Arzneistoffentwicklung | PrEP
NEUER HIV-WIRKSTOFF AUS SOJASOSSE
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MK-859, so hieß Islatravir früher. MSD entdeckte das Molekül in der Entwicklungspipeline eines japanischen Sojasoßenherstellers und sicherte sich die Rechte. Nukleoside finden sich häufig in Lebensmitteln. Stoffe wie Inosin oder Guanosin wirken als Geschmacksverstärker auf den Umami-Sinn. Dieser Stoff soll nun als Reverse-Transkriptase-Translokations-Inhibitor (NRTTI) für die HIV-Therapie erprobt werden – ein neuer Ansatzpunkt. Bislang eingesetzte nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmern (NRTI) wie Lamivudin oder Emtricitabin werden als falsche Bausteine von der Reversen Transkriptase eingebaut. Da ihnen die 3`-OH-Gruppe fehlt, kann keine Verlängerung der DNA-Kette mehr stattfinden, da der Primer - der Startpunkt für alle DNA-produzierenden Enzyme – genau diese OH-Gruppe zum Binden benötigt. Der Vorgang wird abgebrochen, die Virusvermehrung gehemmt. Mutationen in verschiedenen Genen des HI-Virus können zu Resistenzen führen. NRTTI wie Islatravir besitzen diese besondere OH-Gruppe, sodass eine Bindung zwischen dem Nukleosid und dem Primer zustande kommt. Der Primer wird dann aber blockiert, kann nicht mehr versetzt werden (Translokation) und das Anheften weiterer Nukleotide wird so verhindert.
Wie war das nochmal mit der Reversen Transkriptase?
HI-Viren zählen zu den Retroviren, ihre genetischen Informationen tragen sie in Form von RNA in sich. Ein spezielles Enzym, die Reverse Transkriptase, schreibt die RNA in DNA um und bildet im Anschluss DNA-Doppelstränge, die mit Hilfe eines zweiten Enzyms, der Integrase, in das menschliche Genom der Wirtszelle eingebaut werden. Die menschliche RNA-Polymerase erledigt den Rest und trägt so zur Vermehrung der Virusproteine bei. Es heißt Reverse Transkriptase, weil normalerweise die Transkription den Schritt in der Proteinbiosynthese darstellt, bei dem DNA in RNA (mRNA, tRNA, rRNA) umgeschrieben wird. Das Enzym stellt einen Schlüssel-Angriffspunkt in der HIV-Therapie dar.
Eines der möglichen Einsatzgebiete könnte die PrEP sein, die Prä-Expositions-Prophylaxe. Mit Hilfe eines mit Islatravir beladenen Implantats könnten sich Menschen, die eine sexuelle Beziehung zu HIV-Positiven führen, vor einer Infektion schützen. Die Sicherheit des Stoffes wurde bereits untersucht, nun folgte eine kleine, sogenannte Proof-of-concept-Studie. Eine solche Wirksamkeitsstudie schließt sich in der klinischen Phase an die Testphase an freiwilligen, gesunden Probanden an und überprüft das Wirksamkeitskonzept eines Stoffes (klinische Phase-II-Studie). Man pflanzte 16 Probanden für zwölf Wochen ein Implantat unter die Haut des Oberarms. Bei guter Verträglichkeit (gegenüber Placebo) wurde über zwölf Wochen hinweg so viel Wirkstoff freigesetzt, dass ein Schutz gegen das Virus bestand. Laut Hochrechnungen der Studienautoren könnte ein Implantat mit einer höheren Wirkstoffmenge den Schutz für ein Jahr aufrechterhalten. Die lange Halbwertszeit (150 bis 160 Stunden) ermöglicht dabei eine trotzdem vergleichsweise geringe Gesamtbeladungsmenge. Und sie ermöglicht es, über eine PrEP nachzudenken, die einmal monatlich oral eingenommen werden könnte.
Neben der Zulassung zur Prophylaxe werde bei MSD auch über eine therapeutische Indikation nachgedacht. Eine Kombination aus Islatravir und Doravirin (Nicht-Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitor) soll sich bald in einer Phase-III-Studie, also an einem großen Patientenkollektiv, beweisen. Die vorangegangene Phase-II-Studie lässt auf positive Ergebnisse hoffen. Der Vorteil der Substanz liegt neben seinem neuartigen Ansatzpunkt an der Reversen Transkriptase an seiner vergleichsweise geringen Substanzmenge, die sich effektiv gegen das Virus zeigte. In der Phase-II-Studie kamen Mengen von 0,25 bis 2,25 Milligramm Wirkstoff zum Einsatz – im Therapiebereich von HIV wahre Minidosen.
Farina Haase,
Apothekerin/Redaktion
Quelle: Pharmazeutische Zeitung