Im Kampf gegen multiresistente Keime werden dringend neue Antibiotika gebraucht. Doch die Entwicklung stockt - oder wird gar ganz eingestellt. © AlexRaths / iStock / Getty Images Plus

Alarmierende Zahlen | Resistenzen

PHARMAKONZERNE STOPPEN ENTWICKLUNG NEUER ANTIBIOTIKA

Immer mehr große Pharmaunternehmen ziehen sich aus der Forschung zur Entwicklung neuer Antibiotika zurück. Dabei sind diese wichtig, um die Ausbreitung resistenter Keime zu bekämpfen, die laut Weltgesundheitsorganisation WHO zu einer der „Probleme unseres Jahrhunderts“ zählen.

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Zehn Millionen – das ist die Zahl, die die WHO für 2050 ansetzt. Zehn Millionen Menschen könnten dann pro Jahr an multiresistenten Keimen sterben, das sind mehr als an Krebs. Und genau deshalb sei es wichtig, dass alle Kraft in die Entwicklung neuer Antibiotika gesteckt werde, denn die gängigen Keime entwickeln zunehmend Abwehrresistenzen dagegen.

Die Pharmaindustrie hatte deshalb 2016 eine gemeinsame Erklärung verabschiedet: Mehr als 100 Firmen schlossen sich zu einem Bündnis zusammen, das sich in einer Industrie-Allianz - der „AMR Industry Alliance“ - dem Kampf gegen die Resistenzen widmete. Darunter befanden sich Firmen wie Johnson & Johnson, Novartis, Sanofi und AstraZeneca. Die Firmen kündigten an, verstärkt in die Forschung in diesem Bereich zu investieren.

Doch mittlerweile ist fast die Hälfte nicht mehr in diesem Bereich tätig, das ergab eine Recherche des NDR. Denn: Finanziell lohnt es sich kaum. Eine Antibiose wird in der Regel nur an wenigen Tagen eingesetzt; zudem sollen neue Mittel nur im Notfall verwendet werden, wenn alle herkömmlichen Mittel nicht mehr anschlagen. Sie sollen also als Reserve zurückgehalten werden, damit sie ihre Wirkung nicht so schnell verlieren. Da lohnt es sich für Pharmafirmen eher, in die Entwicklung von Krebsmedikamenten oder Mittel gegen chronische Erkrankungen zu investieren.

Doch das ist fatal: Schon jetzt gibt es pro Jahr rund 3300 Todesfälle aufgrund von Antibiotika-Resistenzen.

Die Entwicklung eines solchen Medikamentes kostet mehrere Hundert Millionen Euro. Bei einer erfolgreichen Zulassung kommen Ausgaben für Herstellung, Vertrieb und Vermarktung hinzu. Kleine Unternehmen, die keine zusätzlichen Einnahmen, etwa durch lukrative Arzneimittel aus anderen Bereichen haben, können diese Kosten in der Regel nicht allein stemmen – und manche segeln sogar in die Insolvenz. Die Pharmaindustrie wehrt sich deshalb gegen die Anschuldigung, sie werde ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht mehr gerecht: Es gebe zurzeit einfach keinen Markt für Antibiotika, sagt der Vorsitzende der AMR Alliance, Thomas Cueni. Er kenne keine Firma, die gegenüber ihren Eignern verantworten könne, in Bereiche zu investieren, wo das Risiko sehr hoch sei, dass die Forschung nicht erfolgreich sei – und falls doch, kriege man kein Geld dafür.

Bis in die 1990-er Jahre hatten noch fast alle großen Pharmakonzerne Antibiotika entwickelt. Heute scheinen das nur noch vier der 25 größten Unternehmen zu tun, nämlich die Firmen MSD, GlaxoSmithKline, Otsuka und Roche. Der Geschäftsführer des deutschen Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), Siegfried Throm, sieht hier auch die Politik in der Pflicht: Sie müsse auf internationaler Ebene die Entwicklung neuer Mittel stärker fördern. Besonders teuer sei nämlich die Phase der klinischen Versuche bis hin zur Marktzulassung.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: www.tagesschau.de

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