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Halluzinogene

MIT PILZEN GEGEN DEPRESSIONEN?

Psilocybin, die psychoaktive Substanz in Magic Mushrooms, konnte in einer kleinen Studie Depressionen lindern. Könnte das ein neuer Therapieansatz sein oder ist es nur ein riskantes Experiment?

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Laut Weltgesundheitsorganisation schlagen bei jedem fünften Patienten mit Depression weder eine Verhaltenstherapie noch Antidepressiva an. Umso wichtiger wären neue Wirkstoffe, die auch diesen Patienten helfen könnten. Einer davon könnte Psylocybin sein, der in halluzinogenen Pilzen, den „Magic Mushrooms“, zu finden ist. Sie kommen auch in Mitteleuropa vor und stammen meist aus der Pilzgruppe der Kahlköpfe. Seit Urzeiten sind sie in vielen Kulturen Teil religiöser Rituale. „Psillos“ werden auch als Psychodrogen konsumiert.

Ihre psychoaktiven Substanzen wie Psylocybin können, ähnlich wie LSD, zu starken Bewusstseinsveränderungen, Halluzinationen und einem Gefühl größter Euphorie führen, das über Stunden anhalten kann. Manchmal kommt es jedoch auch zu einem Horrortrip mit Angstzuständen, bis hin zur Todesangst. Allerdings kann Psilocybin auch langfristig positive Veränderungen bewirken. So konnten Wissenschaftler unter kontrollierten Bedingungen zeigen, dass es bei den meisten Versuchspersonen zu einem offeneren Wesen führte – ein Effekt, der auch Jahre später noch anhielt. 

Angst und Verschlossenheit bekämpfen Dieses Ergebnis führte zu der Überlegung, ob Psilocybin zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden könnte. Die Forschungsgruppe um Robin Carhart-Harris vom Londoner Imperial College hatte bereits herausgefunden, dass eine Injektion von Psilocybin die Aktivität des cingulären Cortex hemmt.

Dieser Teil des Gehirns im Stirnbereich gehört zum limbischen System, das für unterbewusste, triebgesteuerte Verhaltensweisen zuständig ist. Der cinguläre Cortex ist bei Menschen mit Depressionen besonders aktiv. In einem nächsten Schritt wurden zwölf Menschen, die seit Jahren unter einer therapieresistenten Depression litten, mit oralem Psilocybin behandelt.

Um die möglichen negativen Effekte so gering wie möglich zu halten, erhielten die sechs Männer und sechs Frauen die Substanz in einem abgedunkelten Raum, in dem angenehme Musik lief. Links und rechts vom Bett saß jeweils ein Psychiater, der sich in kurzen Abständen nach dem Befinden der Teilnehmer erkundigte. Blutdruck und Herzfrequenz wurden ebenfalls engmaschig überwacht. Es dauerte eine halbe bis eine Stunde, bis der Effekt einsetzte und zwei bis drei Stunden bis der Höhepunkt des Trips erreicht war.

Nach sechs Stunden konnten die Teilnehmer das Zimmer wieder verlassen. Nach einer Woche wurde der Versuchsaufbau wiederholt. Das Ergebnis überraschte: Die Depression verbesserte sich bei allen zwölf Teilnehmern für mindestens drei Wochen, sieben berichteten auch drei Monate später noch von einer merklich aufgehellten Stimmung, bei fünf wirkte es sogar noch darüber hinaus. Könnte Psilocybin somit die Therapie von Depressionen revolutionieren?

»Psilocybin ist ein Indolalkaloid. Für die Wirkung verantwortlich scheint der Metabolit Psilocin.«

Nur ein Experiment Das kann sicherlich mit einem solch kleinen Versuch nicht belegt werden. Es ist ein erster Ansatz, dem größere Studien folgen müssen. Außerdem: Auch, wenn die Durchführung des Experiments relativ problemlos verlief, berichteten alle zwölf Teilnehmer, dass sie vor dem Einsetzen der Wirkung Angst gehabt hätten, zwei gaben sogar an, unter eine leichten Paranoia gelitten zu haben.

Da diese Zustände bereits unter engmaschiger Überwachung und in einem angenehmen Umfeld auftraten, könnte es bei „normaler“ Einnahme zu größeren Problemen kommen. Robin Carhart-Harris warnt daher ganz deutlich: „Ich möchte nicht, dass die Leute jetzt denken, dass sie Depressionen behandeln können, indem sie ihre eigenen Magic Mushrooms sammeln. Dieser Ansatz könnte riskant sein.“ 

Besitz und Handel von Magic Mushrooms sind in Deutschland gegenwärtig ohnehin strafbar. Auch das englische Experiment wäre beinahe gescheitert, denn obwohl Gelder bewilligt wurden, konnte man zuerst keine Firma finden, die die verbotene Substanz herstellen wollte. Eine Frankfurter Pharmafirma willigte schließlich ein, sodass der Versuch trotz der bürokratischen Hürden durchgeführt werden konnte.

Warum Psilocybin? In der Therapie von Depressionen und Angstzuständen kommen bisher Serotonin-Aufnahmehemmer oder partielle Serotoninrezeptor- Antagonisten zum Einsatz. Sie binden an spezielle Rezeptoren, vor allem den 5- HT-1A-Rezeptor. Depressionspatienten, bei denen diese Medikamente nicht wirken, sollten nach Auffassung der Forscher von Psilocybin profitieren können, da es an einen anderen Rezeptor andockt – den 5-HT- 2A-Rezeptor. Dies verursacht einen Anstieg bestimmter hemmender Neurotransmitter im Zentralnervensystem, der dazu führt, dass sich die Konsumenten frei, euphorisch und glücklich fühlen. Die Forscher glauben, dass eben diese pharmakologische Besonderheit hohes therapeutisches Potenzial hat.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 ab Seite 140.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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