Interview mit Dr. med. Bodo von Ehrlich

MAGNESIUM UND DIABETES

Seit der Erstbeschreibung einer Hypomagnesiämie bei diabetischer Ketoazidose 1946 ist Magnesium für die Diabetesforschung interessant. Was genau der Mineralstoff bewirkt, erklärt Dr. med. Bodo von Ehrlich.

Seite 1/1 6 Minuten

Seite 1/1 6 Minuten

Was besagen die Untersuchungen?
Aus Sicht vieler Magnesium-Forscher ist es nach wie vor bedauerlich, dass die „offizielle Diabetologie“ Magnesium bis heute de facto ignoriert, obwohl mehrere Tausend Publikationen zu Diabetes und Magnesium vorliegen. In den 90er-Jahren kamen mit der großen ARIC Studie aus USA gute epidemiologische Daten, zudem die „Ionen-Hypothese“ des Metabolischen Syndroms und in Italien legten erste klinische Patch-Clamp-Untersuchungen mit Magnesium die pathophysiologischen Grundlagen des Zusammenhangs Magnesium-Diabetes.

Wir haben 1996 in Berlin eine erste Prävalenzstudie des Magnesiummangels in der internistischen Praxis vorgestellt mit dem Nachweis, dass Diabetiker die häufigste Gruppe des sekundären Magnesiummangels in praxi sind. Seit 2000 ist die Zahl internationaler Publikationen zum Thema steil angestiegen, der epidemiologische Zusammenhang Magnesiummangel – Diabetes stützt sich mittlerweile auf über 400 000 publizierte Fälle. Kontrollierte prospektive Studien mit Magnesium – mit allerdings noch relativ kleinen Fallzahlen – zeigen positive Effekte auf Surrogatparameter. Wenngleich prospektive Langzeitinterventionen und Mortalitätsstudien fehlen, gibt es ganz aktuell aus Harvard Daten der Nurses Health Study , die zeigen, dass eine höhere Zufuhr von Magnesium das Risiko eines plötzlichen Herztodes mindert.

2008 wurde von der Gesellschaft für Magnesiumforschung in Kooperation mit europäischen und amerikanischen Wissenschaftlern erstmalig eine Leitlinie Magnesium und Diabetes herausgegeben (www.magnesiumges.de), die 2012 aktualisiert wird. Zu den Hindernissen: Die Wahrnehmung des Magnesium-Diabetes-Zusammenhangs wird und wurde hier von drei Phänomenen behindert: der Ära der Sulfonylharnstoffe (diese maskieren einen Magnesiummangel, depletieren die Zelle von Magnesium, erhöhen vordergründig und relativ Magnesium im Serum), irreführenden Kampagnen der Kassen, es gebe in Deutschland keinen Magnesiummangel, sowie der Kostendämpfungsdiskussion und deren Regulierungen.

Was genau bewirkt Magnesium bei Diabetikern?
Magnesium hat pleiotrope Effekte – eine Reihe von Wirkungen, die für sich genommen zum Teil klein sind, sich aber summieren. Entscheidender Effekt ist die Verminderung der Insulinresistenz – Magnesium ist also eine Art physiologischer Insulinsensitizer. Interessant hierzu ist eine aktuelle Studie, wonach selbst übergewichtige Metaboliker noch ohne Diabetes und sogar mit normalwertigem Serum-Magnesium durch sechsmonatige prospektive Magnesium-Supplementation eine Verbesserung ihrer Insulinsensitivität erfahren.

Es braucht also keine Hypomagnesiämie, damit Magnesium wirkt!Der Effekt geht über die Beeinflussung der Tyrosinkinase und die Energiebereitstellung in der Zelle. Aber auch die Insulinfreisetzung scheint günstig durch Magnesium-Supplementation beeinflusst. Als dritter Komplex sind die positiven Zusammenhänge bei den kardiovaskulären Parametern des Diabetikers hervorzuheben. Auch hier ein Wort zu vermeintlichen Hindernissen „Niere und Durchfall“ – ein hochnormaler Magnesium Spiegel schützt sogar Diabetiker vor fortschreitender Nephropathie und vielfach verstopfte Diabetiker (autonome Neuropathie) profitieren von weicherem Stuhl bei klugem Einsatz der Magnesium-Applikationsform, ein zumeist vorliegender Hypertonus wird günstig mit beeinflusst.

VITA
Dr. med. Bodo von Ehrlich
studierte von 1968 bis 1974 Humanmedizin in Mainz und Wien. An der Mainzer Universität promovierte er 1975 in Klinischer Biochemie. Als niedergelassener Facharzt für Innere Medizin ist er seit 1984 in eigener Praxis in Kempten im Allgäu tätig. Von Ehrlich beschäftigt sich seit den 90er-Jahren schwerpunktmäßig mit Magnesium, Diabetes und dem Metabolischen Syndrom. Zu diesen Themen hat er bereits über 100 eigene Publikationen verfasst und zahlreiche Vorträge auf nationalen und internationalen Kongressen gehalten.


Können auch Diabetes bedingte Folgeschäden minimiert oder gar vermieden werden?
Minimiert ist wahrscheinlich. Eindrucksvoll ist der Zusammenhang zwischen hohen Magnesiumwerten und einer wesentlich geringeren Schwere und Häufigkeit von Retinopathien bei Diabetikern. Die diabetische Retinopathie als häufigster Grund der Erblindung in Deutschland ist hier in Erinnerung zu rufen. Zu Neuropathie und Nephropathie liegen erste günstige Daten vor. Vom Standpunkt der EBM wird das Dilemma bleiben, einen kontrollierten langzeitigen Effektnachweis mit einer Substanz zu führen, die ja frei verkäuflich ist. Es ist anzunehmen, dass eine möglichst frühzeitige Magne siumtherapie insbesondere über die verbesserte Insulinsensitivität wirksam wird und langjährige Diabetiker von der kardiovaskulären Protektion durch Magnesium profitieren.

Betrifft dies sowohl Typ-1- als auch Typ-2-Diabetiker?
Die überwiegende Zahl der Studien bezieht sich auf den Typ 2 – naturgemäß sind die Aussagen betreffend der Insulinsensitivität für diese Patienten bedeutsam. Die Verluste von Magnesium über die Niere sowie nutritive Defizite betreffen aber den Typ 1 gleichermaßen. Demzufolge sind die kardiovaskulär protektiven Effekte auch für Typ-1-Diabetiker anzunehmen. Wenngleich auch hier noch viele Forschungsfragen offen sind, ist die Empfehlung, den Magnesiumhaushalt hochnormal zu halten, angesichts der guten Verträglichkeit pathophysiologisch zu rechtfertigen.

Warum haben viele Diabetiker einen Magnesiummangel?
Fünf ursächliche Komplexe sollten gesehen werden. Erstens: renale Verluste mit jeder Glukosurie, bisweilen durch diuretische Begleitmedikation. Zweitens: nutritive Verluste – wer als Typ-2-Diabetiker abnehmen muss, der führt zu wenig Magnesium zu. Drittens: intestinale Störungen – Diabetiker mit bakterieller Dünndarmbesiedelung wie auch autonome Neuropathie sind häufig. Viertens und fünftens: die auch für die Allgemeinheit gültige Phänomene Nahrungsqualität – viele Nahrungsmittel enthalten heute weniger Magnesium – und der vermehrte Stress.

Ein Satz zum oft gehörten Diätdogma „Wer sich nur richtig ernähre als Diabetiker, der könne keinen Magnesiummangel bekommen“ – eine internationale Literaturrecherche aus dem Jahr 2010 beweist das Gegenteil: Keine kontrollierte Diätstudie konnte das Ziel einer allgemein suffizienten Magnesiumzufuhr erreichen.

Welche Magnesiumdosen sind bei Diabetes zu empfehlen – und in welcher Verbindung, sprich organisch oder anorganisch?
15 mmol Magnesium/Tag (ca. 350 Milligramm) sind eine Faustregel – am besten über den Tag verteilt, mit hoher Abenddosis schläft sich besser. Organisches Magnesium (Aspartat, Aspartat-HCl, Citrat, Glutamat etc.) wird besser resorbiert und das ist bei Diabetikern, die wie belegt fast immer defizitär sind, ganz besonders wichtig. Zuckerfrei und flüssig (Granulat) ist hier zu bevorzugen. Es gibt allerdings Diabetiker, die, je nach Ausgangslage, auch mehr brauchen. Dann ist eine – sorgfältige! – Serumanalystik hilfreich.

Bei gastrointestinalen Toleranzproblemen empfiehlt sich, einschleichend mit Kapseln oder Dragees zu beginnen. Bemerkenswert: Motiviert man Patienten, es einschleichend und ausreichend lang zu probieren, verlieren sich anfängliche Probleme mit weichem Stuhl regelhaft – zudem ist für viele gleichzeitige Divertikel- und Hypertoniepatienten weicher Stuhl wünschenswert.

Wie reagieren die Fachgesellschaften oder auch Patientenverbände auf genannte Studienergebnisse.Gibt es Empfehlungen zu Magnesium für Diabetiker?
In Deutschland finden die Magnesium-Forschungsergebnisse seitens der Diabetologischen Fachverbände bisher nicht die angemessene Beachtung. Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Ausschlusses von Insulinsensitizern aus der GKV-Erstattung wäre eine Diskussion der zahlreichen günstigen Daten zu Magnesium und Insulinresistenz doch naheliegend.

Auch das Nicht-Erreichen der St. Vinzenz-Ziele betreffend die Retinopatie sollte im wahrsten Sinne des Wortes die Augen öffnen für weitere Untersuchungen mit Magnesium und Diabetes. Ganz aktuell wären die Zusammenhänge und günstigen Ergebnisse mit Magnesium bei den häufigen Depressionen von Diabetikern zu nennen. Dogmatische Zeiten sind halt nicht gut für Serendipität (Erkennung von Zusammenhängen aus a priori nicht zusammenhängend scheinenden Phänomenen) – von der Erstbeschreibung des Helicobacter bis zur Kassenanerkennung dauerte es auch etwa 70 Jahre.

Was können PTA ihren Kunden mit Diabetes raten – können sie Magnesium „einfach einmal nehmen“ oder sollten sie sich auf jeden Fall mit ihrem Arzt besprechen?
Sehr viel Segensreiches können Sie tun! Ich freue mich als Arzt über die informative Verstärkung durch Apothekenteams. Gerade wo es auf kontinuierliche Versorgung ankommt und die Patienten selbst für die Kosten einstehen müssen, ist diese Compliance-Verstärkung sinnvoll. „Mal gelegentlich ein klein bisschen“, wenn die Wade krampft („instant gratification“), ist aber wenig sinnvoll. Die Linderung von Wadenkrämpfen ist als Ziel noch nicht mal ausreichend.

In der Praxis haben wir ein Bündel klinischer und Laborparameter als Erfolgskontrolle. Patienten, die ein halbes Jahr konsequent Magnesium eingenommen haben, berichten uns regelhaft, dass sie sich besser fühlen. Das ist etwas! Das kooperative Gespräch mit den behandelnden Ärzten ist in jedem Fall stimulierend, wo dies gesucht und angenommen wird. Ein Risiko ist bei oraler Magnesiumtherapie in genannten Dosierungen für die große Masse der Diabetiker nicht gegeben (Dialyse und hochgradig Niereninsuffiziente sind gesondert zu betrachten). Etwas anderes und bisweilen vermengt werden Limitationen der intravenösen Anwendung per Infusion, die allerdings in die Hand erfahrener Ärzte gehört.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/11 ab Seite 84.

Das Interview führte Dr. Petra Kreuter, Redaktion

×