Tonsillektomie | Zweifel an Nutzen
MÜSSEN DIE MANDELN WIRKLICH RAUS?
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Eigentlich sind die Tonsillen eine Art Torwächter auf dem Weg zu Nase, Ohren und Bronchien. Bakterien und Viren, die an ihnen vorbeikommen, um andernorts Schaden anzurichten, werden von ihnen abgefangen und unschädlich gemacht. Eigentlich.
Doch manchmal gehen die Mandeln in die Knie vor ihren Widersachern – und entzünden sich ihrerseits. Sie werden rot und schwellen an und das tut dann richtig weh. In den Griff bekommt man die Entzündung meist nur mit Antibiotika.
Vergrößerte Rachenmandeln können außerdem zu häufig wiederkehrenden Mittelohrentzündungen oder Nasennebenhöhlenentzündungen führen. Sie können die Nasenatmung erschweren und auch das Hören beeinträchtigen.
Häufen sich die Mandelentzündungen, denken die Ärzte über eine Entfernung der Tonsillen nach. Dabei orientieren sie sich oft an den sogenannten Paradise-Kriterien: Wenn jemand in einem Jahr mindestens sieben Halsinfektionen hatte, in zwei aufeinanderfolgenden Jahren pro Jahr mindestens fünf oder in drei aufeinanderfolgenden Jahren pro Jahr mindestens drei solcher Infekte hatte, wird zu einer OP geraten.
Ziel ist es, die Zahl der Entzündungen zu reduzieren. Und das geschieht kurzfristig gesehen auch: Die Rate der Mandelentzündungen sinkt drastisch, Schlafprobleme reduzieren sich. Das Ziel, die Anzahl von Nasennebenhöhlen- oder Mittelohrentzündungen zu senken, erfüllt sich jedoch nicht, wie ein internationales Forscherteam in einer Studie jetzt feststellte. Die Wissenschaftler werteten Daten von 1,2 Millionen Menschen aus, die zwischen 1979 und 1999 in Dänemark geboren wurden. Das Ergebnis: Die operierten Kinder hatten bis zu ihrem 30. Lebensjahr ein fast dreimal so hohes Risiko für Erkrankungen der oberen Atemwege wie die Nichtoperierten. Auch das Auftreten der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) verdoppelte sich.
Die Forscher empfahlen daher, Nutzen und Schaden der Eingriffe noch deutlicher abzuwägen – und die Mandeln möglichst spät zu entfernen, wenn das Immunsystem ausgereift ist. Über die Risiken einer OP nach dem neunten Lebensjahr sagt die Studie allerdings nichts aus; auch, welche Kinder in Raucherhaushalten aufwuchsen, war nicht erfasst. Das Fazit aber bleibt: „Kinder, die per se ein höheres Risiko für Mittelohrentzündungen haben, werden wahrscheinlicher eine Mandel-OP haben und erkranken danach dann wahrscheinlich immer noch häufiger an Mittelohrentzündungen als gesunde Kinder aus der Vergleichsgruppe“, resümiert Richard Rosenfeld vom SUNNY Downstate Medical Center in einem Begleitartikel zur Studie. Insgesamt rufen die an der Studienauswertung teilnehmenden Wissenschaftler dazu auf, vor einer Mandelentfernung künftig die möglichen Langzeitfolgen besser im Blick zu haben.
Alexandra Regner,
PTA/Redaktion