Kritik gehört fraglos zur Erziehung. Aber pauschales Schimpfen auf „diese Jugend“ gehört nicht dazu. © Highwaystarz-Photography / iStock / Getty Images Plus
Kritik gehört fraglos zur Erziehung. Aber pauschales Schimpfen auf „diese Jugend“ gehört nicht dazu. © Highwaystarz-Photography / iStock / Getty Images Plus

Juvenoia | Psychologie

ANGST VOR UND UM DIE JUGEND

„Wir waren früher nicht so“ oder die „Jugend von heute“ – Phrasen, die so alt sind wie die Menschheit – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn bereits Aristoteles beschwerte sich über die Faulheit und Respektlosigkeit junger Menschen zu seiner Zeit. Aber warum wird eigentlich immer auf die Jugend geschimpft?

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Stöbert man in der Geschichte finden sich verschiedene Textstellen in einer bereits 5000 Jahre andauernden Tradition über die nachkommende Generation zu meckern. Mit dabei: Sokrates und Platon – eigentlich interessant, ist der eingangs genannte Aristoteles doch Schüler der selbigen und somit der Folgegeneration zugehörig. Trotzdem hat er, nach eigenen Worten, keine Hoffnung mehr in die Zukunft der Zivilisation, schaut er sich die unerträgliche und unverantwortliche Jugend an. Er selbst sah sich natürlich als viel anständiger in seiner Jugendzeit. Und damit steht er nicht alleine da: Heute wird sich vor allem über die sogenannten Millennials beschwert. Damit ist die Generation Y gemeint, also alle Menschen, die zwischen 1980 und 2000 geboren wurden. Das „Y“ wird „why“ ausgesprochen und steht dabei für die generationsprägende Eigenschaft alles zu hinterfragen. Gut ausgebildet soll die Generation sein, aber auch mut-, plan- und entscheidungslos mit einem übersteigerten Hang zu digitaler Technik und Superfood.

Durch die Veränderungen befürchtet man seit jeher Sittenverfall und um sich greifende Respektlosigkeit. Der britische Althistoriker Matthew Shipton hat die Generationskonflikte im antiken Athen erforscht und kann direkt Parallelen nennen: „Alles wird immer schlechter, man lebt in der schlimmsten aller Zeiten und Kinder respektieren ihre Eltern nicht mehr“. Anscheinend geht es mit der Menschheit schon ziemlich lange bergab – zeitgeschichtlich gesehen.
Der Soziologe David Finkelohr hat eigens für dieses Phänomen ein Wort erfunden: Juvenoia. Es besteht aus den beiden Wortteilen „juvenil“ und „Paranoia“. Die Angst um und gleichzeitig vor der Jugend. „Wir ziehen gerne den Schluss, dass es schlecht um unsere Kinder steht. Und dass das wiederum unserer Gesellschaft schaden wird“, erklärt er seine Wortschöpfung. Er erklärt sich diese Angst mit der evolutionär bedingten Angst der Menschen vor Veränderungen. Immerhin lebt die Menschheit schon sehr lange in recht stabilen Verhältnissen, bestimmte Werte oder Institutionen gehören automatisch dazu. Der (ältere) Mensch versteht sich als deren Hüter und geht davon aus, dass die Jugend diese nicht respektieren oder gar untergraben könne.

Auch im 20. Jahrhundert finden sich in sozialwissenschaftlichen Werken kritische Einschätzungen, im besten Fall wird der unfertige Erwachsene als nie ernstzunehmend klassifiziert. Dabei kann man in der heutigen Zeit nicht mehr unbedingt von einer scharf abgrenzbaren Jugendkultur sprechen, das biologische Alter ist kein Grund mehr, sich nicht der Jugend und deren Idealen und Vorstellungen zugehörig zu fühlen. Soziologen sprechen dann von juvenilen Vergemeinschaftungen. Wenn die althergebrachte Vorstellung jedoch nicht mehr aktuell ist, worauf in Zukunft schimpfen?

Farina Haase,
Apothekerin, Volontärin

Quelle: www.spiegel.de

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