Vortrag | Therapieforschung
WIE STEHT ES BEI DER ENTWICKLUNG VON CORONA-MEDIKAMENTEN?
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Die "pharmacon@home" genannte Ersatz-Fortbildung beinhaltete fünf Vorträge, die sich neben den Arzneimittelneuheiten des Jahres 2019 vor allem mit dem Thema Corona auseinandersetzten. In seinem Vortrag "Wirkstoffe zur Therapie von COVID-19: Präklinische und klinische Kandidaten" beleuchtete Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz die aktuelle Studienlage. Schubert-Zsilavecz ist wissenschaftlicher Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker und Professor für Pharmazeutische Chemie an der Goethe-Universität Frankfurt. Da er über Arzneistoffe sprach, die direkt in die Virusvermehrung eingreifen, die also nicht die Sauerstoffversorgung der Lunge oder das Entzündungsgeschehen im Körper betreffen, schauen wir uns zunächst die Replikation des Virus an.
Bei SARS-CoV-2 handelt es sich um ein kugelförmiges (+)ssRNA-Virus mit einer Lipiddoppelschicht und Spikes an der Oberfläche. Die Lipiddoppelschicht ist bereits ein Angriffspunkt des Krankheitserregers, denn sie wird durch Tenside zerstört - daher der so häufige Aufruf zum Händewaschen mit Seife.
Hintergrundinformationen zu den Themen Aufbau, Vermehrung und Therapie von Viren finden Sie im PTAPlus-Übersichtsartikel "Was können eigentlich Viren?".
Um in die menschliche Wirtszelle zu gelangen, bindet SARS-CoV-2 an das Angiotensin-Converting-Enzyme 2 (ACE2). Anschließend wird das Spike-Protein des Virus in zwei Schritten durch eine membranständige Protease (Transmembrane protease serine subtype 2, TMPRSS2) gespalten. So können die Membranen von Virus und Wirtszelle verschmelzen und das Virus gelangt in die Zelle. Nun wird die virale Erbsubstanz übersetzt (translatiert), sodass sie von den Bestandteilen der Wirtszelle ausgelesen werden kann. Die Vervielfältigung der Virusbestandteile beginnt. Schließlich fügen die neuen Teile sich zu einem vollständigen Virus zusammen und werden aus der Zelle ausgeschleust. Jeder dieser Schritte ist ein möglicher Angriffspunkt für Arzneimittel.
Angriff am Virus
Noch bevor SARS-CoV-2 die Wirtszelle erreicht, kann es durch das Immunsystem abgefangen werden - hier setzen Impfstoffe an. Aber auch Antikörper greifen an dieser Stelle ein. 47D11 mAb ist ein solcher monoklonaler Wirkstoffkandidat. Er verhindert, dass das Spike-Protein des Virus an das ACE2 der Wirtszelle anhaften kann.
Entry-Inhibitoren
Eine weitere Möglichkeit, das Virus von der Wirtszelle fernzuhalten, sind Entry-Inhibitoren. Sie verhindern das Einschleusen des Virus in die menschliche Zelle. Hier gibt es zwei Ansätze in der Wirkstoffforschung.
Zum einen rekombinantes humanes ACE2: Wie oben beschrieben, nutzt SARS-CoV-2 das ACE2 der Zelle, um dort mit seinen Spike-Proteinen anzuhaften. Wird der Körper eines Infizierten jedoch mit großen Mengen an künstlich geschaffenem ACE2 überflutet, bindet das Virus an diese Enzyme und weniger an die auf den Zellen. Die Folge: weniger Viren gelangen in die Zellen.
Die andere Möglichkeit sind Inhibitoren der TMPRSS2 - das Enzym, dass das Spike-Protein auf die Bindung an ACE2 vorbereitet. Wird der Spike nicht aufgespalten, passt es nicht zum ACE2 der Zelle - das Schlüssel-Schloss-Prinzip funktioniert nicht und das Virus wird nicht aufgenommen. Ein solcher TMPRSS2-Inhibitor ist Camostat (Foipan®), das in Japan gegen Bauchspeicheldrüsenentzündungen und Refluxösophagitis zugelassen ist. Der Vorteil dieser Repurposing genannten Zweckentfremdung ist, dass es zur Verträglichkeit des Wirkstoffs bereits zuverlässige Studienergebnisse gibt. Zur Wirkung gegen SARS-CoV-2 liegen bislang jedoch nur in-vitro-Studien vor, an Tieren oder Menschen wurde das Medikament noch nicht getestet.
Endozytose-Hemmung
Hat SARS-CoV-2 erfolgreich an das ACE2 der Wirtszelle gebunden, kommt es zur Endozytose - das Virus wird in die Membran der Wirtszelle eingestülpt und gelangt so ins Innere der Zelle. Chloroquin und Hydroxychloroquin sind altbekannte Wirkstoffe, die diesen Vorgang unterbinden. Sie kommen schon lange bei Malaria und rheumatischen Erkrankungen wie Lupus erythematodes zum Einsatz, auch hier wäre also keine Neuzulassung, sondern nur ein Repurposing nötig. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) hatte bereits eine Notzulassung ausgesprochen. Groß angelegte, kontrollierte Studien fanden jedoch heraus, dass Chloroquin und Hydroxychloroquin nicht gegen Covid-19 helfen - die Anzahl der Probanden, die künstlich beatmet werden mussten, blieb unverändert. Schubert-Zsilavecz vermutet, die Notzulassung in den USA könne unter politischem Druck erfolgt sein. Präsident Donald Trump hatte das Arzneimittel öffentlich als "Geschenk Gottes" gepriesen. Diese Aussage bewertet Dr. Schubert-Zsilavecz als "töricht". Mittlerweile hat die FDA die Notzulassung aufgrund der schwerwiegenden Nebenwirkungen zurückgerufen.
Fusions-Inhibitoren
Auch Fusionsinhibitoren verhindern die Verbindung des Virus mit der Wirtszellmembran. Umifenovir (Arbidol®) ist ein möglicher Wirkstoff. Er ist in Russland und China zur Behandlung der Grippe zugelassen - Repurposing also. Kontrollierte Studien lieferten allerdings "keine überzeugenden Ergebnisse", so Schubert-Zsilavecz.
Protease-Inhibitoren
Ist SARS-CoV-2 in die Wirtszelle gelangt, nutzt es die Zellorganellen, um seine eigenen Bausteine zu produzieren. Dabei entstehen große Proteine. Diese Eiweiße werden durch Proteasen gespalten und so in ihre endgültige, funktionierende Form gebracht. Proteaseinhibitoren verhindern dies. Die Kombination aus Lopinavir und Ritonavir (Kaletra®) ist gegen das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) zugelassen und sollte gegen Covid-19 wiederverwertet werden. Auch hier wurden kontrollierte Studien durchgeführt - mit dem Ergebnis, dass die Arzneimittel keinen Vorteil bringen. Schubert-Zsilavecz ist vom Prinzip der Proteaseinhibitoren jedoch überzeugt, er sieht das Problem im Repurposing: "Viel mehr braucht es maßgeschneiderte Wirkstoffe."
Polymerase-Inhibitoren
RNA-Polymerase vervielfältigt die virale Erbsubstanz in der Wirtszelle. Inhibitoren des Enzyms sorgen also dafür, dass den neu gebildeten Viren kein Genom zur Verfügung steht. Sie sind nicht funktionsfähig. Favipiravir (Avigan®) ist ein solcher Wirkstoff. Er wurde gegen Ebola entwickelt und ist seit Mai in Russland gegen Covid-19 zugelassen - obwohl keine Wirkung gegen SARS-CoV-2 nachgewiesen werden konnte. Auch Remdesivir wurde in der Ebola-Krise entwickelt. In zellbasierten Tests erwies es sich als wirksam gegen die verwandten Coronaviren SARS-CoV und MERS-CoV. Studien an Primaten wurden gegen das Ebola-Virus durchgeführt. Auch hier empfiehlt Schubert-Zsilavecz jedoch ein spezifisch gegen SARS-CoV-2 entwickeltes Arzneimittel, kein Repurposing. Solche Wirkstoffe werden derzeit entwickelt.
Fazit
Schubert-Zsilavecz freut sich, dass die Wissenschaft "den Replikationsmechanismus von SARS-CoV-2 hervorragend verstanden und Targets identifiziert" hat. Der Einsatz bereits bekannter Arzneistoffe sei bislang klinisch nicht durchschlagend erfolgreich, vielmehr benötige man maßgeschneiderte Arzneimittel. Als "Hauptkriegsschauplatz" sieht er hierbei die Protease- und Polymerase-Inhibitoren. So gebe es zwar noch keine Erfolgsgeschichte zu vermelden, aber die "berechtigte Hoffnung auf wirksame Arzneimittel."
Gesa Van Hecke,
PTA und Redaktionsvolontärin
Quellen:
"Wirkstoffe zur Therapie von COVID-19: Präklinische und klinische Kandidaten", Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, pharmacon@home, 12.06.2020
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/hydroxychloroquin-us-behoerde-zieht-zulassung-fuer-von-trump-genutztes-corona-medikament-zurueck/25919004.html?ticket=ST-1014952-LnapUB7WwUisgOFtPoUe-ap4