Apotheke und digital passt nicht zusammen? Fehlanzeige! © Sasha_Suzi / iStock / Getty Images Plus

Digitale-Versorgung-Gesetz

APOTHEKE 4.0: WIE DIGITAL SIND DEUTSCHE APOTHEKEN?

Apps auf Rezept, chatten für Beratungsgespräche und natürlich das lang erwartete eRezept – der Gesundheitsminister plant mit dem Digitale-Versorgungs-Gesetz einige Neuerungen im Apothekenalltag, die nicht bei jedem auf Zuspruch stoßen. Dennoch ist die Apotheke bereits jetzt moderner aufgestellt als viele glauben.

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Natürlich gibt es sie noch, die altehrwürdigen Apotheken mit Schubladenschränken, Lochkarten und befüllten Standgefäßen – Klassiker haben immer etwas für sich. Dem gegenüber steht allerdings ein stetig wachsender Anteil modern gestalteter Apotheken, die sich bemühen, stets auf dem neusten Stand zu sein und sich dem immer digitaler werdenden Alltag der Kunden anzupassen. Bestellung per App, digitale Frei- und Sichtwahl, Rezeptscanner und Bezahlung per Smartwatch: Das gehört für viele Apothekenmitarbeiter mittlerweile zur täglichen Routine. Und welcher andere Einzelhandel kann schon von sich behaupten, einen Kommissionierautomaten und eine automatisierte Warenwirtschaft zu dirigieren oder Lieferfähigkeiten innerhalb von Sekunden abzufragen, dank MSV3-Schnittstelle? Klar taxieren bestimmt einige noch mit der Hilfstaxe im Papierformat, doch die meisten nutzen mittlerweile Software, angeschlossen an das Computer-Kassenprogramm. Gleiches gilt für die Dokumentation von T-Rezept oder BtM-Verordnung. Viele Prozesse laufen im Hintergrund, der Kunde bekommt sie nicht direkt mit und stuft die Apotheke als wenig fortschrittlich ein. Offensichtlicher wird es dann schon mit digitaler Sichtwahl oder Servicestellen. Letztere erinnern ein wenig an Service-Terminals vom Flughafen oder zum Einlösen von Payback-Punkten (übrigens noch etwas, was heute viele Apotheken anbieten): Der Kunde wählt ein freiverkäufliches Arzneimittel an, kann sich darüber informieren, es „vorbestellen“ und dann am HV-Tisch abholen und bezahlen – inklusive Beratung versteht sich. Digitale Rezeptsammelstellen ersetzen heute Briefkästen und sollen vor allem die flächendeckende Versorgung auf dem Land garantieren.
So viel zum Ist-Zustand. Wenn auch nicht alle deutschen Apotheken derart fortschrittlich aufgestellt sind, spätestens seit der Einführung von Securpharm können es aber auch die letzten „Schubladenzieher“ nicht mehr leugnen: Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, muss man sich dem World Wide Web öffnen, digitale Vermarktungsstrategien akzeptieren und für sich nutzen. Denn wenn schon heute immer mehr Menschen das Angebot einer Versandapotheke nutzen, wie wird das erst nach der Einführung des eRezepts aussehen?

Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG)
Im Mai trat das „Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung“ in Kraft. Was schneller Termine beim Arzt zu bekommen mit Digitalisierung zu tun hat? Kern des Gesetzes bildet der Ausbau von Terminservicestellen, die ab sofort nicht nur 24/7 telefonisch, sondern auch per App und mit erweitertem Online-Angebot erreichbar sein sollen. Die Kassenärztliche Vereinigung wird zudem angeregt, alternative Versorgungsstrategien für unterversorgte Gebiete anzubieten – sprich: digitale Sprechstunden. Auch die Krankenkassen müssen etwas tun: Ab spätestens 2021 soll daher für alle Versicherte die elektronische Patientenakte eingeführt werden. Und zwar inklusive verbessertem Zugang, also nicht nur via Gesundheitskarte, sondern auch mit Tablet oder Smartphone. Auch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung soll ab 2021 digital vom Arzt an die Krankenkasse übermittelt werden. Ein weiterer Punkt sind Gesundheitsapps, Krankenkassen ist es ab sofort gestattet in Behandlungsprogrammen chronisch Kranker digitale Anwendungen zu nutzen.

Digitale-Versorgung-Gesetz (DGV)
Um Apps geht es unter anderem auch im DGV. Schon jetzt gibt es Apps, die bei der Dokumentation des Blutdrucks oder des Blutzuckers unterstützen sollen, Diätmaßnahmen für verschiedene Krankheitsbilder vorstellen oder sogar die Insulinzufuhr einer Pumpe steuern können. Und diese Apps soll es nun auch auf Rezept geben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erhält dabei die Rolle des Prüfers: Sicherheit, Qualität, Datenschutz und Nutzerfreundlichkeit der digitalen Anwendungen sollen bewertet werden. Am Ende soll dann eine Positivliste stehen, deren Apps für ein Jahr von der Gesetzlichen Krankenkasse erstattet werden. In dieser Zeit muss der Hersteller beweisen, dass sein Produkt die Versorgung verbessert. Innovationen sollen zudem gefördert werden. Der Bundesrat zeigte sich über die Rolle des BfArM kritisch: Die Bewertung gehe damit an einer Wirtschaftlichkeitsprüfung vorbei, zudem sei eine unabhängige Behörde die bessere Wahl. Andere Kritiker bemängeln die Regelungen zum Datenschutz. Zwar ist das Gesetz nicht zustimmungspflichtig und soll ab Januar 2020 in Kraft treten, doch die Stellungnahme des Bundesrates wird gemeinsam mit dem Gesetz zur Abstimmung in den Bundestag gehen. Auch die Apothekenvertretung meldete sich zu Wort, wenn auch aus anderen Gründen: Die Landesapothekerkammer Thüringen beispielsweise spricht sich für eine Ergänzung der Definition des Arzneimittelbegriffs im Arzneimittelgesetz aus, damit künftig auch digitale Anwendungen abgedeckt werden. Gibt es bald Rx- und non-Rx-Apps?

Anschluss an die Telematikinfrastruktur
Was es auf jeden Fall geben wird, sind elektronische Patientenakten, in die auch der Impf- oder Mutterpass integriert werden können. Und wenn ein Kunde mit einem großen, rosafarbenen QR-Code vor Ihnen steht, wissen Sie, das eRezept ist da. Die genaue Umsetzung kann zwar noch variieren, aber man kann es sich in etwa so vorstellen: Sie bekommen einen QR-Code vorgezeigt – sei dies auf einem Smartphone, Tablet oder ähnlichem – oder sie bekommen eine entsprechende Datei elektronisch übermittelt, scannen diese in Ihr Kassenprogramm ein und auf dem Desktop erscheint die bekannte Rezeptmaske mit der Medikation. Alles Weitere verläuft wie gewohnt. Und auch das „normale“ Papierrezept soll es vorerst geben, bis alle Vorgänge – vom Arzt bis in die Apotheke – eines Tages komplett papierlos verlaufen können. Dennoch sind zeitnah die Einrichtung neuer Schnittstellen und Softwareanpassungen nötig, um die künftige eRezept-Annahme realisieren zu können. Damit alles reibungslos 2021 starten kann, will das Bundesgesundheitsministerium alle Apotheken bis März 2020 dazu verpflichten, sich der Telematikinfrastruktur (TI) anzuschließen. Krankenhäuser sollen 2021 folgen, Arztpraxen, die sich bis März 2020 noch nicht angeschlossen haben, dürfen mit Honorarkürzungen rechnen. Für Apotheken sind (noch) keine Sanktionen geplant. Weitere Leistungserbringer (Hebammen, Physio- oder Ergotherapeuten) dürfen sich freiwillig anschließen.

Auf der TI, einer sicheren Datenautobahn, sollen sich Apotheken künftig digital mit Arztpraxen austauschen können. Dazu braucht es Konnektoren, Kartenlesegeräte, einen Zugangsdienst und Identifikationskarten zum Zugriff auf die Daten und Anwendungen. Doch Ende 2019 soll erst mit dem Testen begonnen werden (Versuchskaninchen sind 75 Ärzte und 15 Apotheker in der Region Westfalen-Lippe), läuft dann alles rund, kann mit dem bundesweiten Ausrollen begonnen werden. ABDA-IT-Chef Sören Friedrich sagte dazu gegenüber der DAZ: „Wir gehen davon aus, dass die gesamte Apothekerschaft bis Mitte 2022 komplett ausgestattet ist.“ Das Kabinett räumte daraufhin tatsächlich einen möglichen Fristaufschub ein, aber nur bis Ende September 2020. Und der digitale Medikationsplan? Der soll vorerst nicht im DGV erscheinen, doch anscheinend in Zukunft honoriert werden. Als Basis hierfür befürwortet die ABDA die Einführung einer allgemein zugänglichen Referenzdatenbank mit vereinheitlichten und patientenverständlichen Bezeichnungen für Wirkstoffe, Darreichungsformen und Wirkstärken. Eine einheitliche Wirkstoffcodierung wäre zudem wünschenswert, dann könne diese Datenbank nicht nur für den Medikationsplan sondern auch für die Wirkstoffverordnung genutzt werden.

Auch wenn sich viele Punkte futuristisch anhören, wer hätte denn vor 20 Jahren geglaubt, dass alle Menschen auf einmal mit einem internetfähigen Taschencomputer durch die Gegend laufen? Sicher ist allein Fortschritt des Fortschritt wegen nicht immer sinnvoll, doch viele Tools können eines garantieren: mehr Zeit für den Kunden. Wenn Sichtwahl einräumen, Lagerbestandskontrolle und manuelle Nachbestellung entfallen, bleibt mehr Beratungszeit übrig. Digitale Patientenakten könnten den Zugriff auf Daten gewähren, die in der Arzneimitteltherapiesicherheit sehr nützlich sein können, gerade in der Selbstmedikation. Die interdisziplinäre Kommunikation zwischen Arztpraxis, Heim, Krankenhaus, therapeutischen Einrichtungen und Apotheke könnte darüber hinaus ebenfalls profitieren. Ob der geplante bundesweite Anschluss an die Telematikinfrastruktur realistisch ist oder auch nicht, er kann zumindest als Startschuss verstanden werden. Wie kein anderer Gesundheitsminister zuvor drückt Jens Spahn auf das Digitalisierungs-Gaspedal. Mal sehen was wir in 20 Jahren sagen werden.

Farina Haase,
Apothekerin/Redaktion

Quellen:
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/terminservice-und-versorgungsgesetz.htmlhttps://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/themen/apotheke/digitalisierunghttps://www.aerzteblatt.de/nachrichten/101589/Bundestag-verabschiedet-Terminservice-und-Versorgungsgesetz
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/zulassung-von-apps/ https://www.pharmazeutische-zeitung.de/app-auf-rezept/
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/bundesrat-nimmt-stellung/ https://www.pharmazeutische-zeitung.de/abda-begruesst-spahns-digital-offensive/https://paritaet-alsopfleg.de/index.php/pflegerische-versorgung/7-gesetze-verordnungen-pflege/6505-dgv-bmg-referentenentwurf-fuer-ein-digitale-versorgung-gesetz-dgvhttps://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/05/24/telematikinfrastruktur-in-apotheken-wie-realistisch-ist-die-frist-des-bmg/chapter:2
https://digitales-gesundheitswesen.de/apotheken-telematikinfrastruktur/

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