© Die PTA in der Apotheke
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Krankheiten berühmter Persönlichkeiten

BURN-OUT UND NEUANFANG

Dass Stress auf Dauer krank macht, musste der Weltklasse-Skispringer Sven Hannawald erleben. Er war einer der ersten Sportstars, der sich als Burnout- Opfer öffentlich zu erkennen gab.

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Eine Sportlegende, die noch lebt, eine Erkrankung, die psychisch ausgelöst zu einem körperlichen Zusammenbruch führte – und doch bis heute im Internationalen Diagnoseklassifikationssystem der WHO nicht als eigenständiges Krankheitsbild, sondern lediglich unter „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“ aufgeführt ist: Die Rede ist einerseits vom Burn-out und andererseits von der Person Sven Hannawald.

Getrieben vom Perfektionismus Am 9. November 1974 in Erlabrunn im Westerzgebirge als Sven Pöhler (seine Eltern heirateten erst nach seiner Geburt) geboren, erlebte er früh eine Kindheit im DDR-Sportsystem. Mit sieben Jahren nahm er an einem Skisprunglehrgang teil, betrieb zunächst Nordische Kombination. Als Zwölfjähriger wechselte er auf die Kinder- und Jugendsportschule (KJS) in Klingenthal – wegen besserer Trainingsmöglichkeiten.

Er wurde DDR-Schülermeister im Skispringen, gewann bei der Kinder- und Jugendspartakiade 1987 in Oberwiesenthal in zwei Sprungdisziplinen sowie ein Mal in der Nordischen Kombination. Nach der Wende zogen seine Eltern mit seiner sechs Jahre jüngeren Schwester zusammen aus dem Erzgebirge nach Jettingen-Scheppach im Landkreis Günzburg (Bayerisch Schwaben), er selbst wechselte mit 15 Jahren an das Skiinternat Furtwangen im Schwarzwald, wo er nach der Schule (Mittlere Reife) eine Kommunikationselektronikerlehre absolvierte.

Parallel wurde er 1992, also mit knapp 18 Jahren, Dritter im Mannschaftswettbewerb der Junioren-Weltmeisterschaft, 1994 dann Deutscher Meister im Mannschaftsspringen. Bis 2001 trainierte er als Sportsoldat der Bundeswehr (Sportfördergruppe der Bundeswehr in Todtnau-Fahl). DDR-Sportzeit, Sport-Fördergruppe, Trimm und Druck des Leistungssportes prägten ihn, er war – wie er selbst zugibt – extrem ehrgeizig und leistungsstark. „Das Skispringen war mein Ein und Alles. Es gab damals den Spruch: Je größer die Schanze, desto Hanni.“

Höhepunkt und Sturz Als erster deutscher Skispringer gewann Sven Hannawald schließlich in der Saison 2001/2002 die Vierschanzentournee mit Siegen in allen vier Wettbewerben, olympisches Gold und die Weltmeisterschaft. Er schrieb damit Sportgeschichte, war Publikumsliebling! Eine solche Fülle an Triumphsiegen in einer Saison hat vor ihm und bis heute keiner mehr geschafft. Millionen Menschen vor den Fernsehgeräten und Tausende im Stadion an der Schanze verfolgten die Momente.

Doch nach dem Höhenflug folgte ein tiefer Fall. Ein Leistungsabsturz am Ende der darauf folgenden Saison, das Gefühl ausgepowert, unmotiviert, lustlos, ständig unruhig, ja müde zu sein. Zahlreiche Arztbesuche, körperliche Untersuchungen und medizinische Tests folgten. Und doch sagten alle Mediziner: „Kerngesund!“ Auch niemand in seinem Sportumfeld dachte daran, dass ein körperlicher Zusammenbruch psychisch bedingt sein könnte. Niemand dachte an Depressionen oder Burn-out.

Dass er schließlich einen Psychotherapeuten aufsuchte, der ihm nach dem Gespräch riet, sich in eine psychosomatische Klinik zu begeben, verdankt er der Mutter seiner damaligen Freundin. Ein neunwöchiger Klinikaufenthalt in Bad Groenenbach/ Allgäu schloss sich an. Nach einer Therapie fühlte sich Hannawald zunächst besser, trainierte wieder, machte noch einige Sprünge, die ihm sogar Spaß machten. Doch die schlechten Gefühle kehrten zurück. Im Winter 2004/2005 beendete Hannawald deshalb seine Skisprungkarriere und zog sich erst einmal komplett zurück.

Fünf Jahre dauerte seine Therapie. Nur langsam fing der Sportler wieder an, das Leben zu genießen: mit Spaziergängen, Zeit für Freunde und Familie. Die Verarbeitung, der Rückblick begannen. „Meinen Ehrgeiz, meinen Perfektionismus musste ich erst einmal überwinden.“, gibt er heute offen zu. Es ist ein Bekenntnis: „Ich wollte perfekt sein.“ Dank Studien ist mittlerweile bekannt: Psychische Erkrankungen sind zum Teil genetisch bedingt, aber es ist kein Zufall, dass es überdurchschnittlich oft Perfektionisten trifft.

Im Licht der Öffentlichkeit Positiv zu werten: Sven Hannawald gab über sein Management von Anfang an offen zu, dass er mit dem Leben, so wie er es als Profisportler erlebte, nicht mehr zurechtkam und machte die Diagnose „Burn-out mit Erschöpfungsdepression“ öffentlich. Ein Novum! Denn gerade im Leistungssport ist Schwäche zeigen absolut verpönt. Und über Erschöpfungszustände, Depressionen und Burn-out wurde nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in Ärzte- und Gesundheitskreisen im Jahr 2003/2004 noch vergleichsweise wenig gesprochen. Heute ist über die Thematik – auch dank Sven Hannawalds Offenheit – viel mehr bekannt.

Die Verarbeitung 39 Jahre ist Sven Hannawald heute alt und hat ein Buch, eine Biografie mit dem Titel „Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben“ geschrieben (2013 veröffentlicht), in dem er über das, was ihm widerfahren ist, berichtet: Nämlich wie ein junger Mensch auf dem Höhepunkt seines Lebens ein Burn-out-Syndrom bekommt und damit fertig wird. Sein Ziel dabei: Aufklärungsarbeit leisten, Betroffenen Halt geben und zeigen „anhand von meinem Beispiel, wie ich heute da stehe, dass wieder alles gut wird“.

Seit dem Zusammenbruch sind mittlerweile über zehn Jahre vergangen. Ganz auf Sport verzichten kann Sven Hannawald dennoch nicht. Seine neue Leidenschaft gilt dem Motorsport. Er selbst ist der Meinung, sein Leben brauche immer einen besonderen Kick: „Ich habe mich mit Adrenalin verseucht.“

Seit 2008 fährt Hannawald regelmäßig Rennen im ADAC GT Masters. Die Parallele zum Skispringen ist, dass man sich auch hierbei an die Grenze herantastet und ein körperliches Risiko eingeht. Aber im Unterschied zum Skispringen betreibt er den Motorsport mehr als Hobby. „Ich habe den Luxus, nicht mehr unbedingt etwas erreichen zu müssen“, kann er heute von sich selbst sagen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/14 ab Seite 88.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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