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Seltene Erkrankungen von A bis Z

CHARGE-SYNDROM

Betroffene Kinder weisen ein komplexes Spektrum an vielschichten Symptomen auf. Besonders charakteristisch sind Hörsehschädigungen, andere Sinne sind ebenfalls beeinträchtigt.

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Der Name leitet sich aus den ursprünglich beschriebenen Symptomen her, die diese seltene Erkrankung ausmachen: C für Coloboma , H für Herzfehler, A für Atresie der Choanen (Choanalatresie, Verengung oder Blockierung der Nasengänge), R für Retardiertes (vermindertes) Wachstum und Entwicklungsverzögerung, G für Anomalien bei den Geschlechtsorganen, E für Fehlbildungen des Ohres (Ear). Heute werden diese Symptome für die Diagnose in vier Hauptmerkmale und sieben Nebenmerkmale eingeteilt.

Ein CHARGE-Syndrom liegt vor, wenn alle vier Hauptmerkmale oder drei Hauptmerkmale und drei Nebenmerkmale vorhanden sind. Es treten nicht alle Symptome bei allen Patienten auf und die verursachten Probleme können unterschiedlich schwer sein, sodass individuell das Krankheitsbild sehr verschieden ausgeprägt sein kann.

Hauptmerkmale

  • Kolobom des Auges: Sehminderung bis hin zu Blindheit
  • Choanalatresie
  • Charakteristisches CHARGE-Ohr (Fehlbildungen im Außen-, Mittel- und Innenohr): Hörminderung bis hin zu Taubheit/Gestörter Gleichgewichtssinn
  • Missbildung der Gesichtsnerven:
    I Verminderter oder fehlender Geruchssinn
  • VII Gesichtslähmung
    VIII Schallempfindungsstörung/Gleichgewichtsstörung
    IX/X Probleme beim Schlucken

Nebenmerkmale

  • Unterentwicklung der Geschlechtsorgane
  • Entwicklungsverzögerung
  • Herzfehler
  • Kleinwuchs
  • Spaltbildung im Gesichtsbereich (Lippe, Kiefer, Gaumen)
  • Trachealfisteln
  • Charakteristisches CHARGE-Gesicht

Ursache teilweise aufgeklärtDas CHARGE-Syndrom tritt mit einer Häufigkeit von 1:8500 bis 1:10 000 auf. Bei etwa der Hälfte bis drei Vierteln aller Betroffenen findet man eine Mutation im Gen CHD7. Diese tritt in aller Regel spontan auf, die Veränderung eines der beiden Allele des Gens reicht aus, um die Krankheit auszulösen. Das CHD7-Gen kodiert für ein Enzym, das mutmaßlich an der Chromatin-Remodellierung beteiligt ist. Die DNS liegt im Zellkern nicht frei vor, sondern im Komplex mit einer Vielzahl von Proteinen – diese Organisationsform nennt man Chromatin.

Adresse
Weitere Infos gibt es bei der gemeinnützigen Selbsthilfevereinigung zur Unterstützung von CHARGE-Betroffenen und deren Familien im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz usw.).
CHARGE Syndrom e.V.
Borbath 19
91448 Emskirchen
Internet: www.charge-syndrom.de
Tel: 0 91 04/82 63 45
E-Mail Deutschland: info@charge-syndrom.de

Es ist bekannt, dass DNS-Bereiche, die besonders dicht gepackt sind, seltener abgelesen werden, während Gene in Bereichen, die weniger dicht gepackt sind, häufiger transkribiert werden. Mithilfe der Chromatin-Remodellierung kann die Zelle also die Expression von Genen steuern. Wissenschaftler vermuten, dass es durch eine Mutation im Gen CHD7 zu Störungen in der Chromatin-Remodellierung und somit der Genregulation kommt. Solche Störungen während der Embryonalentwicklung könnten zu den CHARGE-Symptomen führen.

Bei etwa einem Drittel der Betroffenen kann keine Mutation im Gen CHD7 nachgewiesen werden. Möglicherweise könnten andere genetische oder auch Umweltfaktoren bei diesen Patienten die Ursache für das CHARGE-Syndrom sein. Da der Gentest kein Routinetest ist und auch nicht alle Betroffenen eine Mutation aufweisen, wird die Diagnose in der Regel weiterhin aufgrund der klinischen Symptome gestellt.

Behandlung Eine ursächliche Therapie gibt es nicht. Bei CHARGE-Kindern sind in der Regel nach der Geburt und auch später wiederholte Operationen und lange Krankenhausaufenthalte notwendig. Auch darüber hinaus müssen sie ihr Leben lang medizinisch überwacht werden. Die amerikanische CHARGE Foundation ist überzeugt, dass die Intelligenz von betroffenen Kindern häufig unterschätzt wird, da sie wegen ihrer Sinneseinschränkungen nur begrenzt in der Lage sind, Informationen aufzunehmen, wenn sie in gängiger Form präsentiert werden.

Es kommt daher nach Meinung der Experten entscheidend darauf an, individuell angepasste Kommunikationsformen zu entwickeln, die das Kind nutzen kann, um Informationen aus der Umwelt aufzunehmen und mit ihr in Interaktion zu treten.

Die Störung des Gleichgewichtssinnes hat mutmaßlich zur Folge, dass betroffene Babys die Rückenlage als sicherste Position empfinden. Die Entwicklung zum Sitzen und Laufen erfolgt stark verzögert. Da Reize nur eingeschränkt wahrgenommen werden, stellen sie für die Kinder kaum einen Anreiz dar, sich zu bewegen. Vielfach ist der Muskeltonus erniedrigt. Hier ist physiotherapeutische Unterstützung essenziell.

Kolobome am Auge führen je nach Lokalisation zu einer mehr oder weniger starken Einschränkung des Gesichtsfeldes, Fehlbildungen des Ohres beeinträchtigen neben dem Gleichgewichtssinn auch das Gehör auf komplexe Weise – hier können Hörgeräte hilfreich sein. Die Nahrungsaufnahme ist schwierig. Diese und viele weitere Herausforderungen erfordern eine enge Zusammenarbeit eines multidisziplinären Teams aus Spezialisten für Medizin, Kommunikation, Verhalten und Lernen, damit sich CHARGE-Kinder angesichts der vielschichtigen Probleme entsprechend ihrer Möglichkeiten optimal entwickeln können.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/13 ab Seite 76.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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