Infektion | Viren
BEEINFLUSSEN FRÜHERE ERKÄLTUNGEN DIE SYMPTOME BEI EINER CORONA-INFEKTION?
Seite 1/1 4 Minuten
Woran liegt es, dass manche Menschen am neuartigen Coronavirus schwer erkranken, während andere kaum Symptome bemerken? Die Antwort darauf ist vielschichtig und Gegenstand intensiver Forschung. Das Forschungsteam der Charité und des MPIG hat einen möglichen Einflussfaktor identifizieren können. Dabei handelt es sich um frühere Infektionen mit harmlosen Erkältungs-Coronaviren. Darauf deuten Untersuchungen an sogenannten T-Helferzellen hin. Die Wissenschaftler konnten beobachteten, dass etwa ein Drittel der Menschen, die noch nie mit SARS-CoV-2 in Kontakt gekommen sind, über T-Helfer-Gedächtniszellen verfügen, die das neue Virus dennoch erkennen. Vermutlich liegt das daran, dass bestimmte Strukturen von SARS-CoV-2 denen landläufiger Coronaviren ähneln.
Für die Untersuchungen der Studie wurden Immunzellen aus dem Blut von 18 COVID-19-Erkrankten, die an der Charité zur Behandlung aufgenommen und per PCR-Test positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren, entnommen. Zusätzlich isolierten sie Immunzellen aus dem Blut von 68 gesunden Personen, die nachweislich noch nie mit dem neuen Coronavirus in Kontakt gekommen waren. Daraufhin wurden die Zellen mit kleinen, künstlich hergestellten Bruchstücken des sogenannten Spike-Proteins des Virus‘ stimuliert. Dieses bildet die Coronavirus-typische „Krone“ auf der Oberfläche des Virus, wodurch es in menschliche Zellen eindringen kann. Anschließend überprüfte die Forschungsgruppe, ob die T-Helferzellen durch die Proteinfragmente aktiviert worden waren.
Das Ergebnis: Bei 15 der 18 COVID-19-Erkrankten, also 85 Prozent, reagierten die T-Helferzellen auf die Bruchstücke der Virusoberfläche.
„Das hatten wir nicht anders erwartet, das Immunsystem der Patientinnen und Patienten bekämpfte das neue Virus ja gerade und reagierte deshalb auch im Reagenzglas darauf“, erklärt Dr. Claudia Giesecke-Thiel, Leiterin der Servicegruppe Durchflusszytometrie am MPIMG und eine der drei leitenden Autorinnen und Autoren der Studie. „Dass die T-Helferzellen nicht bei allen COVID-19-Erkrankten auf die Virusfragmente reagierten, liegt vermutlich daran, dass sich die T-Zellen in einem akuten oder besonders schweren Stadium einer Erkrankung außerhalb des Körpers nicht aktivieren lassen.“
Die Untersuchungen offenbarten zur Überraschung des Teams, dass sich auch im Blut der Gesunden reaktive T-Helferzellen befinden: Bei 24 der 68 Getesteten (35 Prozent) gab es Gedächtniszellen, die SARS-CoV-2-Fragmente erkannten.
Die Immunzellen der Erkrankten und Gesunden reagierten jeweils auf unterschiedliche Teilstücke der Virushülle. Während die T-Helferzellen der Patienten das Spike-Protein über seine komplette Länge erkannten, wurden die T-Helferzellen der Gesunden vor allem von Abschnitten des Spike-Proteins aktiviert, die entsprechenden Abschnitten des Spike-Proteins von harmloseren Erkältungs-Coronaviren ähneln. „Das deutet darauf hin, dass die T-Helferzellen der Gesunden auf SARS-CoV-2 reagieren, weil sie sich in der Vergangenheit mit heimischen Erkältungs-Coronaviren auseinandersetzen mussten“, sagt Dr. Giesecke-Thiel. „Denn eine Eigenschaft der T-Helferzellen ist, dass sie nicht nur von einem exakt ‚passenden‘ Erreger aktiviert werden können, sondern auch von ‚ausreichend ähnlichen‘ Eindringlingen.“ Tatsächlich konnte die Forschungsgruppe nachweisen, dass die T-Helferzellen der gesunden Probanden, die auf das Virus reagierten, auch durch verschiedene Erkältungs-Coronaviren aktiviert wurden.
Die Frage, wie sich diese Kreuzreaktivität bei gesunden Testpersonen auf eine mögliche Infektion mit dem neuen Coronavirus auswirkt, kann die aktuelle Nature-Studie nicht beantworten. „Grundsätzlich ist vorstellbar, dass kreuzreaktive T-Helferzellen eine schützende Wirkung haben, indem sie zum Beispiel dazu beitragen, dass der Körper schneller Antikörper gegen das neuartige Virus bildet“, erklärt Prof. Dr. Leif Erik Sander von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité, ebenfalls leitender Autor der Studie. „In diesem Fall würden kürzlich durchgemachte Coronavirus-Erkältungen die Symptome von COVID-19 vermutlich abschwächen. Es ist jedoch auch möglich, dass eine kreuzreaktive Immunität zu einer fehlgeleiteten Immunantwort führt – mit negativen Auswirkungen auf den Verlauf von COVID-19. Eine solche Situation kennen wir zum Beispiel beim Dengue-Virus.“
Ob in der Vergangenheit durchgestandene Coronavirus-Erkältungen vor einer späteren Infektion mit SARS-CoV-2 schützen – und so möglicherweise die unterschiedliche Ausprägung der Symptome erklären – ist noch unklar. Dafür seien in die Zukunft gerichtete Studien nötig. Eine solche Studie – die Charité-Corona-Cross-Studie – ist jetzt unter Leitung der Charité in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin und dem MPIMG gestartet. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Ob in der Vergangenheit durchgestandene Coronavirus-Erkältungen vor einer späteren Infektion mit SARS-CoV-2 schützen – und so möglicherweise die unterschiedliche Ausprägung der Symptome erklären – ist noch unklar. Dafür seien in die Zukunft gerichtete Studien nötig. Eine solche Studie – die Charité-Corona-Cross-Studie – ist jetzt unter Leitung der Charité in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin und dem MPIMG gestartet. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
„Man schätzt, dass sich ein Erwachsener im Schnitt alle zwei bis drei Jahre mit einem der vier heimischen Coronaviren ansteckt“, erklärt Prof. Dr. Andreas Thiel, Charité-Wissenschaftler am Si-M (Der Simulierte Mensch), einem gemeinsamen Forschungsraum der Charité und der Technischen Universität Berlin, und am BIH Center for Regenerative Therapies (BCRT). „Wenn wir annehmen, dass diese Erkältungsviren tatsächlich eine gewisse Immunität gegenüber SARS-CoV-2 verleihen können, müssten ja Menschen, die in der Vergangenheit häufig solche Infekte durchgemacht haben und bei denen wir kreuzreaktive T-Helferzellen nachweisen können, besser als andere geschützt sein. Auf diese Personengruppen werden wir in der Charité-Corona-Cross-Studie deshalb besonderes Augenmerk legen.“ Parallel dazu wird das Team Risikogruppen über die nächsten Monate begleiten, heißt es.
Ziel der Studie ist es, den Verlauf der Lungenkrankheit in Zukunft sowohl vor als auch nach erfolgter Corona-Infektion besser vorherzusagen.
Geplant ist, Beschäftigte von Kindergärten und Kinderarztpraxen sowie Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen bis ins nächste Jahr hinein immunologisch zu untersuchen. Neben einem PCR-Test auf SARS-CoV-2 soll ihr Blut unter anderem auf Antikörper gegen das Virus und die Reaktivität der T-Zellen getestet werden. Zusätzlich soll das Blut von mindestens 1.000 Genesenen auf verschiedene immunologische Faktoren hin untersucht und diese mit den Symptomen in Zusammenhang gesetzt werden.
Sabrina Peeters,
Redaktionsvolontärin
Quellen:
https://www.deutschesgesundheitsportal.de/2020/07/29/koennen-fruehere-erkaeltungen-die-schwere-der-sars-cov-2-symptome-beeinflussen/?indication=
Braun J, Loyal L, Frentsch M et al. Presence of SARS-CoV-2-reactive T cells in COVID-19 patients and healthy donors. Nature (2020). doi: 10.1038/s41586-020-2598-9