Panikattacken
DIE ANGST, AUSGELIEFERT ZU SEIN
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Angst ist eine urmenschliche Emotion, die lebensrettend sein kann, weil sie uns vor bedrohlichen Situationen warnt. Früher wäre es unmöglich gewesen, ohne Furcht zu überleben, denn in bestimmten Situationen war Flucht angesagt. Das Gefühl der Angst kann also sehr sinnvoll sein, nimmt die Angst jedoch ein pathologisches Ausmaß an, ist die Lebensqualität Betroffener mitunter stark eingeschränkt. Die gute Nachricht für Patienten: Angst ist erlernt und kann mit Hilfe einer Therapie wieder verlernt werden.
Räumliche und soziale Störung Eine Form der krankhaften Angst ist die Agoraphobie. Laut ICD-10 F40.0 handelt es sich hierbei um eine Angst vor offenen Plätzen, vor Menschenmengen sowie davor sich nicht sofort und leicht an einen sicheren Platz, in der Regel das eigene Zuhause, zurückziehen zu können. Die Agoraphobie umfasst eine Gruppe von sich häufig überschneidenden Phobien mit der Angst, das eigene Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten oder in Zügen, Bussen oder Flugzeugen zu verreisen.
Problematisch ist die Form der Störung insbesondere deshalb, weil Betroffene in schweren Fällen ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten zeigen, welches sie an ihr Haus fesselt. Allein der Gedanke, dass sie ihre gewohnte Umgebung verlassen müssen, in der Öffentlichkeit dann kollabieren und hilflos liegenbleiben, löst bei Patienten Panik aus. Viele Menschen ziehen sich demnach aus dem sozialen Leben zurück, verlassen die Wohnung nicht mehr oder sichern sich eine möglichst permanent verfügbare Begleitperson, was ihren Handlungsspielraum ebenfalls stark einschränken kann.
Reaktion des vegetativen Systems Die Agoraphobie geht meist mit einer Vielzahl von körperlichen Symptomen einher: Betroffene bekommen Luftnot, Schwindel, Brustschmerzen, Herzrasen, Hyperventilation, Hitzewallungen und Übelkeit, außerdem zittern sie am ganzen Körper. Zu den Symptomen einer Panikattacke gehören auch Taubheits- und Kribbelgefühle, Benommenheit, Ohnmachtsgefühle sowie die Wahrnehmung einer todesähnlichen Bedrohung.
Frühzeitig behandeln! Für Außenstehende sind die Probleme eines Agoraphobikers in der Regel nicht nachvollziehbar – ein Grund mehr, warum sich Patienten immer weiter abkapseln. „Ich fühle mich schutzlos und ausgeliefert“ oder „Es ist für mich schlimm, wenn ich Plätze überqueren muss und überall Menschen sitzen, die vorübergehende Passanten mustern“ – so könnten typische Aussagen von Patienten mit Agoraphobie lauten. Beschreiben Kunden die Anzeichen der psychischen Störung, sollten PTA und Apotheker ihnen zu einem Arztbesuch (Psychiater) und/oder zu der Konsultation eines Psychologen raten.
Da Betroffene vor allem wegen ihrer vegetativen Symptomatik beunruhigt sind, suchen sie häufig zunächst einen Allgemeinmediziner auf und verzichten auf die Beschreibung des Vermeidungsverhaltens, sodass der Arzt nach einer organischen Ursache der Beschwerden sucht. Dies führt dazu, dass die Diagnose eventuell recht spät gestellt wird, sich gewisse Verhaltensmuster bereits verfestigt haben und Patienten bereits sozial isoliert leben. Erste Hinweise auf eine Agoraphobie sollten daher unbedingt ernst genommen werden. Dies können „weiche Knie“, eine innere Unruhe, Zittern oder ein allgemeines Schwächegefühl sein.
Wieviel Unterstützung ist sinnvoll? Angehörige sollten zwar ein gewisses Maß an Verständnis für die Erkrankung aufbringen, den Betroffenen jedoch nicht alles abnehmen, indem sie beispielsweise für sie einkaufen oder sie stets zur Arbeit fahren. Dadurch würde das unerwünschte Vermeidungsverhalten noch weiter verstärkt werden. Es ist hingegen empfehlenswert, Patienten zu motivieren eine Therapie zu beginnen, um die Angststörung zu bekämpfen.
Wege aus der Angst Die Behandlung der Agoraphobie setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen: Einen Baustein stellt die Verhaltenstherapie dar, aber auch andere psychotherapeutische Elemente wie die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie kommen zum Einsatz. Mittel der Wahl ist die verhaltenstherapeutische Konfrontationstherapie, bei der Betroffene die Angst auslösende Situation aufsuchen und in ihr verbleiben.
Sie lernen dabei, dass die negativen Gefühle wieder vergehen und sie die Situation sehr wohl überleben. Die Konfrontation kann graduell oder massiert (bis zur Reizüberflutung) sowie in vivo (real) oder in sensu (imaginär) stattfinden, bis das Ziel, die Verminderung der Angstreaktion, erreicht ist. Auch die Pharmakotherapie mit Medikamenten wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, MAO-A-Hemmern, Betablockern oder punktuell angewendeten Tranquilizern spielen im Rahmen der Behandlung eine Rolle.
Begleiterkrankung der GAD Häufig tritt die Agoraphobie auch im Zusammenhang mit einer generalisierten Angststörung (GAD) auf. Hauptmerkmale der psychischen Erkrankung sind übermäßige Befürchtungen, Ängste oder Sorgen, die sich auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche beziehen. Definitionsgemäß erleben Betroffene über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten an den meisten Tagen Sorgen und Ängste, wie beispielsweise die Befürchtung, dass ein zukünftiges Unglück bevorstehe. In einer kalifornischen Studie mit 1000 Patienten gaben 40 Prozent der Probanden an, zusätzlich zur GAD an einer Agoraphobie zu leiden.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/18 ab Seite 98.
Martina Görz, PTA und Fachjournalistin
Achtung: Verwechslungsgefahr
Der Begriff Agoraphobie stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus den Wörtern „agora“ = Marktplatz und „phobos“ = Angst zusammen. Die Bezeichnung Agoraphobie wird häufig mit Platzangst gleichgesetzt, doch sie ist nicht als Angst vor engen Räumen definiert, sondern als Angst vor bestimmten Situationen, denen Betroffene im Notfall nur schwer entkommen würden. Die Klaustrophobie ist hingegen die Angst vor engen Räumen und wird auch als Platzangst bezeichnet.