Herpes
AUSDRUCK EINES GESCHWÄCHTEN IMMUNSYSTEMS
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Bei etwa jedem fünften Virusträger kommen die Lippenbläschen regelmäßig zum Ausbruch. Die typischen Anfangssymptome Kribbeln und Spannen der Lippen kennen die Betroffenen. Meistens bahnt sich ein Lippenherpes gerade dann an, wenn der Zeitpunkt dafür besonders ungünstig ist, zum Beispiel im Urlaub oder vor einem wichtigen Termin. Lippenherpes ist deshalb ein häufiges Thema in der Selbstmedikation.
Der erste Gang führt in die Apotheke. Kunden wünschen sich ein Mittel, das schnell und effektiv Heilung verschafft, möglichst die unschönen Hautstellen kaschiert und angenehm anzuwenden ist. Wenn PTA und Apotheker zusätzlich zur Abgabe eines Arzneimittels Ursachenforschung betreiben und Tipps und Empfehlungen zur Prophylaxe erneuter Ausbrüche geben, leisten sie eine umfassende Beratung.
Übeltäter Herpesviren Wen es einmal erwischt, den trifft es immer wieder. Im besten Fall sind die Bläschen nur lästig und unangenehm, im schlimmsten Fall können die Hautläsionen bei schweren Verläufen über die Lippen bis zur Nase ziehen und erfordern einen Arztbesuch. Verantwortlich dafür sind Herpes-simplex-Viren, die nach der Erstinfektion im Körper ruhen und immer wieder unter bestimmten Bedingungen ausbrechen. Sie gehören wie Varizella zoster und der Erreger der Zytomegalie zur Familie der Herpesviren.
Herpes-simplex-Viren sind weltweit verbreitet und treten unter den humanpathogenen Vertretern am häufigsten auf. Es werden zwei Haupttypen unterschieden: Für den Lippenherpes ist der Subtyp HSV-1 hauptsächlich verantwortlich, der Subtyp HSV-2 verursacht vornehmlich Genitalherpes. Beide Erreger sind sich sehr ähnlich und können, wenn auch selten, die jeweils andere Erkrankung hervorrufen. HSV-1 ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Experten schätzen, dass die Durchseuchung der Erwachsenen in Deutschland bei etwa 90 Prozent liegt. Die Verbreitung von Genitalherpes steigt in Abhängigkeit von der sexuellen Aktivität und der Anzahl der Geschlechtspartner.
Ansteckung Lippenherpes ist nicht heilbar. Viele Patienten leiden unter häufig wiederkehrenden Infektionen mit bis zu zwölf Episoden im Jahr. Die Erstinfektion findet meistens schon in der Kindheit statt und verläuft unauffällig ohne Beschwerden. Selten äußert sich die Erkrankung in Form einer „Mundfäule” mit Läsionen der Schleimhaut. Die Virusübertragung erfolgt per Tröpfchen- oder Schmierinfektion über direkten Kontakt mit einer infizierten Person, zum Beispiel beim Küssen oder auch indirekt, wenn aus demselben Glas getrunken wurde.
Über ihre Oberflächenmoleküle heften sich Herpesviren an menschliche Schleimhautzellen an. Bei der Erstinfektion dringen sie über Verschmelzung der Zellmembranen in die Wirtszelle ein und setzen dort ihr genetisches Material und Enzyme frei. Nun bedienen sich die Viren der Transkriptionsmechanismen der Wirtszelle und beginnen mit der Produktion eigener viraler Proteine. Bei der Freisetzung neuer Viren wird die Wirtszelle zerstört. Herpes-simplex-Viren wandern über die Nervenbahnen zurück zur Eintrittsstelle und können dort die Bildung der Lippenbläschen hervorrufen.
Nicht jeder erkrankt Nur etwa 20 bis 40 Prozent der Virusträger müssen sich mit den Symptomen des Lippenherpes herumschlagen. Auch können Menschen jahrelang Ruhe haben, weil sich die Erreger im Wartestand befinden. Die „schlafenden” Viren befinden sich bevorzugt im Trigeminusganglion, wo sie vom Immunsystem nicht erkannt werden.
»Eine antivirale Creme gegen Lippenherpes gehört in die Hausapotheke, sodass die Behandlung beim ersten Kribbeln starten kann!«
Typische Trigger, die zum Ausbruch der Erkrankung führen, sind Stress, UV-Strahlung, fieberhafte Infekte, Medikamente, die die Immunabwehr schwächen, trockene rissige Lippen, sowie körperliche wie seelische Belastungen. Erst nach Reaktivierung wandern die Viren zurück und gelangen in die obere Hautschicht der Lippen. Hier befallen sie Keratinozyten, vermehren sich in kürzester Zeit explosionsartig und rufen die bekannten Symptome hervor. Der typische Verlauf der Erkrankung und die immer wiederkehrenden Beschwerden sind der Schlüssel zur Diagnosestellung. Im Zweifelsfall lassen sich das Herpesvirus oder dessen Antigene in einem Abstrich nachweisen.
Von der Mutter auf das Kind Neugeboreneninfektionen finden in den meisten Fällen unter der Geburt statt, wenn die Mutter gerade eine akute Herpes-genitalis-Infektion durchmacht. Die Säuglinge können Symptome wie Fieber, Erbrechen bis hin zu schweren Hirnhautentzündungen entwickeln. Besonders Frühchen sind gefährdet, schwere Komplikationen, wie Augenschäden, Krampfanfälle und geistige Entwicklungsverzögerungen davon zu tragen. Eine Ansteckung des Kindes im Mutterleib ist eher unwahrscheinlich. In den sehr seltenen Fällen einer Erstinfektion in der Schwangerschaft, besteht die Gefahr des Übergangs der Viren von der Plazenta auf das Kind, was das Risiko einer Frühgeburt erhöht.
Kribbeln, brennen, jucken Jeder, der häufig unter Lippenherpes leidet, kennt die Vorboten. Auch wenn äußerlich noch nichts erkennbar ist, spüren die meisten Betroffenen schon einige Stunden vorher das erste Spannungsgefühl, Brennen und Kribbeln in den Lippen, das durch die rasche Vermehrung der Viren verursacht wird. In diesem Frühstadium können antivirale Cremes den Ausbruch möglicherweise noch verhindern oder zumindest reduzieren.
In den folgenden zwei Tagen bilden sich meistens am Übergang von der Lippe zur normalen Gesichtshaut kleine Bläschen, die mit hochinfektiöser Flüssigkeit gefüllt sind. Wenn diese aufplatzen, ist die Gefahr der Ansteckung am größten. In dieser Phase ist der Leidensdruck am höchsten. Die Lippen schmerzen und sind sehr empfindlich bei Kontakt. Anschließend beginnt der Körper die offenen Hautstellen durch Krustenbildung und Verschorfung zu schließen.
In diesem Stadium besteht keine Ansteckungsgefahr mehr. Durch die ständigen Bewegungen der Lippen beim Essen und Sprechen neigt die Kruste allerdings dazu aufzureißen. Deshalb unterstützt eine gute Pflege in dieser Phase den Heilungsprozess. Bis die Lippen wieder vollständig – in der Regel narbenfrei – verheilt sind, dauert es etwa sieben bis zehn Tage.
Eine Sache für den Arzt Für Schwangere, Stillende, Neugeborene, Kinder im Alter unter zwölf Jahren, Menschen mit schweren Hauterkrankungen, immungeschwächte Menschen und multimorbide alte Patienten ist Lippenherpes kein Fall für die Selbstmedikation. Wegen der Gefahr von Komplikationen gilt: Im Zweifelsfall einmal öfter zum Arzt! Wenn jemand unter mehr als sechs Episoden pro Jahr leidet oder eine solche länger als zehn Tage andauert, sollte er zum Arzt gehen. Häufig wiederkehrende Infekte können auf ein gestörtes Immunsystem hinweisen.
Sekundärinfektionen mit Staphylokokken oder Streptokokken müssen antibiotisch behandelt werden und erfordern ebenfalls eine ärztliche Behandlung. Auch bei schweren Verläufen, wenn außer den Lippen die Mundschleimhaut, die Nasenschleimhaut, Wangen oder die Ohrläppchen betroffen sind oder die Patienten begleitend unter Fieber, Abgeschlagenheit und Lymphknotenschwellungen leiden, ist die verschreibungsfreie Creme aus der Apotheke keine ausreichende Therapieoption.
VORSICHT HAUSMITTEL!
Alternative Heilmethoden wie Zahnpasta, Quark oder Honig zur Behandlung von Lippenherpes sind nicht empfehlenswert. Gegen den Virusbefall sind diese Mittel nachweislich nicht wirksam. Die Haut wird in der Regel noch stärker gereizt und durch alkoholische Substanzen ausgetrocknet. Der Krankheitsverlauf kann so weder beschleunigt noch gemildert werden.
In seltenen Fällen befällt das Herpesvirus die Augen (Keratoconjunctivitis herpetica) und löst die gleichen Symptome (Rötung, Fremdkörpergefühl, Jucken und Brennen) wie bei einer bakteriellen Bindehautentzündung aus. Wird eine Herpesinfektion des Auges nicht früh genug behandelt, wandern die Viren in die tieferen Hornhautschichten. Dort besteht die Gefahr, dauerhafte Schädigungen, zum Beispiel Hornhautnarben oder eine -trübung, hervorzurufen, die zu Sehstörungen bis hin zu Erblindung führen können.
Prävention durch Pflege Damit es gar nicht so weit kommt, sollten Betroffene ihre Lippen besonders gut pflegen. Gerade wenn diese extremen Bedingungen wie eisiger Kälte im Winter oder intensiver Sonneneinstrahlung im Sommer ausgesetzt sind, brauchen sie ausreichend Feuchtigkeit. Optimal sind Pflegeprodukte, die zusätzlich einen UVSchutz enthalten. Unter normalen Bedingungen genügt in Deutschland für den täglichen Gebrauch ein Schutzfaktor von etwa vier.
Geht die Reise ins Hochgebirge, an die See oder andere Orte, wo die Lippen einer hohen UV-Strahlung ausgesetzt sind, reicht ein normaler Lichtschutz nicht aus. Dann sollten Sonnenschutzstifte mit einem hohen Anteil an Decksubstanzen verwendet werden. Melissenextrakte beispielsweise als Inhaltstoff einer Creme oder eines Lippenpflegestiftes können ebenfalls zur Prophylaxe und in der frühen Phase der Erkrankung angewendet werden. So kann es möglicherweise gelingen, einen Ausbruch zu verhindern oder zumindest abzumildern.
GESTALTEN SIE EINEN INDIVIDUELLEN FLYER FÜR IHRE PATIENTEN
+ Ernähren Sie sich vitaminreich, ausgewogen und gesund.
+ Bewegung an der frischen Luft stärkt das Immunsystem.
+ Pflegen Sie Ihre Lippen regelmäßig, um rissige und trockene Haut zu vermeiden.
+ Schützen Sie Ihre Lippen vor intensiver UV-Strahlung mit einem ausreichenden Lichtschutzfaktor.
+ Gönnen Sie Ihrem Körper Ruhe, Entspannung und genug Schlaf.
+ Beobachten Sie, wann und in welchen zeitlichen Abständen Sie Lippenherpes erleiden und erkennen Sie Ihre persönlichen Risikofaktoren.
+ Vorsicht: Wenn Sie gerade unter Lippenherpes leiden, ist der Kontakt mit Säuglingen, Kindern und immungeschwächten Menschen zu vermeiden! Küssen ist dann leider ebenfalls tabu!
+ Achten Sie auf ausreichende Hygiene, zum Beispiel wenn Sie Kontaktlinsenträger sind, denn auch andere Körperregionen können sonst infiziert werden.
Krankheitsverlauf beschleunigen Meistens treten Lippenbläschen in Situationen auf, in denen das Immunsystem belastet ist und der kosmetische Makel den Leidensdruck noch zusätzlich erhöht. Da ist es gut, ein wirksames Mittel aus der Apotheke anzuwenden, das den Verlauf der Beschwerden günstig beeinflusst.
Die Verwendung der Nukleosidanaloga Aciclovir und Penciclovir ist neben hoch dosierten Melissenextrakten und Lippenpatches auf Hydrokolloidbasis zur Verbesserung der Wundheilung die wichtigste therapeutische Strategie der Selbstmedikation. Aciclovir gibt es auch in rezeptpflichtigen Arzneiformen für die systemische Therapie von schweren Infektionen. Penciclovir wird nur zur topischen Anwendung eingesetzt, weil dieser Wirkstoff oral nicht resorbiert wird.
Nach Auftragen der Creme dringen die Wirkstoffe in die mit den Herpesviren infizierten Zellen ein. Beide Substanzen greifen als Nukleosidanaloga in die Neubildung der Virus-DNA ein. Diese Analoga unterscheiden sich von natürlichen Nukleosiden durch eine Veränderung der Zucker- oder der Basenkomponente. Sie verhindern jedoch nicht den Eintritt der Viren in die Wirtszelle und damit die Infektion der Zelle. Eine prophylaktische Anwendung der Substanzen ohne irgendwelche Symptome zu haben, macht also auf keinen Fall Sinn.
Aufgrund des Wirkungsmechanismus wird deutlich, dass eine Beschleunigung des Krankheitsverlaufs nur möglich ist, wenn Aciclovir noch in der Vermehrungsphase der Viren eingesetzt wird, und nicht erst, wenn das Lippenbläschen bereits aufgeplatzt ist. Empfohlen wird eine vier bis fünf Mal tägliche Anwendung. Penciclovir sollte alle zwei Stunden mindestens sechs Mal täglich aufgetragen werden.
Die Melisse gilt schon seit Jahrhunderten als potente Heilpflanze. Die in ihren Blättern enthaltenen Lamiaceengerbstoffe haben antivirale Eigenschaften. Sie sollen den Eintritt der Viren in die Wirtszelle verhindern. Die Anwendung einer Creme mit Inhaltstoffen der Melisse ist im Anfangsstadium der Infektion – also beim ersten Kribbeln – am effektivsten. Die Patienten sollen die Creme zwei bis vier Mal täglich auf die befallene Lippenregion auftragen. Auch scheinbar nicht betroffene Stellen können so prophylaktisch gepflegt werden. Aufgrund der guten Verträglichkeit dürfen Cremes mit den Wirkstoffen der Melisse auch von Kindern, Schwangeren und Stillenden verwendet werden.
Kosmetisch gut verdeckt Lippenherpes kann dazu führen, dass die Betroffenen sich unattraktiv und gehemmt fühlen. Patienten mit Herpesbläschen beschreiben häufig das Gefühl, von anderen Menschen angestarrt zu werden. Besonders schwierig ist das für Menschen, bei denen beruflich eine gewisse Attraktivität erwartet wird. Auch diesen Aspekt sollten PTA und Apotheker nicht aus dem Auge verlieren, wenn sie beraten.
Eine gute Hilfe sind kleine durchsichtige Patches auf Hydrokolloidbasis, die auf die Hautstelle geklebt werden. Sie sorgen für ein positives feuchtes Wundmilieu und beschleunigen den Heilungsverlauf. Außerdem decken sie die Wunde ab, schützen vor Ansteckung sowie Sekundärinfektion und lassen die verkrustete Hautstelle unauffälliger erscheinen. Ein großer Vorteil für Frauen ist, dass auch Make-up und Lippenstift auf die Patches aufgetragen werden können. Alternativ gibt es eine getönte Creme, die den antiviralen Wirkstoff Penciclovir enthält. Diese kaschiert ebenfalls die geröteten auffälligen Lippenbläschen.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/12 ab Seite 60.
Dr. Katja Renner, Apothekerin