Bruxismus
BUCHSTÄBLICH ZERKNIRSCHT
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Nicht wenige Menschen beißen im Wortsinne die Zähne zusammen – oft unwillkürlich, hauptsächlich nachts. Auch viele Kinder sind betroffen. Während es oftmals eine Angewohnheit ist, die sich nach einiger Zeit wieder legt, gibt es auch schwere Formen, bei denen die Zähne mit exzessiven Kräften „bearbeitet” werden. Dann fühlt sich das Kiefergelenk morgens steif und unangenehm an. Und auf Dauer entwickeln sich chronische Schmerzen.
Gestörte Symmetrie Zugrunde liegen kann dem Phänomen ein Fehlbiss, also das Problem, dass die Zahnreihen nicht optimal und im richtigen Winkel übereinander stehen und dadurch zu ungleichmäßigen Kontakten zwischen den Zähnen des Ober- und des Unterkiefers führen. Schuld daran können natürliche Zähne sein oder zu niedrige oder zu hohe Füllungen, nicht optimal angepasste Kronen oder Brücken sowie schlecht sitzende Prothesen.
Prinzipiell können bereits Abweichungen in einer Dimension von Millimeterbruchteilen spürbare Folgen nach sich ziehen. Andererseits ist das Kauorgan sehr anpassungsfähig und in der Lage, kleinere und größere Unregelmäßigkeiten auszugleichen. Kommen aber weitere Störungen hinzu – sei es in Form zusätzlicher Veränderungen bei den Zahnhöhen oder in Form unphysiologischer Muskelaktivitäten – kann das Gleichgewicht kippen: Das fein aufeinander abgestimmte Zusammenspiel von Zähnen, Kaumuskeln und Kiefergelenk kommt „aus dem Tritt”; übermäßige Muskelspannungen verhindern, dass sich dauerhaft eine entspannte Bissposition stabilisiert. Die Ursachen einer solchen funktionellen Erkrankung des Kauorgans sind in jedem Einzelfall anders gelagert.
Locker lassen
Wesentlich ist es, dass Betroffene immer wieder darauf achten, bei geschlossenem Mund die Kiefer locker zu lassen – so, dass obere und untere Zähne sich nicht berühren. Die Zungenspitze soll dabei hinter der oberen Zahnreihe ruhen.
Stress als Hauptursache Psychische Belastungen und hoher Druck, der auf einem Menschen lastet, führen leicht zu Verspannungen verschiedener Muskelgruppen, unter anderem auch des Kauapparats. Da diese Muskeln in vielfältiger Verbindung mit anderen Strukturen des Bewegungsapparats stehen, wird unter Umständen sogar die Statik in anderen Bereichen des Körpers in Mitleidenschaft gezogen.
Die Folgen können neben Kopf-, Kiefer- und Gesichtsschmerzen auch Schulter- und Nackenprobleme sein.
Umgekehrt können sich auch Haltungsfehler auf die Kaumuskeln auswirken. Vor allem aber kommt es durch die exzessive Kraftausübung zu Abnutzungserscheinungen an den Zähnen: Der Zahnschmelz, das härteste Material des Körpers, wird dabei zerstört. Weil dadurch das Zahnbein nicht mehr geschützt ist, reagieren die betreffenden Zähne überempfindlich auf verschiedenste Reize. Der Zahnhalteapparat wird überlastet und damit schließlich der Kieferknochen geschwächt.
Interdisziplinärer Behandlungsansatz Als erste Hilfe bieten Zahnärzte oft Schienen, so genannte „Aufbissbehelfe” an. Einfache Schutzschienen (Knirscherschienen) sorgen dafür, dass die Zahnsubstanz nicht weiter abgenutzt wird; sie verhindern aber nicht, dass Muskeln und Kiefergelenk unphysiologisch belastet werden. Spezielle, aufwändig konstruierte therapeutische Schienen werden mit dem Ziel angefertigt, eine Entspannung des Kauorgans herzustellen. Je nach Fall kann dann das Schleifen vorstehender Zähne oder die Eingliederung von funktionsgerecht angepasstem Zahnersatz helfen.
Da die Probleme ein so komplexes Gefüge von Strukturen und deren Funktion betreffen, werden zur Behandlung oft Kieferorthopäden und Physiotherapeuten hinzugezogen. Großen Raum nimmt bei der Behandlung des Bruxismus die Reduktion von beziehungsweise der Umgang mit Stress ein: Die Möglichkeiten reichen von Entspannungsübungen über Sport bis zu verhaltenstherapeutischen Maßnahmen. Die Patienten müssen zunächst lernen, die Knirschepisoden überhaupt wahrzunehmen, um dann langsam zu üben, die Muskeln zu entspannen (z. B. via Biofeedback).
An der manchmal krankhaften Verspannung der Muskeln, hauptsächlich des kräftigen Kaumuskels (M. masseter), setzt ein anderes Therapieverfahren an: Durch gezielte Injektion von Botulinumtoxin wird – für einige Wochen bis Monate – die Impulsübertragung zwischen Nerven und Muskeln verringert und so die Muskelaktivität an der Injektionsstelle vorübergehend geschwächt. Die Kraft des Kaumuskels kann so deutlich verringert werden, ohne die Kaufunktion zu behindern. Wie bei den zahlreichen anderen therapeutischen Anwendungsgebieten des Nervengifts nutzt man hier also seine – bei richtiger Dosis – muskelrelaxierende Wirkung.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/13 ab Seite 110.
Waltraud Paukstadt, Dipl. Biologin