Repetitorium
SCHIZOPHRENIE – TEIL 1
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Die ticken nicht richtig, haben Wahnvorstellungen – und weiter? Meine Frage zu diesem Themengebiet in der Apotheke löste unter den Mitarbeitern eher Befremden aus. Tatsächlich haben die meisten Menschen von Schizophrenie schon gehört, nur wenige wissen jedoch wirklich, was sich dahinter verbirgt. Doch für alle, die im Gesundheitswesen tätig sind, sollte statt Vorurteilen selbstverständlich Aufklärung und Wissen auf der Tagesordnung stehen. Grundkenntnisse zu diesem – sicherlich komplexen – Themengebiet können nicht schaden.
Oder wissen Sie auf Anhieb, welche Arzneimittelgruppen, welche Fertigarzneimittel in diesen Indikationbereich fallen? Und wenn ein Rezept – etwa über ein Neuroleptikum – vorliegt: Beschränken Sie sich auf die offensichtlichen Formalien bei dem verschriebenen Medikament – oder gibt es ein paar begleitende Worte dazu? Räumen Sie auf mit dem Unwissen! – das Repetitorium ist ein Schritt in diese Richtung.
Was ist überhaupt „Schizophrenie“? Der von dem Schweizer Psychiater Eugen Bleuler (1857 bis 1939) im Jahr 1911 geprägte Krankheitsbegriff, das Wort „Schizophrenie“, kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt etwa „Spaltung der Seele“. Deshalb wird häufig leider angenommen, ein an Schizophrenie erkrankter Mensch sei in zwei Persönlichkeiten gespalten, wechsele zwischen verschiedenen Persönlichkeiten (dissoziative Identitätsstörung), so wie dies auch häufig in Romanen und Filmen dargestellt wird. Dies ist jedoch falsch.
Vielmehr bedeutet schizophren, dass ein Erkrankter zwei Wirklichkeiten wahrnimmt: eine „reale Wirklichkeit“, also diejenige, die auch Gesunde erleben, und eine Wirklichkeit, die nur der Erkrankte erlebt, mit Sinneseindrücken, Gefühlen und Erlebnissen, die Gesunde nicht nachvollziehen können. Schizophrenie-Patienten sind zeitweise nicht in der Lage zwischen Wirklichkeit und Wahn zu unterscheiden. Typisch sind das Hören von Stimmen, das Gefühl, verfolgt zu werden. Der Realitätsverlust wird häufig auch als „Psychose“ bezeichnet. Sie leiden darunter, dass sie weder sich noch die Welt verstehen.
Unter dem Oberbegriff Schizophrenien wird deshalb eine Gruppe psychischer Erkrankungen zusammengefasst, denen eine vielschichtige Persönlichkeitsstörung mit charakteristischen Veränderungen des Denkens, Fühlens und der Beziehung zur Umwelt zugrundeliegt. Verschiedene psychische Bereiche wie Wahrnehmung, Denken, Ichfunktionen, Affektivität, Antrieb, Psychomotorik und soziales Verhalten können gestört sein.
Diagnosekriterien im Überblick Die Vorboten einer Schizophrenie sind oft diffus und schwer von anderen psychiatrischen Störungen abzugrenzen. Zudem hat jeder Patient eine andere Ausprägung der Erkrankung. Im Gespräch mit dem Betroffenen – und wenn möglich auch dessen Angehörigen – wird meist zunächst durch den Hausarzt, später meist seitens eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, der bisherige Krankheitsverlauf – auch um andere psychische Krankheiten als Auslöser auszuschließen – eingeschätzt.
Fakt ist: Es lassen sich gewisse Charakteristika entdecken. Unterschieden wird in Plus- und Minus-Symptome, meist in der Literatur als Positiv- oder Negativsymptome zu finden. „Plus“ bedeutet, dass die Betroffenen etwas empfinden, das der gewöhnliche Mensch nicht erfahren kann. Zum „normalen“ Erleben tritt zusätzlich etwas hinzu, etwa Halluzinationen, Stimmenhören, das Gefühl von anderen gelenkt zu werden, Wahnphänomene. „Minus“ bedeutet im Gegensatz dazu ein Weniger im Vergleich zum Empfinden an gesunden Tagen. Am deutlichsten wird dies durch eine Verarmung des Gefühlslebens sowie Sprachverarmung. Viele fühlen sich innerlich ausgebrannt, leer, können sich nicht mehr richtig freuen.
Hinzu kommt häufig Apathie, eine allgemeine Antriebsschwäche mit Energielosigkeit, fehlender Spontaneität, Rückzugsverhalten und letztlich daraus resultierend eine deutliche Reduzierung von sozialen Kontakten. Die Diagnose „Schizophrenie“ wird anhand festgelegter Kriterien gestellt, wobei in Deutschland der ICD-10 verbindlich ist. Hiernach gelten als Leitsymptome für Schizophrenie:
Erforderlich für die Diagnose Schizophrenie ist gemäß ICD- 10 mindestens ein eindeutiges Symptom (zwei oder mehr, wenn weniger eindeutig) der Gruppen eins bis vier oder mindestens zwei Symptome der Gruppen fünf bis acht. Die Symptome sollten hierbei für einen Monat oder länger vorhanden sein. Unter Umständen werden sogar psychologische Tests herangezogen, um weitere Beeinträchtigungen, etwa was Gedächtnisfunktion oder Aufmerksamkeit angeht, durch die Erkrankung aufzudecken.
Durch Drogen hervorgerufene Störungen oder anderweitige medizinische Erkrankungen sind zusätzlich auszuschließen, sodass neben Blutuntersuchungen, Nieren- und Leberwerten, häufig auch Bilder des Gehirns, etwa eine Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) zur Diagnoseabklärung gemacht werden. In vielen Fällen kommt es nach einer ersten Krankheitsphase zunächst zu einem symptomfreien Intervall. Danach folgen jedoch weitere Krankheitsschübe.
SCHIZOPHRENIE-WISSEN IN BEWEGUNG
Die „Nationale VersorgungsLeitlinie Schizophrenie“ befindet sich seit Anfang 2014 in Überarbeitung und soll Mitte 2017 fertiggestellt sein. Ihr Ziel ist es, Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Rehabilitation der Schizophrenie unter Einbezug der strukturierten integrierten Versorgung auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und Expertenkonsens zur Verfügung zu stellen. Beteiligt sind zahlreiche Fachgesellschaften, unter der Koordination von Univ.-Prof. Dr. med. Peter Falkai. Wer sich für die neuesten Entwicklungen interessiert, sei auf „http://www.awmf. org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/nvl-010.html“ und E-Mail: „Isabell.Grossimlinghaus@lvr.de“ verwiesen.
Epidemiologie Die Wahrscheinlichkeit einen an Schizophrenie Erkrankten zu kennen, ist sehr gros. Die meisten wissen es nur einfach nicht, weil die Kranken am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft womoglich nicht durch ungewohnliches Verhalten auffallen. Faktisch liegt die Erkrankungshaufigkeit namlich bei einem Prozent . weltweit unabhangig von Rasse, Kulturkreis, auseren Bedingungen. Schizophrene Erkrankungen vor dem zehnten Lebensjahr sind sehr selten. Bevorzugt tritt die Erkrankung zwischen dem 15. und dem 35. Lebensjahr auf.
Manner erkranken statistisch etwa drei bis vier Jahre fruher als Frauen, aber das Lebenszeitrisiko zwischen beiden Geschlechtern ist insgesamt gleich. Bei Frauen existiert zudem ein zweiter Erkrankungsgipfel in der Mitte des funften Lebensjahrzehnts. Bedacht werden muss zudem: Die Suizidrate sowie Unfalle mit Todesfolge (viele Patienten achten weniger auf sich, neigen zu riskanterem Verhalten) bei schizophrenen Patienten ist besonders hoch. Zudem sind viele von ihnen starke Raucher.
Das metabolische Syndrom kommt bei ihnen uberdurchschnittlich oft vor, sie haben ein erhohtes Risiko fur eine Glukoseintoleranz bis hin zum Typ-2-Diabetes mellitus. Auch anderweitige korperliche Erkrankungen, insbesondere was Lungenerkrankungen und das Herz-Kreislauf-System angeht, sind deutlich erhoht. Folge ist letztlich: Die Lebenserwartung liegt bei schizophrenen Patienten insgesamt niedriger. Umgerechnet in Lebensjahre leben Schizophrenie- Patienten zehn bis funfzehn Jahre kurzer als die Normbevolkerung.
Krankheitsbedingende Ursachen? Volkswirtschaftlich gesehen ist die Schizophrenie in Deutschland die teuerste psychiatrische Erkrankung uberhaupt. Ihre Ursachen sind immer noch weitgehend unbekannt beziehungsweise multifaktoriell. In jedem Einzelfall scheint eine fur den Betroffenen ungunstige Kombination hirnorganischer (Geburtskomplikationen, fruhkindliche Infektion, Virusinrektion der Mutter in der zweiten Schwangerschaftshalfte, fruhkindliche Hirnschadigung), sozialer (konfliktreiche Beziehungen), genetischer (positive Familienanamnese, Eltern betroffen, die Zwillingsforschung beweist Zusammenhange) und anderer Faktoren (Drogen etc.) zum Ausbruch zu fuhren.
Dabei konnen ungunstige psychosoziale Stress-Situationen eine Erst- oder Remanifestation der Erkrankung begunstigen. Aus der Erkenntnis, dass Schizophrenie-Patienten meist hochsensibel und verletzlich (vulnerabel) sind, entstand das .Vulnerabilitats-Stress-Coping-Modellg. Neurobiologische, psychologische und soziale Faktoren spielen hierbei zusammen. Gedanklicher Hintergrund hierbei: Ist die Ausenhaut der Seele, das .Nervenkostumg nicht besonders stabil, kann es zu einer ungunstigen psychischen Entwicklung kommen.
Ausloser sind dabei insbesondere das Aufeinandertreffen mehrerer strapazioser Ereignisse wie beruflicher Stress, psychische Enttauschung, korperliche Erkrankung . bei nicht ausreichenden Bewaltigungsmoglichkeiten (Coping). Die Belastbarkeitsgrenze wird uberschritten. Konsequenz ist: Die schizophrene Psychose bricht aus. Tatsachlich berichten viele schizophrene Patienten von kritischen Lebensereignissen, die vor Ausbruch der Erkrankung eingetreten sind. Von einem Faktor weis man mittlerweile aufgrund einer Metaanalyse, dass er definitiv das Schizophrenie-Risiko erhoht: Rauchen.
Dass ein Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Psychosen besteht, war schon langer bekannt. So rauchen Betroffene haufiger und mehr als die Durchschnittsbevolkerung. Tatsachlich scheint aber auch das Risiko eine Schizophrenie zu entwickeln, bei Zigarettenrauchern doppelt bis dreimal so hoch zu sein. Ob tatsachlich ein ursachlicher Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Schizophrenie-Erkrankung existiert, ist damit zwar nicht belegt. Aus pathophysiologischer Sicht erscheint dies jedoch nicht unwahrscheinlich, da Tabakrauch die Aktivitat von Risikogenen beeinflusst und zudem die Dopamin-Freisetzung im Gehirn verstarkt. ¡
Die „Dopaminhypothese“ Denn: Eine Überaktivität von dopaminergen Arealen wird eindeutig mit Schizophrenie in Verbindung gebracht. Die „Dopaminhypothese“ geht davon aus, dass bei Schizophrenie Dopamin in einigen wichtigen Hirnregionen im Übermaß ausgeschüttet wird, etwa im limbischen System, dass Emotionen und Affekte steuert – und dies zu psychotischen Realitätsverkennungen führt.
In den 1960er Jahren wurde diese Theorie erstmals aufgestellt – da Wirkstoffe aus der Substanzklasse der Phenothiazine (diese Wirkstoffe blockieren Dopamin-2-Rezeptoren) zu einer deutlichen klinischen Verbesserung der Positiv-Symptomatik bei Schizophrenie beitrugen. Es entwickelte sich daraus die Substanzklasse der „klassischen Neuroleptika“. Forschungsarbeiten der letzten fünfzig Jahre zeigen jedoch sowohl Stärken als auch Schwächen dieser Hypothese.
So konnte einerseits gezeigt werden, dass Amphetamine, die bekanntlich die Dopamin-Ausschüttung fördern, die Schizophrenie- Symptomatik verschlimmern. Andererseits konnte die Annahme, dass es sich tatsächlich bei Schizophrenie um eine Erhöhung der zentralen Dopamin-D2-Rezeptoren handelt, mittels neuartiger Verfahrensweisen wiederlegt werden. Zudem sind bei Schizophrenie-Patienten, bei denen die Negativsymptome dominieren, die sich immer stärker, oft jahrelang zurückziehen, die „klassischen Neuroleptika“ mit ihrer D2-Blockade faktisch kaum wirksam.
Einige Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass bei einer Schizoprenie nur in manchen Hirnregionen, etwa im limbischen System, ein Dopaminüberangebot vorliegt, in anderen Regionen, etwa im Stirnhirn jedoch durchaus ein Mangel vorhanden sein kann. Neuronen dort tragen überwiegend D1- und nicht D2-Rezeptoren. Insofern wird weiter davon ausgegangen, dass Schizophrenie mit einer Fehlsteuerung im Dopamin-Stoffwechsel zusammenhängt – und wahrscheinlich eine Dopamin-Überschusserkrankung bestimmter Hirnareale darstellt.
Das Dopamin- Modell findet sich deshalb bis heute auch graphisch dargestellt in vielen Lehrbüchern und Fachzeitschschriften. Pathophysiologisch diskutiert werden daneben Änderungen der GABAergen (GABA = Gamma-Amino-Buttersäure), glutamergen (etwa 70 Prozent der Synapsen des Zentralnervensystems verwenden Glutamat als Neurotransmitter, nahezu alle Nervenzellen des Zentralnervensystems exprimieren Glutamat-Rezeptoren), cholinergen und serotonergen (Serotonin beeinflusst Schmerzempfinden, Gedächtnisleistung, wirkt stimmungsaufhellend) Erregungsübertragung.
So postuliert die „Glutamathypothese“ eine Unterfunktion von Glutamat am NMDA-Rezeptor (dem Glutamatrezeptor, benannt nach N-Methyl-D-Aspartat), als deren Folge es zur Ausbildung der Negativ-Symptomatik bei Schizophrenien kommt. Auch wenn vieles im Detail noch nicht geklärt ist: Die neuronalen Botenstoffe Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, Gamma-Amino-Buttersäure und Glutamat spielen anscheinend eine wichtige Rolle bei der Schizophrenie – insbesondere, wenn sie aus dem Gleichgewicht geraten sind.
Dies ist auch ein wichtiger Ansatzpunkt für die Medikation: Die Blockade dieser Rezeptoren in bestimmten Hirnarealen trägt dazu bei, die Gehirnaktivität zu normalisieren und die Symptome zu reduzieren. Während dieser erste Repetitoriumsteil Grundwissen zu dieser vielschichtigen Persönlichkeitsstörung geliefert hat, werden im zweiten und dritten Teil die Behandlungsmöglichkeiten näher beleuchtet.
Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin