht toxisch wirken und keine Antibiotikaresistenzen übertragen. Tatsächlich sind bisher auch keine Infektionen bekannt, die auf den Verzehr von Laktobazillen und Bifidobakterien zurückzuführen wären. Nicht minder wichtig ist die Resistenz gegen Magen- und Gallensäuren, die eine der Grundvoraussetzungen für das Überleben in der Magen-Darm-Passage bildet.
Probiotische Mikroorganismen müssen den Darm in aktiver Form und in ausreichender Konzentration erreichen, um ihre Wirkungen entfalten zu können. Häufig vernachlässigt wird dabei, dass diese Überlebensfähigkeit auch schon während des Produktionsprozesses und der Lagerhaltung des Probiotikums gewährleistet werden muss. Man kann davon ausgehen, dass Probiotika in Tablettenoder Kapselform den Jogurts hier überlegen sind.
Doch was können einzelne Probiotikastämme wie Lactobacillus acidophilus, Bifidobacterium bifidum & Co. nun ganz konkret für das Gleichgewicht der Darmflora und somit für die Gesundheit des Menschen leisten? Welche Beschwerden können sie lindern und welchen Krankheiten vorbeugen? Um dies herauszufinden, wird überall auf der Welt intensiv geforscht. „Inzwischen sind laut ,Pub- Med’, der medizinischen Datenbank der U.S. National Library oft Medicine, über 1000 Studien zu Probiotika weltweit publiziert worden“, erläutert Professor Stephan C. Bischoff, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin an der Universität Hohenheim.
Anhand der Ergebnisse können heute mehrere große Bereiche definiert werden, für die ausgewählte Probiotika nachweislich wirksam sind – und zwar:
- die akute infektiöse Gastroenteritis bei Kindern und Erwachsenen,
- die durch Antibiotika verursache Gastroenteritis bei Kindern und Erwachsenen,
- das Reizdarmsyndrom bei Erwachsenen,
- die nekrotisierende Enterokolitis bei Frühgeborenen,
- die Colitis ulcerosa.
„Die Effektivität einer probiotischen Therapie beziehungsweise Prophylaxe ist für diese Krankheitsbilder in Metaanalysen, die mehr als 1000 Patienten einschließen, oder durch mehrere randomisierte kontrollierte Studien belegt“, informiert Bischoff. Und nicht nur das: In einigen neueren Untersuchungen finden sich Hinweise darauf, dass bestimmte Probiotika die Beschwerden bei Lactose-Intoleranz mildern können. Außerdem zeigen placebo-kontrollierte Studien, dass Helicobacter-pylori Infektionen durch die ergänzende Aufnahme mit Lactobacillus reuteri unterdrückt werden können.
Wirksam gegen Viren: die „guten“ Bakterien Einige Humanstudien deuten mittlerweile auch auf den günstigen Einfluss von Probiotika auf die Abwehrkräfte hin. Das macht probiotische Nahrungsergänzungsmittel aus der Apotheke gerade jetzt in der Erkältungssaison so interessant. So konnte in einer Studie mit schwedischen Arbeitern gezeigt werden, dass die Einnahme von L. reuteri protectis über 80 Tage die Zahl der Krankschreibungen wegen Erkältungs- und Magen-Darm-Erkrankungen gegenüber der Einnahme eines Placebos signifikant reduzierte.
In einer anderen Untersuchung wurden mit der Kombination aus B. longum, L. gasseri und B. bifidum über jeweils drei Monate die Krankheitsdauer von Erkältungskrankheiten verkürzt und die Symptome vermindert. Klinisch konnte zudem gezeigt werden, dass sich durch verschiedene Probiotika die Besiedlung des Nasenraums mit pathogenen Bakterien und die Rückfallhäufigkeit bei chronischen Nasen-Nebenhöhlen-Entzündungen verringern lässt.
PROBIOTIKA BEI KINDERN
+ Akuter Durchfall bei Kindern: Besonders gut untersucht und wissenschaftlich belegt ist der positive Effekt von ausgesuchten probiotischen Stämmen bei der Prävention und der Behandlung akuter, Rotavirus-induzierter Diarrhö bei Kindern. Eine Rotavirusinfektion, bei er es zu massiven wässrigen Durchfällen kommt, kann insbesondere für jüngere Kinder bedrohlich werden. Zahlreiche Untersuchungen und Metaanalysen haben mittlerweile gezeigt, dass die Gabe bestimmter Probiotika wie Lactobacillus GG einen signifikant krankheitsverkürzenden Effekt hat.
+ Darmentzündung bei Frühchen: Die nekrotisierende Enterokolitis (NEC) ist eine entzündliche plötzlich auftretende Erkrankung des Dünn- und Dickdarms, bei der es zu einer Zerstörung der Darmschleimhaut kommt. Von der lebensbedrohlichen Erkrankung sind insbesondere frühgeborene Säuglinge mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm betroffen. Zahlreiche Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass Probiotika das NEC-Risiko senken und im Erkrankungsfall den Schweregrad
mindern können. Dieses erfreuliche Ergebnis wurde in einer Metaanalyse von sieben randomisierten
und kontrollierten Studien bestätigt.
Der Frage, ob die prophylaktische Einnahme von Probiotika das Immunsystem positiv beeinflussen und eine Erkältung abmildern kann, ging auch Dr. Michael de Vrese, Lebensmittelchemiker am Kieler Max-Rubner-Institut, in einer Studie mit 479 gesunden erwachsenen Teilnehmern nach. Das Ergebnis: Zwar traten Erkältungen in der Probiotikagruppe in gleicher Zahl auf wie in der Kontrollgruppe. Aber: Bei den Probanden, die das bifidobakterien- und laktobazillenhaltige probiotische Präparat erhielten, war in zwei Winterperioden die Schwere und Dauer von Erkältungen im Vergleich zur Placebogruppe signifikant reduziert. In der Verumgruppe verkürzte sich die durchschnittliche Erkrankungszeit immerhin um zwei Tage.
Befunde aus Finnland weisen darauf hin, dass probiotische Mikroorganismen jedoch nicht in jedem Fall stimulierend auf das Immunsystem wirken, sondern bei Allergikern oder Kindern mit atopischer Dermatitis (AD) eher immunmodulierende Einflüsse haben. So klagten neurodermitische Kinder, die eine hypoallergene Nahrung zusammen mit Probiotika erhielten, über signifikant weniger Beschwerden als atopische Kinder, welche die gleiche hypoallergene Kost ohne Probiotika erhielten.
In anderen Arbeiten mit AD-Patienten verbesserte sich nach achtwöchiger Einnahme von L. paracasei, L. acidophilus und B. lactis das Hautbild. Die bisherigen Forschungsergebnisse sind ebenso beeindruckend wie vielversprechend und zeigen, dass Probiotika regelrechte „Multitalente“ sind, die – immer abhängig vom jeweiligen Stamm und eine ausreichende Konzentration vorausgesetzt – der Gesundheit in vielerlei Hinsicht dienlich sein können.
Nicht nur zur Vorbeugung und Behandlung gastrointestinaler Erkrankungen, sondern auch zur allgemeinen Stärkung des Immunsystems können ausgesuchte Mikroorganismen einen sinnvollen Beitrag leisten. Deshalb kann die Substitution qualitativ hochwertiger probiotischer Nahrungsergänzungsmittel (z. B. Cevitt® immun Complex) jetzt in der Erkältungssaison durchaus richtig sein, um die Abwehrkräfte zu unterstützen.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/11 ab Seite 68.
Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin