Krankheiten im Kindesalter
WINTERZEIT IST VIRENZEIT
Seite 1/1 4 Minuten
Als wäre die Corona-Pandemie nicht schon genug – mit Herbstbeginn stehen nun auch die üblichen Erkältungserreger und Influenzaviren wieder in den Startlöchern. Während gewöhnliche Erkältungen und grippale Infekte zwar zweifellos unangenehm sind, sind sie jedoch mit Sicherheit eher ungefährlich. Nicht so die echte Influenza: Sie kann auch bei Kindern schwere Verläufe mit ernstzunehmenden Komplikationen hervorrufen, die eine Einweisung ins Krankenhaus erforderlich machen können. Todesfälle treffen zwar ganz überwiegend ältere Menschen, sind aber auch bei Kindern nicht ausgeschlossen. Schutz bietet die jährliche Grippeimpfung, die für Kinder mit erhöhtem Risiko empfohlen wird.
Multiplikatoren Zum einen ist das Immunsystem bei Kindern noch nicht voll ausgereift, zum anderen verbringen sie in Krabbelstuben, Kindergärten und Schulen viel Zeit mit zahlreichen Altersgenossen. Die Folgen: Sie stecken sich gegenseitig an und tragen die Infektionen in ihre Familien. Man schätzt, dass sich etwa 20 bis 30 Prozent aller Kinder während einer Saison mit der Influenza infizieren. Mit Blick auf die aktuelle Pandemie-Situation wird zwar in diesem Winter voraussichtlich verstärkt auf Hygienemaßnahmen geachtet werden wie beispielsweise häufiges Lüften, Abstand halten, Hände nicht in den Mund … Jedoch sind diese Empfehlungen gerade mit jüngeren Kindern nur begrenzt kompatibel. Eine Grippewelle ist daher auch in diesem Winter zu erwarten. Normalerweise liegt der Höhepunkt in den Monaten Januar bis März.
Wandelbare Viren Ausgelöst wird die echte Virusgrippe von Influenza-Viren. Sie kommen weltweit vor und sind bekannt dafür, dass sie sich ständig verändern. Prinzipiell lassen sie sich in die Typen A und B unterteilen. Anhand von zwei Oberflächenstrukturen, dem Hämagglutinin (HA) und der Neuraminidase (NA), unterscheiden sich die Viren des Typ A wiederum in Subtypen wie beispielsweise A(H1N1) oder A(H3N2). Vom Typ B existieren zwei genetisch unterschiedliche Linien, die als Yamagata-Linie und als Victoria-Linie bezeichnet werden.
Übertragen werden Influenza-Viren hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion, also vor allem beim Husten und Niesen, aber auch beim Händeschütteln, wenn danach mit der Hand die Schleimhäute in Mund oder Nase berührt werden. Die Inkubationszeit ist kurz – bereits nach ein bis zwei Tagen erkrankt der Neu-Infizierte. Und: Er kann bereits weitere Menschen anstecken, bevor die Krankheit ausbricht.
Schwere Komplikationen durch Influenza sind bei Kindern selten. Trotzdem sollten Kinder mit chronischen Erkrankungen oder Immundefizienz im Herbst geimpft werden.
Plötzlicher BeginnWährend bei Erkältungen die Symptome meist langsam zunehmen („drei Tage kommt sie, drei Tage bleibt sie, ...“), fühlt man sich bei einer echten Grippe innerhalb von wenigen Stunden plötzlich richtig krank. Für Erwachsene und auch ältere Kinder und Jugendliche typisch sind hohes Fieber, Husten, Halsschmerzen, Kopf- und Gliederschmerzen, Schweißausbrüche und vielleicht auch eine laufende Nase. Je jünger die Kinder sind, desto unspezifischer sind die Symptome und es können auch Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall auftreten. Die Dauer der akuten Erkrankung beträgt ein bis zwei Wochen.
Jedoch können besonders der Husten und eine allgemeine Leistungsschwäche mitunter mehrere Wochen anhalten. Man geht davon aus, dass etwa ein Drittel der Infizierten das volle Krankheitsbild entwickelt, etwa ein Drittel erkrankt leichter und ein Drittel bleibt ohne Symptome. Bei der überwiegenden Mehrheit der Kinder heilt die Grippe von selbst aus. Es kann aber auch zu schweren Verläufen mit Komplikationen kommen. Dazu zählen Pneumonien, die durch das Influenzavirus selbst oder durch eine bakterielle Superinfektion, etwa durch Pneumokokken, Staphylokokken oder Haemophilus influenzae, ausgelöst werden können.
Außerdem besteht das Risiko, dass sich eine bereits bestehende Lungenerkrankung verschlechtert. Insbesondere bei Kindern können auch eine Mittelohrentzündung und bei Klein- kindern Pseudo-Krupp-Anfälle auftreten. Schließlich kann das Influenza-Virus auf andere Organe übergreifen und zu Myositis, Rhabdomyolyse, Enzephalitis oder Myokarditis führen. Besonders gefährdet für schwere Verläufe sind Kinder, die bereits eine chronische Grunderkrankung haben. Es wird geschätzt, dass jeden Winter mehrere Hunderttausend Kinder Influenza-bedingt einen Arzt aufsuchen, mehrere Tausend Kinder, darunter besonders Säuglinge und Kleinkinder, müssen im Krankenhaus behandelt werden. Todesfälle sind sehr selten, treten aber auf.
Diagnose und Therapie Weist ein Kind das volle Bild einer Grippe auf und liegt die Erkrankung mitten in einer Grippe-Saison, ist die Diagnose allein anhand der Symptome meist eindeutig. Weniger klar ist die Situation, wenn der Patient nicht alle oder unspezifische Symptome zeigt und/oder nur moderat erkrankt ist. Hier ist eine sichere Abgrenzung von anderen Erregern nur mittels Labortest möglich. Allerdings werden diese nur bei einer kleinen Minderheit der Patienten durchgeführt, zum Beispiel bei einem Risiko für einen schweren Verlauf. Bei den meisten jungen Patienten hätte das Ergebnis ohnehin keine therapeutischen Konsequenzen – die Behandlung besteht so oder so aus Bettruhe und gegebenenfalls der Einnahme von fiebersenkenden Mitteln. Bakterielle Superinfektionen werden mit Antibiotika behandelt. Bei Risikopatienten kann die Gabe von Neuraminidase-Hemmern sinnvoll sein.
GrippeimpfungDa sich Influenzaviren ständig verändern, versucht die Weltgesundheitsorganisation jedes Jahr vorauszusagen, welche Viren in der kommenden Saison zirkulieren werden – auf dieser Basis werden sodann jedes Jahr neue, angepasste Impfstoffe produziert. Einige Länder empfehlen die jährliche Grippeimpfung für alle Kinder. In Deutschland wird darüber seit einigen Jahren diskutiert – bislang beschränkt sich die Empfehlung hierzulande aber auf Kinder mit chronischen Krankheiten, beispielsweise der Atemwege (z. B. Asthma), chronische Herzkreislauf-, Leber und Nierenkrankheiten, Diabetes und andere Stoffwechselkrankheiten oder Immundefizienz.
Die Impfung kann klassisch als Injektion erfolgen. Für Kinder und Jugendliche zwischen zwei und 17 Jahren existiert daneben auch eine Impfstoff, der wie ein Nasenspray appliziert wird. Bis der Impfschutz aufgebaut ist, dauert es circa zwei Wochen. Der optimale Zeitpunkt für eine Impfung ist Oktober oder November, sie kann aber bei Bedarf auch noch später erfolgen. Ärzte und Gesundheitspolitiker haben dazu aufgerufen, dieses Jahr die Grippeimpfung besonders großzügig in Anspruch zu nehmen, damit die Krankenhäuser nicht gleichzeitig mit der Corona-Pandemie und einer größeren Grippewelle belastet werden. Die STIKO weist darauf hin, dass der größte Effekt zu erzielen sei, wenn besonders die Impfquoten in den Risikogruppen gesteigert würden.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/2020 ab Seite 108.
Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin