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Repetitorium

VENENERKRANKUNGEN – TEIL 1

Die Apotheke ist bei Venenproblemen eine wichtige Anlaufstelle. Neben der eigentlichen Grunderkrankung und den verschiedenen Krankheitsbildern sind für viele Patienten auch Präventionsmöglichkeiten und Verhaltensänderungen sehr wesentlich.

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Eine wahre Volkskrankheit! Neun von zehn deutschen Erwachsenen zeigen zumindest leichte Veränderungen der Beinvenen, meist Besenreiser. 20 Prozent leiden sogar unter einem behandlungsbedürftigen Krampfaderleiden. Werden Patienten mit Thrombosen und chronischen Wunden hinzugenommen, steigt die Zahl der Betroffenen gar auf etwa 30 Prozent der Bevölkerung, so Prof. Dr. med. Stefanie Reich-Schupke, die seit Januar 2017 den europaweit einzigen Lehrstuhl für Phlebologie, angesiedelt am Venenzentrum der Ruhr-Universität Bochum, einem der größten Gefäßzentren in Deutschland, leitet. Hinzu kommt: Mit steigendem Alter nehmen Häufigkeit und Schwergrad der Venenleiden zu. Der Erkrankungsgipfel liegt bei Frauen bereits zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr, bei Männern hingegen zwischen dem 70. und 80. Lebensjahr. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind enorm.

Allgemeine Risikofaktoren Infolge natürlicher Alterungsprozesse, aber auch durch unsere „moderne“ Lebensweise mit teils ungesunder Ernährung, daraus resultierendem Übergewicht oder Adipositas, teils wenig Bewegung (auch kurzfristig bei Langstreckenflügen) werden die Venen in ihrer Funktion geschwächt. Das Alter wirkt sich bei beiden Geschlechtern aus, bei Frauen allerdings schon in jüngeren Jahren. Hier kommen hormonelle Risiken hinzu: Schwangerschaft, Wochenbett, Einnahme von Sexualhormonen, etwa der „Pille“ oder Hormonersatztherapie – nicht von ungefähr sind gerade viele Frauen betroffen.

Nicht zu vergessen – gerade bei Blutgerinnseln (Thrombosen) besteht auch die Möglichkeit einer genetischen Veranlagung, beispielsweise einer angeborenen oder erworbenen Störung des Gerinnungssystems. Familiäre Vorbelastung sollte Menschen mit Venenproblemen also noch deutlicher für die Thematik sensibilisieren. Es gibt akute und chronische Venenkrankheiten. Doch zunächst: Wie funktionieren die Venen überhaupt?

Unser Venensystem Die Blutgefäße – Arterien, Venen und dazwischen die Kapillaren als feinste Verästelungen der Arterien und Venen, die das arterielle und venöse Gefäßsystem verbinden – gehören zu den wichtigsten Transportwegen des menschlichen Körpers. Über den Blutkreislauf werden alle Gewebe des menschlichen Körpers ernährt, also mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt sowie Stoffwechselprodukte abtransportiert. Die Arterien leiten das sauerstoffreiche Blut vom Herz in die Organe und versorgen das Gewebe mit Nährstoffen.

Die Venen sammeln das sauerstoffarme Blut und transportieren es zum Herzen zurück. Im Beinbereich existieren hierfür oberflächliche Venen, die das Blut der Haut und des Unterhautgewebes sammeln und über Verbindungsvenen (Perforansvenen) den tiefen Beinvenen zukommen lassen. Von dort gelangt das Blut zunächst ins Herz und dann in die Lunge, wo es wieder mit Sauerstoff angereichert wird und seinen Kreislauf erneut beginnt. Ein kleiner Teil der ins Gewebe abgegebenen Flüssigkeit wird auch über das Lymphgefäßsystem abtransportiert und in die Venen eingespeist.

Dabei gibt es mehr Venen als Arterien. Etwa 60 bis 85 Prozent des gesamten Blutvolumens befinden sich ständig im venösen System, die elastischen Venen dienen somit auch als Blutspeicher. Die drei Arten von Blutgefäßen sind ihrer Aufgabe gemäß unterschiedlich konstruiert: Die Kapillaren sind zart und porös, um Nährstoffe und Sauerstoff ins Gewebe abzugeben und Stoffwechselendprodukte wieder daraus aufzunehmen. Die Arterien müssen dem hohen Druck des Blutes vom Herzen weg gut standhalten können.

Und die Konstruktion der Venen muss den Rücktransport aus den peripheren, herzfernen Körperregionen gegen die Schwerkraft zum Herzen zurück bewältigen. Und das in einem Niederdrucksystem, damit das Blut überhaupt aus dem feinen Kapillarsystem zurückströmt. In stehender Position muss dabei eine Flüssigkeitssäule überwunden werden, die der Höhe von den Füßen bis zum Herzen entspricht. Das kommt etwa dem hydrostatischen Druck einer Wassersäule von 1,5 Metern Höhe gleich. Venen sind deshalb Hochleistungsgefäße. Damit das Blut nicht durch die Schwerkraft in den Beinen versackt, verfügen die Venen über ein intelligentes Transportsystem, bestehend aus Venenklappen und Muskelpumpen.

Die mechanische Unterstützung Bindegewebszüge zum umliegenden Gewebe halten die Venen offen und den Druck entsprechend niedrig. Die Gefäßwände sind viel lockerer und dünner aufgebaut als bei den Arterien. Der größere Durchmesser der Kapazitätsgefäße sorgt einerseits für das größere Fassungsvermögen, erschwert aber andererseits die Transportarbeit, die im Stehen entgegen der Schwerkraft erfolgen muss. Um eine Strömungsumkehr zu verhindern, existieren Venenklappen, die als „Ventile“ funktionieren und den Blutrückfluss Richtung Kapillaren blockieren.

Venenklappen sind Falten des innenliegenden Gefäßendothels, durch Kollagenfasern versteift. Durch die Sogwirkung des Herzens öffnen sich die Venenklappen, das Blut kann passieren. In der anschließenden Phase, wenn das Blut durch die Schwerkraft wieder den Rückfluss starten würde, klappen die Ausstülpungen auf und versperren den Weg. Die Klappenanzahl je Vene ist unterschiedlich. Sie beträgt in der oberflächlichen langen Vena saphena („große Rosenader“, größte Hautvene der unteren Extremitäten) bis zu 20 an der Zahl, in der kurzen Vena saphena (unterhalb des Knies) kommen immerhin noch bis zu zwölf Klappen vor, die tiefliegende Vena femoralis hingegen hat nur zwei Klappen. Und lediglich Gehirn, Leber, Niere sowie die Rumpfregion oberhalb des Herzens kommen ganz ohne Venenklappen aus.

Die Muskelpumpe Da die Venenklappen quasi die Fließrichtung vorgeben, befördert alles, was von außen rhythmisch auf das Venensystem drückt, das Blut in Richtung Herz. Wichtigster Handlanger des Venensystems sind deshalb die Muskeln. Bei angespannten Muskeln werden die Muskelbäuche dicker und drücken damit auf die Venenwand. Die Vene wird komprimiert, das Blut zum Herzen zurückgepresst. In der Entspannungsphase des Muskels lässt der Druck wieder nach, es entsteht ein Sog. Dadurch wird das Blut aus den oberflächlichen Venen in die tiefer liegenden Venen gesaugt.

Das abwechselnde An- und Entspannen der Fuß- und Beinmuskulatur (Wadenmuskulatur) beim Gehen verursacht somit in den Venen die gewünschte Pump- und Sogwirkung, die den Blutfluss von den Beinen zum Herzen sinnvoll unterstützt. Im Brust und Bauchraum sind es entsprechend Zwerchfellatmung, Lungenausdehnung beim Atmen, Herzschlag, Magen- und vor allem Darmbewegungen, die auf die Venen drücken und damit den Rückfluss unterstützen.

Dem Körper bleibt damit der extrem hohe Aufwand, der für einen aktiven Rücktransport notwendig wäre, erspart. Gleichzeitig muss aber bedacht werden: Fehlt die mechanische Unterstützung, etwa bei Bewegungsarmut, langem Stehen ohne Gehen, bei Bettlägerigkeit, Darmträgheit oder flacher Atmung, dann leidet der venöse Rückfluss und mit ihm insgesamt das Kreislaufsystem deutlich.

Häufige Erkrankungen Venenerkrankungen können natürlich theoretisch alle Venen des Körpers betreffen. Praktisch betrifft es prozentual jedoch zum überwiegenden Teil die Beine. Unterschieden wird dabei zwischen akuten und chronischen Venenerkrankungen.

Interessante Internet-Adressen:

https://www.phlebology-guide.com – Online-Gesundheitsinformationen zur Phlebologie des Anbieters Deutscher Verlag für Gesundheitsinformation GmbH (DVFGI); enthält Arzt-Suche, aber auch weitreichende Informationen zu Venenerkrankungen, Diagnose, Therapie

https://www.phlebology.de – offizielle Website der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie e.V. (DGP); Ärztesuche, Patienteninformationen, aktuelle News, Veranstaltungen

www.venenliga.de – Website der Deutschen Venen Liga e.V., die es sich zur Aufgabe gemacht hat über die Volkskrankheit Venenleiden (Krampfadern, Besenreiser und Co.) aufzuklären.

www.dgvenen.de – Homepage der Deutschen Gesellschaft Venen e.V. (DGV), einer bundesweit geneimnützigen Organisation von Betroffenen, Therapeuten und Ärzten im Kampf gegen die Problematik Venenerkrankungen.

www.venenzentrum-uniklinik.de/wir/stiftungsprofessur.shtml – europaweit einziger Lehrstuhl für Phlebologie (einer Stiftungsprofessur seit 01/17), Prof. Dr. med. Stefanie Reich-Schupke, angesiedelt an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum, einem der größten Venenzentren Deutschlands.

www.venen.de/startseite/ – Website der Capio Mosel-Eifel-Klinik, einer international renommierten, seit 1982 auf Venenerkrankungen spezialisierten Fachklinik mit Sitz in Bad Bertrich *Kleine Auswahl / Kein Vollständigkeitsanspruch

Akute Venenkrankheiten Hierzu gehören insbesondere die Entzündung eines venösen Blutgefäßes (Venenentzündung, Phlebitis) sowie die Blutgerinnselbildung (Venenthrombose). Am häufigsten treten Thrombosen in den tiefen Bein- und Beckenvenen auf, sie können aber auch in anderen Körperregionen vorkommen. Thrombosen gehen meist mit Entzündungen einher (Thrombophlebitis), da der Organismus versucht, den Thrombus selbst wieder abzubauen.

Unbehandelt dehnt sich eine akute Beinvenenthrombose aber in etwa der Hälfte der Fälle weiter aus, was nicht nur die Abflussbehinderung weiter verstärkt, sondern auch das Risiko einer Lungenembolie erhöht, die allerdings in 85 bis 90 Prozent der Fälle keine Symptome verursacht. Ohne adäquate (Nach-)Behandlung tritt nach einer Beinvenenthrombose in gut der Hälfte der Fälle auch ein Postthrombotisches Syndrom mit Ödem (Flüssigkeitsansammlung im Gewebe) und entsprechenden Hautveränderungen auf.

Chronische Venenkrankheiten Lösen sich Thromben in den Beinvenen nicht wieder komplett auf, können sich Umgehungsgefäße entwickeln, die meist als Varizen (Krampfadern) in Erscheinung treten können. Der Begriff „Krampfader“ geht dabei auf den mittelhochdeutschen Begriff „Krumpader“ oder „Krummader“ zurück und hat mit eigentlichen Krämpfen nichts zu tun. Eine Varikose (Krampfaderbildung) findet sich bei einem großen Teil der Bevölkerung, sie sind das häufigste Venenleiden.

Allerdings leiden die meisten lediglich an ästhetisch bedeutsamen Venenerweiterungen in oberen Hautschichten, die, da sie bläulich-rötlich durch die Haut schimmern, eben auch als kosmetisches Problem wahrgenommen werden. Dazu zählen einerseits Teleangiektasien, das sind weitgestellte Kapillargefäße der Haut, Besenreiser als erste Anzeichen einer Venenschwäche und kleinste Form von Varizen, aber auch retikuläre Venen, meist netzartige Venengeflächte mit bis zu drei Millimeter Durchmesser, häufig an der Außenseite des Beines.

Im Gegensatz dazu: Gerade bei schwachen Gefäßwänden oder wenn größere, tieferliegende Venen durch Blutrückstau gedehnt werden, können die Venenklappen häufig nicht mehr richtig schließen. Die Ventilfunktion ist deutlich eingeschränkt, es kommt zu Blut-Verwirbelungen und weiterer Gefäßwand-Dehnung, der Stauungsprozess wird deutlich gefördert. Die Folge sind deutliche, stärkere Varizen (Krampfadern), die nicht nur „geschlängelt aussehen“ oder auch als knotenförmige Erhebungen in der Haut auffallen, sondern die auch den Gesamtkreislauf ernsthaft belasten können.

Durch den Verlust der Klappenfunktion entwickelt sich bei aufrechter Körperhaltung eine deutliche venöse Stauung im Beinbereich. „Blut sackt in die Beine“, „Beine schwellen an“ sind typische geschilderte Symptome. Dies führt auf Dauer aber nicht nur zu subjektiven Beschwerden wie Schwere- und Spannungsgefühl. Etwa 10 Prozent der Menschen leiden unter einer richtigen Klappeninsuffizienz. Diese Klappeninsuffizienz ist eine der Ursachen für einen chronisch-venösen Hochdruck. Dieser wiederum führt zu einer venösen Stauung und es bilden sich leicht Ödeme, dadurch kommt zu deutlichen Hautveränderungen.

Sowohl Krampfadern als auch tiefe Beinvenenthrombosen, aber auch ein erworbener, manchmal auch angeborener Venenklappendefekt können zu einer Chronisch venösen Insuffizienz (CVI) führen. Diese schwere Form der Venenerkrankung entwickelt sich in der Regel langsam und über Jahre, manchmal Jahrzehnte hinweg. Nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, bilden sich Ekzeme und offene Stellen, die als Ulcus cruris venosum, also Ulcus cruris (Unterschenkelgeschwür, „offenes Bein“) infolge eines fortgeschrittenen Venenleidens bezeichnet werden. Unter einer CVI leiden in Deutschland schätzungsweise fünf Millionen Menschen, über 80 000 haben ein „offenes Bein“.

Indikationsstellung Die Diagnostik und in behandlungsbedürftigen Fällen auch die Therapie bei Venenerkrankungen erfolgt über Fachärzte unterschiedlicher Disziplinen. Primäre Anlaufstelle sind zunächst meist die hausärztlich tätigen Allgemeinmediziner und Internisten. Je nach Beschwerden und Erkrankungszustand werden anschließend Dermatologen, Angiologen, Chirurgen und Gefäßchirurgen kontaktiert. Die Zusatzbezeichnung Phlebologe können insbesondere Allgemeinmediziner, Chirurgen oder Dermatologen nach eineinhalbjähriger Weiterbildung erwerben.

Diagnostisch zum Einsatz kommen neben ausgedehnter Anamnesestellung (mit Symptomschilderung, dem Vorliegen bekannter Risikofaktoren) und körperlicher Untersuchung zahlreiche weitere Verfahren. Zu den wichtigsten diagnostischen Verfahren gehört dabei die Dopplersonografie als spezielle Form der Ultraschalluntersuchung, mit der der Blutfluss durch die Blutgefäße hörbar gemacht werden kann und sehr gut feststellbar ist, ob die Flussgeschwindigkeit des Blutes und die Blutfluss-Richtung in Ordnung sind.

Speziellere bildgebende Verfahren sind je nach Erkrankungsbild im Einzelfall noch: CT-Angiografie (CTA, Computertomografische-Angiografie mit dessen Hilfe Blutgefäße im Körper dargestellt werden können), MR-Angiografie (MRA, Magnetresonanz-Angiografie mit Darstellung der Blutgefäße mithilfe der Magnetresonanz, also dreidimensional und ohne Röntgenstrahlen-Belastung), Fotoplethysmografie (PPG oder auch Licht-Reflexions-Rheografie genannt, ein Messverfahren mit Infrarotlicht, das an Blutgefäßen unterschiedlich gestreut wird, deckt Gefäßveränderungen auf) oder heutzutage nicht mehr so häufig verwandt die Phlebografie (radiologisches Röntgen-Diagnoseverfahren nach vorheriger Kontrastmittel-Spritzung).

Auch Venendruckmessung (VDM) nach Punktion einer Fuß- beziehungsweise Unterschenkelvene in Ruhe und unter Aktivierung der Gelenk- und Muskelpumpe ist möglich. Die Erkrankungsbilder im Einzelnen samt therapeutischer Möglichkeiten – auch für die Apotheke – sind Teil der weiteren Repetitoriumsteile.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/17 ab Seite 86.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin/Fach-Journalistin

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