Wann ist es denn soweit?
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01. August 2020
Tokolyse Bei der Tokolyse handelt es sich um eine medikamentöse Wehenhemmung, die bei vorzeitigen muttermundwirksamen Wehen die Wehentätigkeit verringert, einer Frühgeburt vorbeugt und so die Geburt von 48 Stunden auf bis zu sieben Tage hinausschiebt. Eine Fortsetzung über 48 Stunden hinaus unterliegt einer sorgfältigen Risiko-Nutzen-Abwägung und bleibt eine Einzelfallentscheidung.
Allgemein darf die Tokolyse nur innerhalb bestimmter Grenzen und bei strenger Indikation durchgeführt werden. Sie ist ab der 24+0 SSW (24. Schwangerschaftswoche plus null Tage) bis spätestens der 34+0 SSW möglich. Sie ist bei spontaner vorzeitiger Wehentätigkeit indiziert, bei der es zu schmerzhaften, tastbaren, länger als 30 Sekunden dauernden Kontraktionen mit mehr als drei Kontraktionen in 30 Minuten kommt. Als Kontraindikationen für eine Tokolyse gelten kindliche Indikationen zur Schwangerschaftsbeendigung, wie intrauteriner Fruchttod oder letale fetale Fehlbildung. Als mütterliche Indikationen zur Schwangerschaftsbeendigung gelten eine schwere Präeklampsie/Eklampsie (alter Name Gestose oder Schwangerschaftsvergiftung gekennzeichnet durch Bluthochdruck, Eiweißausscheidung im Urin sowie Wasseransammlung im Gewebe) mit Notwendigkeit zur Entbindung, starke Blutungen der Mutter oder intrauterine Infektionen. Auch bei einer Schwangerschaftsdauer unter der 22+0 SSW und über der 34+0 SSW, bei Hinweisen für fetale Hypoxie, einer vorzeitigen Plazentalösung mit Notwendigkeit zur Schwangerschaftsbeendigung, einer vorzeitigen Zervixdilatation über vier Zentimeter wird die Tokolyse zur Verlängerung der Schwangerschaft nicht in Betracht gezogen. Diese Fälle zählen zu den geburtshilflichen Notfallsituationen und bedürfen anderer Maßnahmen.
Tokolytika Die Tokolyse, die verwendeten Wirkstoffe und mit dem Einsatz verbundene Risiken müssen zuvor mit der Patientin besprochen werden. Alle die im Folgenden mit * gekennzeichneten Arzneistoffe, sind in Deutschland für diese Indiktion nicht zugelassen und werden im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit nur nach vorheriger Aufklärung und dem ausdrücklichen Einverständnis der Patientin, im sogenannten Off-Label-Use, eingesetzt.
Fenoterol Als β-Sympathomimetikum führt es aufgrund seiner agonistischen Wirkung an den β-Rezeptoren der Uterusmuskulatur zu deren Erschlaffung. Leider weist die Substanz ein hohes kardiales Nebenwirkungspotenzial auf, sodass die Anwendung des Fertigarzneimittels, das für diese Indikation als Infusionslösung zur Verfügung steht, eingeschränkt ist. Bevorzugt wird eine Initialdosis von zwei Mikrogramm (μg) pro Minute per Infusion mit Steigerung um 0,8 μg alle 20 min auf eine Maximaldosis von vier μg/min. Die Eliminationshalbwertszeit von Fenoterol beträgt circa 22 min, sodass eine sichere Wehenhemmung nur bei Dauerinfusion möglich ist. In einer Notfall-Situation wird im Off-Label-Use Fenoterol in Form eines Dosieraerosol pulmonal appliziert. Die klassischen Nebenwirkungen bei Fenoterol-Verabreichung sind vordergründig die maternale Tachykardie, die Gefahr der Entwicklung eines Lungenödems in Kombination mit Glucocorticoiden sowie eine fetale Tachykardie und Einschränkung der Herzfrequenzvariabiltität. Außerdem kommt es nicht selten zu Übelkeit, Kopfschmerz, Tremor (Zittern), Schwitzen und innerer Unruhe. Gleichermaßen ist die Entstehung einer Hyperglykämie, Hypokaliämie, vor allem bei Gestosepatientinnen problematisch. Zu den Kontraindikationen von Fenoterol gehören Herzrhythmusstörungen oder Herzerkrankungen, schlecht eingestellter Diabetes, Hyperthyreose (Überfunktion der Schilddrüse) und der maternale Hypertonus (Bluthochdruck). Unter allen Tokolytika besteht bei Fenoterol der größte Überwachungsaufwand sowie die höchste Rate maternaler und fetaler Nebenwirkungen.
Atosiban Atosiban ist ein kompetitiver Antagonist am Oxytocin-Rezeptor im Uterus. Er hemmt die Wirkung des wehenauslösenden Hormons Oxytocin und verhindert damit die intrazelluläre Calciumaktivierung und Muskelkontraktion. Atosiban steh als Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung zur Verfügung. Die Initialdosis wird als Bolus von 6,75 Milligramm (mg) über eine Minute gespritzt. Die Aufsättigungsdosis beträgt 18 mg pro Stunde über drei Stunden mit einer Erhaltungsdosis von 300 μg/min oder 6 mg/h über 15 bis 45 Stunden mit 100 μg/min als Erhaltungsdosis. Als Nebenwirkung können Kopfschmerz, Übelkeit und Schwindel, meist, wenn die Bolusgabe zu schnell durchgeführt wird, auftreten. Bei dieser Substanz sind keine fetalen Nebenwirkungen bekannt. Kontraindikationen sind neben der Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff, der Einsatz vor der 24. oder nach der 33. vollendeten SSW, ein vorzeitiger Blasensprung (vor der 30. SSW) die gestörte Herzfrequenz des Fetus oder triftige Gründe für eine sofortige Entbindung. Diese sind vorgeburtliche Uterusblutungen, Eklampsie und schwere Praeeklampsie, der intrauterine Fruchttod, der Verdacht auf intrauterine Infektion, ein Placenta praevia (Plazentavorfall) oder ein Abruptio placentae (Plazentaablösung).
*Nifedipin Nifedipin gehört zu den Calcium-Kanal-Blockern und hemmt den Calcium-Einstrom in die Muskelzelle und zusätzlich die intrazelluläre Calcium-Freisetzung. Nifedipin wird oral mit einer Initialdosis von zehn mg alle 20 Minuten in bis zu vier Gaben verabreicht. Als Erhaltungsdosis gelten 20 mg oral alle vier bis acht Stunden oder 30 beziehungsweise60 mg Nifedipin in retardierter Form zwei bis dreimal täglich. Zu berücksichtigen ist die Tagesmaximaldosis von insgesamt 150 mg Nifedipin. Als Nebenwirkung kann es aufgrund der peripheren Vasodilatation zu Blutdruckabfall, Flush (Gesichtsrötung), Kopfschmerz und Palpitationen (Herzklopfen) mit Übelkeit kommen. In der genannten Dosierung sind keine fetalen Nebenwirkungen bekannt. Kontraindikation besteht bei bekannter Überempfindlichkeit gegen den Arzneistoff. Besondere Vorsicht besteht bei Schwangeren mit linksventrikulärer Dysfunktion (Linksherzschädigung) und kongestiven Herzerkrankungen (Vergrößerung der Herzkammer). Eine gleichzeitige Magnesium-Therapie zeigt starke synergistische Effekte, die bis zur Atemlähmung führen können.
*Nitroglycerin Auch Nitroglycerin wird in der Tokolyse eingesetzt. Bei dem Wirkstoff handelt es sich um ein klassisches Prodrug, das erst durch Biotransformation in seine eigentliche Wirksubstanz, das NO (Stickstoffmonoxid) umgewandelt werden muss. NO bewirkt eine Abnahme der intrazellulären Calciumkonzentration und führt so zu einer Erniedrigung des Muskeltonus des Myometriums. Angewendet wird Nitroglycerin in Form eines TTS (Transdermales Therapeutisches Systems), das eine kontinuierliche Wirkstofffreisetzung garantiert. Initial wird ein Nitroglycerin-Pflaster mit 10 mg und falls notwendig auch ein zweites Pflaster bevorzugt auf Bauch oder Oberschenkel geklebt, wobei ein Pflasterwechsel alle 24 Stunden notwendig ist. Bei Wehenfreiheit wird unter Dosisreduktion ausschleichend dosiert. Die klassische Nebenwirkung ist der „Nitrat“-Kopfschmerz zu Therapiebeginn. Diese häufig auftretenden, heftigen Kopfschmerzen sind auf die Gefäßdilatation zurückzuführen. Selten wird über Muskel- und Gelenkbeschwerden sowie Hautrötungen an der Pflasterklebestelle berichtet. Eine vorübergehend auftretende Hypotonie mit orthostatischer Dysregulation und Schwindel ist möglich. Auch hier sind keine fetalen Nebenwirkungen bekannt. Kontraindikation sind, neben bekannter Überempfindlichkeit gegen den Arzneistoff, Hypotonie und orthostatische Dysregulation und eine bekannte Anamnese für Migräne oder Kopfschmerzen.
*Indometacin Als Prostaglandin-Synthese-Hemmer wird Indometacin zur Senkung der Prostaglandin-Konzentration eingesetzt und die Prostaglandin-Wirkung am Muttermund und Uterus unterbleibt. Die Initialdosis von Indometacin beträgt 50 bis 100 mg bei rektaler oder oraler Applikation. Zur Dosiserhaltung werden für maximal 48 Stunden 25 bis 50 mg alle vier bis acht Stunden verabreicht. Typische Nebenwirkungen sind maternale Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, außerdem ein Oligohydramnion (Unterschreitung der Fruchtwassermenge von 200 bis 500 ml) sowie der vorzeitige Verschluss des Ductus arteriosus Botalli (Gefäßverbindung im fetalen Blutkreislauf zwischen Aorta und Lungenarterie, der sich erst nach der Geburt verschließen soll). Als Kontraindikation gelten gastrointestinale Geschwüre, Asthma bronchiale, Koronarerkrankungen, fetale Nieren- oder Herzanomalien, Oligohydramnion und der Zustand vor der 32. SSW.
*Magnesiumsulfat Als Salz kommt es in verschiedenen Fertigarzneimittel vor, die zur Magnesium-Substitution eingesetzt werden. Auch als Reinsubstanz wird es im analytischem Bereich von Apotheken und chemischen Laboren verwendet. Als sogenanntes „Bittersalz“ findet es als salinisches Laxans Verwendung. Für die Tokolyse kommt es als Infusionslösung in der Stärke von zwei Millimol pro Liter (mmol/l) zum Einsatz. Magnesium verdrängt kompetitiv Calcium an den spannungsabhängigen Calciumkanälen der myometralen Zellmembran, somit wird die intrazelluläre Calcium-Konzentration gesenkt. Magnesiumsulfat wirkt nicht spezifisch, sondern an allen Calciumkanälen. Eine orale Magnesiumgabe reicht nicht aus für eine Tokolyse. Eine hochdosierte Infusion von Magnesiumsulfat kann bei circa 70 Prozent der Schwangeren vorzeitige Wehen hemmen, jedoch eine Frühgeburt nicht verhindern. Die Dosierung bewegt sich hier im Grammbereich, initial werden vier Gramm als Bolus i.v. verabreicht. Zur Erhaltung werden ein bis zwei Gramm pro Stunde bis maximal 48 g Gesamtdosis verabreicht. Die Liste der Nebenwirkungen beinhaltet das Auftreten von Lethargie und mentalen Defiziten, Reflexverlust bis hin zur Atemdepression, Lungenödem und eine massive Vasodilatation mit Blutdruckabfall. Neben Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Flush kann es zu fetaler Bradykardie, Herzfrequenzvariabilitätsverlust und erhöhter perinataler Mortalität bei mehr als 48 g Gesamtdosis kommen. Kontraindikationen sind Myasthenia gravis, bestehende Myokarderkrankungen und eingeschränkte Nierenfunktion. Neuere Studien bestätigen den bereits seit Jahrzehnten zur Prophylaxe von epileptischen Anfällen praktizierten Einsatz von Magnesiumsulfat, der bei unmittelbar bevorstehender Frühgeburt das kindliche Gehirn schützt.