Politik
ARZNEIMITTEL ODER NEM?
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Zu diesen Produkten gehören Nahrungsergänzungsmittel. Sie erfreuen sich bei Verbrauchern und Herstellern immer größerer Beliebtheit. Beschränkungen des Arzneimittelrechts können so umgangen werden. Kürzlich wurde eine Expertenkommission ins Leben gerufen, die sich der schwierigen Abgrenzungsproblematik annimmt.
Obwohl die Einnahme von Produkten mit ernährungsspezifischer Wirkung in konzentrierter Form nur in bestimmten Situationen sinnvoll ist, erfreuen sich Nahrungsergänzungsmitteln und Präparate aus dem Grenzbereich zu Arzneimitteln einer steigenden Nachfrage. Zunehmend finden sich in den Mitteln Stoffe, die bislang lediglich als Medikamente bekannt waren. Zu verlockend sind die leichteren Vermarktungsmöglichkeiten. In der Theorie ist die Abgrenzung Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Arzneimittel einfach gesetzlich umfassend geregelt.
Der Teufel steckt im Detail Der Lebensmittelbegriff ist in der Verordnung Nr. 178/2002 definiert. Im Wesentlichen sind alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen zu werden, Lebensmittel. Mit dieser weit gefassten Definition wäre so ziemlich alles ein Lebensmittel − Arzneimittel eingeschlossen.
Deshalb werden bestimmte Produkte von der Verordnung per definitionem ausgenommen, wie Arzneimittel, kosmetische Mittel, Tabak und Tabakerzeugnisse sowie Betäubungsmittel und psychotrope Stoffe. Sie unterliegen speziellen rechtlichen Vorschriften. Will man also entscheiden, ob es sich bei einem Produkt um ein Lebensmittel beziehungsweise Nahrungsergänzungsmittel oder Arzneimittel handelt, muss man prüfen, ob der Arzneimittelbegriff zutreffend ist. Dieser ist in der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel definiert und inzwischen wortwörtlich auch ins nationale Arzneimittelgesetz (AMG) übernommen.
Humanarzneimittel sind alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind. Arzneimittel sind auch alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.
Welches Recht gilt? Einschlägig für Nahrungsergänzungsmittel ist die Richtlinie 2001/46/EG, die durch die Nahrungsergänzungsmittelverordnung in nationales Recht transformiert wurde. Drei Kriterien müssen für ein Nahrungsergänzungsmittel hiernach erfüllt sein. Das Mittel muss dazu bestimmt sein, die allgemeine Ernährung zu ergänzen.
Es muss ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung allein oder in Zusammensetzung darstellen. Und es muss in dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten in den Verkehr gebracht werden. Anders als für Arzneimitteln ist bei Nahrungsergänzungsmitteln hierfür lediglich eine Registrierung beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erforderlich.
Nährstoffe im Sinne dieser Verordnung sind Vitamine und Mineralstoffe, einschließlich Spurenelemente. Zulässig sind für Nahrungsergänzungsmittel Aussagen zum allgemeinen Gesundheitszustand wie zum Beispiel „zur Stärkung des Immunsystems“, „stärkt die Nerven“ oder „schützt die Zellen“, sofern sie nicht falsch oder irreführend sind. Nahrungsergänzungsmittel dürfen ferner nicht dazu bestimmt sein, Krankheiten zu heilen oder zu verhüten. Nicht erlaubt sind somit Heilungsversprechen, dass beispielsweise bei Arthrose der Gelenkknorpel wieder hergestellt wird und sich Schmerzen bessern.
Eindeutig zweideutig? Insbesondere bei Vitaminpräparaten ist die Einordung als Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel nicht einfach, denn sie können sowohl in der Prophylaxe als auch in der Therapie medizinisch eingesetzt werden.
In der Vergangenheit ist man davon ausgegangen, dass bei einer dreifachen Überschreitung der empfohlenen Tagesdosierung ein Ernährungszweck nicht mehr anzunehmen ist. Diese einfach anzuwendende Regel als Einstufungskriterium ist inzwischen nicht mehr gültig. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union von Fall zu Fall zu entscheiden und eine Prüfung im Detail erforderlich.
Anfang des Jahres ist nun eine gemeinsame Expertenkommission des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ins Leben gerufen worden. Aufgabe der Kommission ist es, arzneimittelnahe Lebensmittel zu begutachten und Empfehlungen für ihre Einstufung auszusprechen.
Im Fokus stehen kritische Stoffe, die beispielsweise bisher nur in Arzneimitteln Verwendung fanden, massiv in den Markt drängen und bei denen Zweifel an ihrer Sicherheit bestehen. Denn Nahrungsergänzungsmittel dürfen neben Vitaminen und Mineralstoffe weitere Stoffe in nicht geregelter Menge enthalten, wenn sie eine ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung besitzen. Eine weite „Spielwiese“ für Hersteller, die weidlich genutzt wird. Der Expertenkommission wird sicherlich die Arbeit so schnell nicht ausgehen …
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/13 ab Seite 50.
Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium