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Repetitorium

ANTIDEPRESSIVA – TEIL 1

Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, innere Leere – Depressionen können Betroffene im Extremfall bis in den Selbstmord treiben. Neben psychologischer Hilfe und anderen nichtmedikamentösen Therapieverfahren sind Antidepressiva ein wichtiger Therapieanker.

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Jährlich leiden etwa sechs Millionen Menschen in Deutschland unter einer Depression und etwa 17 Prozent der Bevölkerung erkranken mindestens ein Mal in ihrem Leben an einer behandlungsbedürftigen Depression. Die in der Literatur angegebenen Zahlen schwanken stark, die Dunkelziffer ist hoch. Doch was ist eine Depression überhaupt?

Im ICD-10 , dem Katalog, nach dem Ärzte Krankheiten einzuteilen haben, werden depressive Störungen „als psychopathologische Syndrome von bestimmter Dauer innerhalb der diagnostischen Kategorie der ͵Affektiven Störungenʹ definiert“. Nicht von ungefähr werden Depressionen selbst von Hausärzten nur in etwa der Hälfte der Fälle erkannt.

Aber es existieren Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie beziehungsweise Nervenheilkunde, Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie beziehungsweise Ärzte mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie und -analyse sowie psychologische Psychotherapeuten, die auf derartige Erkrankungen spezialisiert sind und das entsprechende Diagnosewerkzeug erlernt haben.

Differenziert wird hierbei zwischen leichten, mittelgradigen und schweren depressiven Episoden oder auch einem Wechsel zwischen manischen und depressiven Phasen. Denn es existieren tatsächlich verschiedene Depressionsformen. Die meisten Betroffenen trifft die monopolare Depression, die einmalig im Leben auftreten, aber auch wiederkommen kann. Bei dieser Form der Gemütskrankheit treten auch bei Wiederholung immer „nur“ Depressionen (etwa innere Leere, Energieverlust, Angst, Selbstzweifel) auf.

Bei der sehr viel selteneren bipolaren Form kommen zur Depression „Manien“ hinzu, weshalb auch von manisch-depressiver Erkrankung gesprochen wird. Manische Phasen zeigen sich durch euphorische Hochgestimmtheit, übersteigerte Gereiztheit (Aggressivität), übersteigertes Redebedürfnis, häufig auch Kontrollverlust im Umgang mit Geld sowie Auftreten von gewissen Wahnvorstellungen (etwa Sendungsbewusstsein).

Symptome und Verschleierung Typische Hauptanzeichen einer unipolaren Depression sind niedergeschlagene Stimmung, Verlust von Interesse und Freude sowie Antriebslosigkeit und leichte Ermüdbarkeit. Zusätzlich kommen verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, geringes Selbstwertgefühl und -vertrauen, Schuld- und Wertlosgefühle, pessimistische Zukunftsperspektiven, verminderter Appetit, Schlafstörungen sowie im Extremfall Selbstmordgedanken zum Tragen.

» Bei einem depressiven Menschen sind immer Verhalten und Erleben verändert, aber auch Stoffwechselvorgänge im Gehirn.«

Das Vorliegen von Niedergeschlagenheit, Erschöpfung, Traurigkeit, Selbstzweifeln und Resignation sowie das Auftreten einzelner depressiver Symptome ist dennoch nicht gleichbedeutend mit dem Vorliegen einer depressiven Störung. Die genaue Diagnose benötigt schon allein deshalb Spezialisten, da bei vielen psychischen Störungen depressive Anzeichen auch eine Begleiterscheinung darstellen. Umgekehrt kann eine tatsächlich vorliegende Depression durch eine andere Erkrankung verdeckt werden.

So wird eine Depression, die sich vorwiegend durch körperliche Symptome wie Schmerzen äußert, gerne als „larvierte Depression“ bezeichnet, da die körperlichen Beschwerden die Depression maskieren (Maske = lateinisch: Larva). In der Praxis stellen viele Betroffene beim Hausarzt stärker körperliche Beschwerden in den Vordergrund, verlangen nach Kopfschmerz- oder Schlafmitteln. Über ihre Gefühle sprechen sie weniger, da psychische Erkrankungen immer noch mit vielen Vorurteilen belegt sind, was Betroffene zusätzlich unter Druck setzt.

Interessanterweise werden Depressionen im Durchschnitt doppelt so oft bei Frauen wie bei Männern diagnostiziert. Ob dies aber auf eine verstärkte genetische Disposition bei Frauen hindeutet, ob dies mit den unterschiedlichen sozialen Rollen von Mann und Frau zusammenhängt oder einfach daran liegt, dass Männer tendenziell seltener zum Arzt gehen, ist noch nicht abschließend entschlüsselt – genauso wenig wie die genauen Ursachen für eine Depressionsentstehung geklärt sind.

Viele Hypothesen Nach der seit längerem gängigen Monoamin-Hypothese ist eine Störung im Neurotransmitterhaushalt, also dem Botenstoffhaushalt im Gehirn verantwortlich. Letztere, allen voran Serotonin und Noradrenalin sowie Dopamin sind für die chemische Übertragung von Information zwischen den Neuronen, also Nervenzellen, im Gehirn verantwortlich. Bekannt ist, dass bei depressiven Menschen die Signalübertragung von Neurotransmittern wie Serotonin oder Noradrenalin im synaptischen Spalt reduziert ist.

Und tatsächlich verbessert eine medikamentöse Erhöhung der Konzentration von Monoaminen wie Serotonin im synaptischen Spalt die Symptomatik. Doch im Frühjahr 2013 veröffentlichten US-amerikanische Forscher im Fachjournal „Nature Neuroscience“ Ergebnisse, nach denen nicht die Serotoninkonzentration an sich, sondern das Ansprechen der exzitatorischen Synapsen auf Serotonin in Gehirnarealen, die für Gefühlsverarbeitung und kognitive Funktionen verantwortlich sind, der Grund seien. Zumindest konnten sie dies in Tierversuchen nachweisen.

Eine dritte Hypothese, erst kürzlich von den deutschen Forschern Prof. Dr. Johannes Kornhuber, Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg, und Prof. Dr. Erich Gulbins, Universität Duisburg-Essen, veröffentlicht, sieht hingegen eine Beeinträchtigung der Neubildung von Neuronen im Gehirn als Entstehungsursache an.

Nicht ein Neurotransmittermangel oder die mangelnde Aufnahme von Neurotransmittern an Synapsen, sondern schlichtweg eine reduzierte Neubildung von Neuronen im Gehirn wären danach ausschlaggebend. Sollte sich dies bestätigen, könnte dies die pharmakologische Therapie der Depression revolutionieren. Ganz neue medikamentöse Therapieansätze wären in Zukunft möglich.

Vielschichtige Therapie Derzeit existieren primär folgende Behandlungsansätze bei Depressionen, die ebenfalls vielschichtig und alles andere als einfach sind. Grundsätzlich richtet sich diese in erster Linie nach dem Schweregrad der Erkrankung. In der von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zusammen mit 28 weiteren Fachverbänden und zwei Patientenverbänden erarbeiteten aktuellen „Leitlinie zur unipolaren Depression“ wird ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten sowie gegebenenfalls Angehörigen über Symptome, Verlauf und Depressionsbehandlungsmöglichkeiten verlangt.

Neben Psychotherapie und nichtmedikamentösen somatischen Therapieverfahren (etwa Schlafentzugstherapie, Lichttherapie, Elektrokrampftherapie, körperliches Training, repetitive transkranielle Magnetstimulation, Ergotherapie) ist ein wesentlicher Baustein die Pharmakotherapie.
Bei nur leichten Depressionen und wenn Patienten nichts anderes wünschen, kann laut Leitlinie auch nur eine „aktiv-abwartende Begleitung“ sinnvoll sein.

Wenn nach zwei Wochen mit entsprechender Kontrolle keine Zustandsbesserung, sondern gar eine Verschlechterung eintritt, oder auch bei einer mittelgradigen Depression, soll mit einer spezifischen antidepressiven Arznei- oder Psychotherapie begonnen werden. Erst bei schweren Depressionen rät die Leitlinie zur medikamentös-psychotherapeutischen Kombinationstherapie.

Dass Abwarten bei einer leichten Depression hält so mancher Therapeut, etwa Prof. Dr. Ulrich Hegerl von der Psychiatrischen Universitätsklinik in Leipzig, allerdings für unausgegoren. Nach seiner Erfahrung und nach Nutzen-Risiko-Abwägung sei der relativ rasche Einsatz von Antidepressiva – auch schon bei leichter Depression – gerechtfertigt, so sein Credo.

Nur bei sehr schweren Depressionen, bei denen ambulante psychotherapeutische und medikamentöse Behandlungsmethoden nicht ausreichend greifen, wird die Betreuung im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, eventuell mit angeschlossener „Depressionsstation“ als spezieller Behandlungseinheit nötig. Dies gilt insbesondere bei akuter Suizidgefahr.

Antidepressiva im Überblick Sie wirken substanzabhängig in unterschiedlichem Maße depressionslösend, stimmungsaufhellend sowie psychomotorisch aktivierend oder dämpfend. So weit die Erstdefinition. Faktisch existieren diverse Gruppen:

  • Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA) beziehungsweise nichtselektive Monoamin-Wiederaufnahme-Hemmer, gerne auch in der Literatur als Rückaufnahme-Inhibitoren oder Reuptakehemmer (NSMRI) bezeichnet;
  • Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI);
  • Monoaminoxidase (MAO)-Hemmer (MAOI);
  • Selektive Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSNRI);
  • Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI);
  • Alpha-2-Rezeptor-Antagonisten;
  • Selektive Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer;
  • Melatonin-Rezeptor-Agonist (MT1/MT) und Serotonin 5-HT2C-Rezeptor-Antagonist (Agomelatin).

Darüber hinaus gibt es nicht klassifizierte Antidepressiva (Trazodon), Lithiumsalze und Phytopharmaka (Johanniskraut).

Weitere Substanzen, wie Benzodiazepine und Antipsychotika, bei denen es sich nicht um Antidepressiva im eigentlichen Sinne handelt, werden in der Praxis und auch bei spezifischen Situationen immer wieder eingesetzt. Bei bipolaren Depressionen können Lithium, Valproinsäure oder Carbamazepin die Stimmung der Betroffenen stabilisieren. Hier ist die vorbeugende Behandlung besonders wichtig.

Obwohl alle antidepressiven Mittel nach unterschiedlichen Wirkprinzipien arbeiten, haben sie letztlich alle einen ähnlichen Effekt: Salopp gesagt ist ihre Aufgabe, die anscheinend aus der Balance geratene chemische Übertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Da manche Mittel stärker beruhigen, andere eher angstlösend wirken, wiederum andere eher die Stimmung aufhellen oder die Antriebslosigkeit der Patienten beheben, richtet sich die Auswahl des Medikamentes danach, welche Störung beim Patienten im Vordergrund steht. Außerdem unterscheiden sich die einzelnen Substanzen im Neben- und Wechselwirkungsprofil deutlich, was je nach weiteren Vorerkrankungen von Betroffenen bei der Auswahl eine entscheidende Rolle spielt.

In den weiteren Repetitoriumsteilen werden die einzelnen Antidepressiva intensiver mit Wirkmechanismus, Dosierung und leider auch vorhandenen Nebenwirkungen beleuchtet.

ZUSATZ-INFORMATIONEN

Die Therapieüberwachung
Betroffener soll anfangs durch den behandelnden Arzt engmaschig ein Mal wöchentlich erfolgen, fordert die Depressions-Leitlinie (DGPPN). Alle Antidepressiva benötigen unter der üblichen Standarddosierung eine relativ lange Zeit von zwei bis vier Wochen, bis ein Wirkungseintritt merkbar wird. Diese Zeit gilt es also abzuwarten, bevor ein Therapieansprechen überhaupt beurteilt werden kann. Ist nach drei bis vier Wochen kein ausreichender Behandlungserfolg erkennbar, also eine Verringerung der depressiven Symptomatik um etwa 50 Prozent, wird eine Umstellung der Therapiestrategie als sinnvoll erachtet. Allerdings sollte zuvor kontrolliert werden, ob die Serumspiegel der betreffenden antidepressiven Medikamente tatsächlich im therapeutischen Bereich liegen und die Patienten die Medikamente überhaupt einnehmen. Das bekannte Stichwort lautet: Therapietreue!
 
Auch im Beratungsgespräch in der Apotheke ist wichtig, Betroffene deutlich darauf hinzuweisen: Antidepressiva können nur wirken, wenn sie regelmäßig genommen werden. Selbst bei Teilnahme an klinischen Studien war dies manchmal zu etwa 50 Prozent leider nicht der Fall! Hauptgründe sind wohl: Während die heilsame Wirkung der Medikamente erst nach Wochen zu spüren ist, setzen mögliche Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Schwindel, Frösteln, Herzjagen sofort nach Ersteinnahme ein.

Ferner haben Psychopharmaka jeglichen Coleurs allgemein einen schlechten Ruf. Sie machen angeblich abhängig, verändern die Persönlichkeit, dämpfen und übertünchen die Ursachen nur, statt sie zu bekämpfen, denken viele Laien. Für manche Mittel, wie Tranquilizer oder Aufputschmittel, mag das in einigen Aspekten zutreffen. Bei Antidepressiva jedoch gilt: Sie machen weder süchtig, noch stülpen sie dem Betroffenen ein anderes Wesen über oder beeinträchtigen Bewusstsein oder Verstand. Stattdessen versuchen sie dort anzusetzen, wo Forscher bisher die Wurzel der Depression sehen. Und klar ist: „Bei einem depressiven Menschen sind immer Verhalten und Erleben verändert, aber auch Stoffwechselvorgänge im Gehirn“, sagt Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Leipzig.

Ist eine wirkungsvolle Therapie gefunden, benötigen die Betroffenen dennoch alle paar Wochen eine ärztliche Überwachung. Klinische, technische und Laboruntersuchungen zum Ausschluss von Kontraindikationen und zur Aufdeckung unerwünschter Wirkungen sind regelmäßig erforderlich. Die Akutbehandlung dauert vier bis sechs Monate, die Erhaltungstherapie zur Stabilisierung des Behandlungserfolges (Verschlechterungsprophylaxe) dauert weitere vier bis neun Monate. Das senkt auch die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall deutlich. Anschließend werden Antidepressiva in der Regel über mehrere Wochen ausschleichend abgesetzt.

Und eine Tabelle mit Antidepressiva im Überblick finden Sie hier zum Download.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/13 ab Seite 124.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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