Betonröhre © Kamadie / iStock / Getty Images
Bei einem Tunnelblick wird das Umfeld nur noch in der ungefähren Blickrichtung wahrgenommen. © Kamadie / iStock / Getty Images

Tunnelblick

DER BLICK DURCH DIE RÖHRE

Unterstellt man jemanden einen Tunnelblick, sind damit die einseitigen Ansichten der Person gemeint. Aus medizinischer Sicht bezeichnet der Begriff allerdings ein eingeschränktes Gesichtsfeld.

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Beim Tunnelblick handelt es sich zum einen um eine Einschränkung des Ge- sichtsfeldes durch eine beeinträchtigte Wahrnehmung des Gehirns, die zum Beispiel durch die Wirkung von Alkohol oder durch die gleichzeitige Konzentration auf verschiedene Tätigkeiten zustande kommt. Zum anderen stellt der Tunnelblick ein Synonym für das sogenannte Röhrengesichtsfeld, eine Diagnose in der Augenheilkunde dar.

Riskantes Phänomen Bei einem Tunnelblick wird das Umfeld nur noch in der ungefähren Blickrichtung wahrgenommen, seitlich, darüber oder darunter befindliche Objekte übersehen Betroffene in der Regel. Zu den Ursachen zählt unter anderem Alkoholkonsum: Bereits ab einer Alkoholkonzentration von 0,3 Promille kommt es zu einer Verminderung der Sehleistung, ab 0,8 Promille sind etwa 25 Prozent des Gesichtsfeldes eingeschränkt. Die Augenmuskulatur erschlafft und es entwickelt sich ein Tunnelblick. Nicht nur deshalb sollten alkoholisierte Personen sich nicht hinters Steuer setzen, schließlich zählt alkoholisiertes Autofahren zu den Hauptursachen schwerer und tödlicher Verkehrsunfälle in Europa.

Auslöser Stress Auch Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin oder Cortisol führen bei Anspannung unter Umständen zu einem Tunnelblick. Das Gehirn befindet sich dann in einem Angriffs- oder Fluchtmodus und blendet weitere Informationen aus. Zeugenaussagen von Menschen, die in einer vorhergehenden Situation um ihr Leben gefürchtet haben, werden von der Polizei aufgrund dessen nicht verwertet. Etwaige Falschaussagen sind keine böse Absicht, stattdessen spielt das Gehirn den Anwesenden einen Streich.

Bei dauerhaftem Stress können die Hormone anatomische und physiologische Veränderungen im Gehirn hervorrufen, etwa im Hippocampus, einem Teil des limbischen Systems, der unter anderem für die Konzentrationsfähigkeit verantwortlich ist. In diesem Hirnareal werden wichtige und unwichtige Reize gefiltert, sodass Störungen in der Region verschiedene Auswirkungen wie die eines Tunnelblickes zur Folge haben können.

Altersabhängiger Tunnelblick Wenn Kinder sich mit einer Sache intensiv beschäftigen, nehmen sie oft nicht wahr, was um sie herum geschieht. Sie fokussieren sich auf ihre eigene Welt und sehen nur, was sie interessiert. Die Psychologin Billi Lavie vom Institut für kognitive Neurowissenschaften am University College in London hat herausgefunden, dass Jugendliche bis zum Alter von 14 Jahren diese Art von Tunnelblick aufweisen. Sie testete dies, indem sie Kindern den Auftrag erteilte, die Veränderungen eines schwarzen Kreuzes auf einem Bildschirm zu beobachten. Währenddessen wurde zusätzlich ein Quadrat eingeblendet, das etwa 90 Prozent der Heranwachsenden übersahen.

Diese Unaufmerksamkeitsblindheit bei Kindern ist wissenschaftlich nicht unbekannt, doch durch die Studie von Lavie scheint klar geworden zu sein, dass die Blindheit ungefähr bis zum 14. Lebensjahr anhält. Die eingeschränkte Wahrnehmung ist unter anderem im Straßenverkehr relevant, denn durch die Unaufmerksamkeit kann es mitunter zu Unfällen mit schwerwiegenden Konsequenzen kommen. Die Ergebnisse der Untersuchung passen zu der biologischen Tatsache, dass in den ersten Lebensjahren die Neuronen reifen und sich Verbindungen zwischen Großhirnrinde und Sehnerv verfeinern, während in der Phase der Pubertät Umbauprozesse im Stirnlappen stattfinden.

Eingeengtes Sichtfeld Gesunde Menschen verfügen über ein Gesichtsfeld mit einem Winkel von etwa 180 Grad, sodass sie ihr Umfeld auch in den Randbereichen so gerade noch erkennen. Anders ist es bei Kunden mit Retinopathia pigmentosa, denn sie leiden unter einer Netzhautdegeneration, die sich durch die Schädigung der Fotorezeptoren (bestehend aus Stäbchen und Zapfen) äußert. Durch die Verkümmerung von Stäbchen und Zapfen beginnt sich das Gesichtsfeld von den Außenzonen her einzuengen, bis nur noch ein Rest im Sehzentrum verbleibt (Tunnelblick). Die Retinopathia pigmentosa verläuft schleichend über viele Jahre hinweg.

Manche Menschen bemerken die ersten Beschwerden bereits in der Jugend, bei den meisten Patienten treten die ersten Symptome jedoch im mittleren Erwachsenenalter auf. Sie klagen darüber, dass sich ihr Gesichtsfeld verkleinert, Konturen nachts nicht mehr klar erkannt werden und Farben und Kontraste verwischen. Das Gesichtsfeld reduziert sich sukzessive von außen nach innen, bis Betroffene meinen, sie würden die Welt nur noch durch ein Rohr betrachten. Im Endstadium führt das Absterben der Fotorezeptoren bei vielen Patienten zur vollständigen Erblindung. Die Erkrankung ist nicht heilbar, der fortschreitende Krankheitsprozess kann allerdings durch eine hyperbare Sauerstofftherapie verlangsamt werden.

Die Behandlung verzögert die Zerstörung der Fotorezeptoren und hält die bestehende Sehkraft über einen möglichst langen Zeitraum aufrecht. Auch die Einnahme von Vitamin A oder von vaskulären endothelialen Wachstumsfaktoren soll einen positiven Einfluss auf den Verlauf nehmen. Es wurden verschiedene Gendefekte identifiziert, die zu einer Retinopathia pigmentosa führen können. Daher sind gentherapeutische Ansätze oder Stammzellentherapien mögliche Behandlungsoptionen. Retina-Implantate, also Sehprothesen für Personen mit Tunnelblick, sind derzeit in der Entwicklung.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/19 ab Seite 56.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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