Wissenschaft
MARIE CURIE UND DIE RADIOAKTIVITÄT
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Eigentlich hieß sie ja Marya Salomea Sklodowska. Sie wuchs in Polen auf, ihr Vater war Lehrer, die Mutter Schulleiterin, und Maria hatte noch vier ältere Schwestern. Schon damals muss dem Kind ein rastloser Ehrgeiz innegewohnt haben: Sie bestand mit nur 15 Jahren als Jahrgangsbeste das Abitur und wollte danach studieren.
Doch das ging aus zwei Gründen nicht: Zum einen hatte sich das Mädchen restlos verausgabt und im Hinblick auf ihr Ziel zu wenig gegessen und geschlafen – ein Charakterzug, der sie ihr ganzes Leben lang begleiten würde und der sie ein Jahr lang zum Pausieren zwang. Zum anderen durften Mädchen in Polen nicht studieren. Heimlich tat sie es doch, an einer so genannten „Fliegenden Universität“, die heimlich organisiert war. Dann wechselte sie jedoch nach Frankreich, wo sie sich 1891 an der Sorbonne einschrieb, und zwar für Physik und Mathematik. In der Stadt an der Seine änderte Marya ihren Namen in Marie, lernte den Physiker Pierre Curie kennen und heiratete ihn.
Die beiden passten unglaublich gut zusammen: Ihre Leidenschaft war die Wissenschaft, und hier insbesondere die Erforschung der Strahlung, die ein gewisser Henri Bequerel in Urankaliumsulfat entdeckt hatte. Nach vielen Versuchen fanden die beiden schließlich ein Mineral, das Uran enthielt: Pechblende (Uraninit). Jahrelang schippten sie Tonnen von Steinen hin und her, mahlten, siebten und kochten es. Es gelang ihnen, das Element zu isolieren, das besonders intensiv strahlte: Marie nannte es ihrem Geburtsland zu Ehren Polonium. Ein zweites neu entdecktes Element, Radium, gab der „Radioaktivität“ seinen Namen, ebenfalls eine Wortschöpfung Curies.
All das blieb nicht ohne Folgen. Die wissenschaftliche Welt wurde auf sie aufmerksam, Henri Bequerel und Pierre Curie sollten mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden, das war 1903. Doch Curie protestierte: Er hatte die Radioaktivität schließlich nicht allein entdeckt. Und so setzte er durch, dass seine Frau gemeinsam mit ihm die höchste Ehrung der Wissenschaft erhalten würde.
Doch das Arbeiten mit dem uranhaltigen Gestein hatte seine Spuren hinterlassen: Die beiden Curies waren zu krank, um den Nobelpreis persönlich entgegennehmen zu können, das taten sie erst zwei Jahre später. Man war sich der Gefahren, die Radium und Co. buchstäblich „ausstrahlte“, noch nicht bewusst. Manchmal trug das Ehepaar das Fläschchen mit der radioaktiven Substanz mit sich herum, und es war ihr höchstes Glück, nachts, wenn die beiden Kinder schliefen, noch einmal ins Labor zu schauen: „Dann konnten wir überall die schwach leuchtenden Silhouetten der Flaschen sehen, die unser Material enthielten“, schreibt Marie Curie in ihren Notizen. „Die strahlenden Reagenzgläser sahen aus wie zarte Feenlichter.“
1906 änderte sich das Leben der Curies schlagartig: Pierre starb bei einem Unfall mit einem Pferdewagen. Marie, die ihren Mitstreiter verloren hatte, trauerte sehr. Sie übernahm die Vorlesungen ihres Mannes an der Sorbonne; die ordentliche Professur wurde ihr aber erst zwei Jahre später übertragen. Dass die Zeit für Frauen noch nicht recht reif war, bewies auch ihre geplante Aufnahme an die Academie des Sciences, die scheiterte, da das zuständige Gremium lieber einen Mann wählte.
Und dann war da noch der Skandal um Paul Langevin. Der ehemalige Schüler ihres Mannes und die Wissenschaftlerin näherten sich einander an und trafen sich privat in der Wohnung eines Freundes – doch der Mann war verheiratet, hatte vier Kinder, und seine Frau fand das gar nicht lustig. Als die Presse dahinter kam, brach die Hölle los: Curie wurde als Ehebrecherin gebrandmarkt, die zornige Ehefrau reichte die Scheidung ein und Curie hätte die Aufregung um ihr Privatleben 1911 beinahe den zweiten Nobelpreis gekostet. Schon hatte ihr das Komitee nahegelegt, den Preis für Chemie bitte nicht persönlich abzuholen, was sie trotzig verweigerte. Marie Curie reiste an, hielt die Nobelvorlesung – und brach danach zusammen.
Die klassischen Symptome der Strahlenkrankheit verschlimmerten sich fortwährend: Sie litt unter Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwächeanfällen, einer Nierenbeckenentzündung und ständig entzündeten Fingerspitzen. Kein Wunder, denn noch heute sind ihre Besitztümer so verstrahlt, dass man sie nur mit Schutzkleidung anfassen kann.
Die letzten elf Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Flucht vor der Presse: Ständig reiste sie, meist unter falschem Namen, damit sie niemand entdeckte. Und sie war immer noch vom Nutzen des Radiums überzeugt: Sie wollte die Substanz zum Segen der Menschheit nutzen. Sie fand in der Radiologie ein neues Betätigungsfeld, ließ mobile Röntgenwagen („Petites Curies“) ausbauen, mit denen sie eigenhändig an die Fronten des Ersten Weltkrieges fuhr, um die Soldaten vor Ort untersuchen zu können. Der amerikanische Präsident wollte ihr eine Freude machen und Ehre angedeihen lassen und schenkte ihr 1921 ein Gramm Radium, das er im Blauen Zimmer des Weißen Hauses feierlich überreichte.
1935 endete das Leben der großen Wissenschaftlerin. Sie wurde 66 Jahre alt. Ein Jahr nach ihrem Tod erhielt ihre Tochter Irène ebenfalls den Nobelpreis – diesmal war es gelungen, die Radioaktivität auch künstlich herzustellen. Die Asche von Pierre und Marie Curie lagert im französischen Grabmal Panthéon. Selbst dort, wo die Geistesgrößen der „Grande Nation“ begraben liegen, war man auf eine Frau nicht vorbereitet, denn über dem Eingang steht in Stein gemeißelt: „Den großen Männern die Dankbarkeit des Vaterlands.“ Marie Curie war eben immer eine zu früh Gekommene.
Alexandra Regner
PTA/Redaktion