Bereits zum zweiten Mal konnten Ärzte einen Patienten vorstellen, den sie von der Immunschwäche Aids geheilt hatten - allerdings unter sehr speziellen Bedingungen. Doch vielleicht birgt die Behandlungsmethode den Schlüssel für zukünftige Therapien. © jarun011 / iStock / Getty Images Plus

Medizinische Sensation

MUTIERTES GEN VERHILFT ZUR HEILUNG VON AIDS

Die Meldung wurde von der Presse als Knüller verkauft: Ein an Aids erkrankter Londoner wurde durch eine Stammzellspende von seiner Immunschwäche geheilt. Doch das Ereignis könnte falsche Hoffnungen wecken – denn die Behandlung entstand als „Nebeneffekt“ einer Krebstherapie.

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Behandelt wurde der englische Patient nämlich nicht wegen der Viruserkrankung, sondern wegen eines Lymphdrüsenkrebses. Für dessen Therapie wollten die Ärzte Knochenmark transplantieren. Dabei wird das Knochenmark des Erkrankten zerstört und danach das eines Spenders injiziert. So wird das Immunsystem des Kranken quasi ausgetauscht.

Doch die gespendeten Stammzellen enthielten eine Besonderheit: Auf einem bestimmten Genabschnitt namens CCR5 befand sich die Bauanleitung für einen mutierten, defekten Rezeptor auf der Oberfläche von T-Zellen. Eigentlich nutzen viele HIV-Stämme diesen Rezeptor, um Immunzellen zu infizieren – doch aufgrund der funktionslosen Andockstelle sind Menschen mit diesem Gendefekt weitestgehend immun gegen Aids. Das wiederfuhr nun auch dem transplantierten Empfänger der Stammzellen – er gilt als geheilt, die Viruslast in seinem Körper ist seit 18 Monaten nicht mehr nachweisbar.

Die Geschichte von Aids begann vor 38 Jahren
1981 tritt die noch namenlose Krankheit erstmals auf: Ärzte werden stutzig, als bei einer Reihe von scheinbar gesunden schwulen jungen Männern in Los Angeles eine ungewöhnliche Häufung von Pilzinfektionen und Lungenentzündungen auftritt. Als auch noch das Karposi-Sarkom hinzukommt – ein sehr seltener Hautkrebs – nennen die Wissenschaftler die noch unklassifizierte Krankheit Gay Related Immuno Deficiency (GRID). Ein Jahr später stellt man fest, dass GRID auch bei heterosexuellen Frauen und Männern auftritt, diese sind oftmals drogensüchtig – und die Krankheit wird in Acquired Immuno Deficiency Syndrom (AIDS) – erworbenes Immunschwächesyndrom - umbenannt. 1984 gelingt es erstmals, aus den Lymphozytenkulturen eines Patienten die betreffenden Retroviren hinauszufiltern. Sie erhalten die Namen HIV-1 und HIV-2.

Von nun an läuft die Forschung zur Entwicklung von Gegenmedikamenten auf Hochtouren: Wie bekämpft man eine Krankheit, deren Verursacher kaum zu lokalisieren ist, da er beständig seine Gestalt verändert? Denn HI-Viren kapern die Immunzellen, zerstören sie zum Teil und machen sie funktionsunfähig, was zur Folge hat, dass eindringende Krankheitserreger nicht mehr bekämpft, Krebszellen nicht mehr aussortiert und an sich harmlose Infektionen zur lebensbedrohlichen Erkrankung werden. Da sich das HI-Virus über Körperflüssigkeiten einschleust, wird es über Geschlechtsverkehr mit Schleimhautverletzungen übertragen, über Vaginalsekret, Blut und Sperma. Auch die Behandlung von Hämophilie wird zum Risiko: Da die Therapie der Bluterkrankheit mit Produkten aus menschlichem Blutplasma erfolgt, stecken sich Anfang der 80er Jahre rund die Hälfte der Empfänger unbeabsichtigt mit Aids an. Seit 1985 ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass jede Blutspende vor Abgabe einen HIV-Test durchläuft; ab 1989 wird der Gerinnungsfaktor gentechnisch hergestellt, was das Risiko einer Übertragung praktisch eliminiert.

Heute ist es möglich, mit speziellen Medikamenten die zuvor als unheilbar eingestufte Krankheit zumindest in Schach zu halten. Die Arzneimittel blockieren die Virusvermehrung, haben allerdings teilweise schwere Nebenwirkungen und müssen lebenslang eingenommen werden.

Kein Zufall mehr: zwei geheilte Patienten
Nun also eine Heilung. Genau genommen ist es bereits der zweite Fall. Ein Berliner Patient erkrankte 2006 an Leukämie und erhielt ebenfalls eine Stammzelltransplantation. Auch hier war das CCR5-Gen des Spenders mutiert und größtenteils resistent gegen HIV. Seitdem können die Ärzte das HI-Virus nicht mehr nachweisen. Doch jahrelang blieben Fragen offen: Denn ein einzelner Patient reicht für einen Beweis nicht aus; Behandlungen müssen reproduzierbar sein. Das erwies sich als schwierig, denn für die beschriebene Therapie muss ein HIV-Patient an einer Krebsart erkrankt sein, zu deren Behandlung eine Knochenmarkstransplantation notwendig ist. Darüber hinaus muss der Spender genetisch gut zum Patienten passen und zu dem einen Prozent der Bevölkerung gehören, der diese spezielle Genmutation trägt. Immer wieder wurde versucht, diesen Fall zu reproduzieren, doch auf dem Weg dorthin starben Patienten früh an Komplikationen oder Rückfällen ihrer Krebserkrankung. Dieser zweite Heilungserfolg beendet nun die Diskussion darüber, dass der erste Patient womöglich nur ein Einzelfall gewesen sei.

Jedoch: „Diese Behandlung ist mit einem hohen Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko verbunden und kann daher nie eine Standardtherapie zur Behandlung einer HIV-Infektion werden“, betont Jürgen Rockstroh, Oberarzt und Leiter der Infektologie/HIV am Universitätsklinikum Bonn. Denn das Besondere bei dem Berliner und dem Londoner Patienten war ja, dass bei beiden eine fortgeschrittene Tumorerkrankung vorlag, die nur mit einer Stammzelltransplantation geheilt werden konnte.

Das Studienergebnis wird allerdings als wichtiger Baustein gewertet, um langfristig eine echte Heilungsmethode für HIV zu entwickeln – und zwar über die Gentherapie. Hierbei versuchen die Forscher, das mutierte CCR5-Gen mithilfe der Genschere CRISPR-Cas in die Stammzellen der Patienten zu schleusen. „Allerdings erreicht die Gentherapie nur einen Teil der Stammzellen, sodass aktuell nicht damit zu rechnen ist, dass hierdurch gleichwertige Erfolge zu erzielen sein werden. Man sollte sie eher als einen von mehreren Bausteinen betrachten“, urteilt der Virologe Hans-Georg Kräusslich vom Universitätsklinikum Heidelberg.

Als ein weiterer Fortschritt im Kampf gegen die Immunschwäche kann auch die Tatsache gewertet werden, dass bereits seit fünf Monaten HIV-Schnelltests in deutschen Apotheken frei verkauft werden dürfen. Denn nach Schätzungen des Robert-Koch-Institutes wissen rund 11 200 Menschen bundesweit nichts von ihrer HIV-Infektion. Je früher aber die Diagnose erfolgt, desto besser behandelbar ist die Krankheit: „Die Medikamente bewirken zwar keine Heilung, aber eine deutliche Verbesserung des Überlebens – natürlich verbunden mit erheblichen, aber letztlich zu akzeptierenden Nebenwirkungen“, beschreibt es Gero Hütter, damals behandelnder Arzt des Berliner Patienten.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: Die WELT
   Ärzteblatt

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