Singvögel | Zuckerrezeptoren
WIE DIE SÜSSSCHNÄBEL IHRE ÖKOLOGISCHE NISCHE FANDEN
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Wissenschaftler der Universität Tokio nahmen sich dieser Frage hingebungsvoll an. Es war ihnen ein Rätsel, dass wir Menschen bitter, süß, salzig, sauer und umami schmecken können und damit Nahrhaftes von Giftigem unterscheiden – unsere gefiederten Freunde aber eben den speziellen Rezeptor für Süßes namens T1R2 nicht besitzen und damit völlig unbeeindruckt von noch so leckerem Blütenhonig sein dürften.
Singvögel lieben es süß
Sind sie aber nicht. Selbst Körnerfresser, die nur gelegentlich Früchte oder Nektar verzehren, bevorzugen in Versuchsexperimenten eindeutig Zuckerwasser gegenüber normalen Waser. „Das war der erste Hinweis darauf, dass wir uns bei der Suche nach den Ursprüngen des süßen Geschmackssinns auf eine Reihe von Singvögeln konzentrieren sollten und nicht nur auf Nektarspezialisten“, erklärte Co-Autorin Maude Baldwin vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen.
Das Team um Yasuka Toda aus Tokio hat nun eine Lösung für dieses Rätsel gefunden. Demnach können Singvögel doch süßen Geschmack wahrnehmen – und zwar mit dem Rezeptor, der eigentlich auf Herzhaftes reagiert. Bekannt war diese Umfunktionierung bereits von Kolibris. Die molekularen Grundlagen dieser Begabung untersuchten die Forscher, indem sie die Geschmacksrezeptoren verschiedener Vögel im Labor rekonstruierten und testeten. Ziel der Untersuchung war es, herauszufindenwie die Rezeptoren auf Eiweiße und Kohlenhydrate reagierten.
Das Ergebnis: Trotz des Fehlens von T1R2 übernehmen andere Untereinheiten diese Aufgabe. In beiden Fällen sind die Untereinheiten T1R1 und T1R3 so verändert, dass sie nicht nur herzhafte Eiweiße, sondern auch süße Kohlenhydrate binden können. Und zwar bei Kolibris und anderen Singvögel durchaus auf unterschiedliche Weise.
Seit wann nun Singvögel gleichzeitig Süßschnäbel sind, erforschten Toda und Kollegen, indem sie die Umami-Rezeptoren von verschiedenen Vertretern im Stammbaum der Singvögel rekonstruierten und sie auf Zucker testeten. Hier zeigte sich: Die frühen Vorfahren der Singvögel besaßen den süßen Geschmackssinn bereits, bevor sie aus ihrem Ursprungsgebiet Australien auswanderten und sich über die ganze Welt verbreiteten. Er blieb auch in Arten erhalten, die nicht primär auf zuckerhaltige Nahrung angewiesen waren.
Der Evolutionsbiologe F. Keith Barker von der University of Minnesota bewertete die Studie im Fachmagazin „Science“. „Die frühe Evolution der Süßwahrnehmung spielte wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der Diversifizierung der Singvögel, die heute die größte Gruppe aller lebenden Vögel ausmacht. Womöglich half der Fokus auf eine zuckerhaltige Ernährung den frühen Singvögeln, neue ökologische Nischen zu besetzen, neue Arten zu bilden und sich erfolgreich weltweit zu verbreiten.“
Nun wollen die japanischen Forscher noch herausfinden, wie sich das Zuckerschlecken zusammen mit anderen physiologischen Merkmalen – wie der Verdauung oder dem Stoffwechsel – im Lauf der Evolution entwickelt hat.
Quelle: www.wisseschaft.de